Günstig wohnen ohne jede Rechte? Geschäftsmodell von Projekt Interim gerät in Bedrängnis

Die Zürcher Zwischennutzungsfirma Projekt Interim hat sich als Liebling der Immobilienbranche etabliert. Die Erfolgsgeschichte könnte bald erste Kratzer bekommen – dank zwei jungen Baslern.

Jonas Aebi und Luisa Gehriger wehren sich gegen die Geschäftspraktiken von Projekt Interim. Nicht aus egoistischen Gründen, sondern mit einem politischen Ziel.

Es ist eine Erfolgsgeschichte: Ein junges Zürcher Unternehmen bringt der konservativen Immobilienbranche bei, dass mit Zwischennutzungen Leerstand verhindert werden kann. Die NZZ berichtete Anfang Woche in euphorischem Ton über die Projekt Interim GmbH in Zürich, der die Professionalisierung in diesem Bereich zu verdanken sei. Das Fazit der Journalistin: Zwischennutzungen seien «für alle ein Gewinn».

Mit dieser Einschätzung dürfte sie bei den beiden Basler Bewohnern einer Dreizimmerwohnung am Burgweg auf wenig Verständnis stossen. Luisa Gehriger und Jonas Aebi sind ein Paar, kennengelernt haben sie sich im Studium der Urbanistik – Aebi schreibt derzeit seine Dissertation an der Uni Basel.

Günstige Wohnung gegen Verzicht auf Mieterschutz

Sie beschäftigen sich also intensiv mit den gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Stadtentwicklung. Insbesondere interessieren sich die beiden dafür, wie Zwischennutzungen zu Aufwertungsprozessen beitragen und damit mitverantwortlich sind für den Verlust günstigen Wohnraums.

Weil sie eine kostengünstige Wohnung brauchte und ihr nach dem Abschluss des Studiums der Sinn nach Feldforschung stand, bewarb sich Gehriger um eine Wohnung am Burgweg. Dort führt Projekt Interim im Auftrag der Adimmo AG eine Zwischennutzung durch. Sechs Gebäude, knapp 70 Einheiten, das meiste davon Wohnungen.

Für das Paar bot sich damit die Möglichkeit, am eigenen Leibe zu erfahren, wie sich solche Zwischennutzungen für die Nutzer anfühlen. Welchen Umgang Firmen wie Projekt Interim pflegen und wie die Verträge konkret gestaltet sind.

Das besondere daran: Die Wohnungen am Burgweg werden nicht vermietet, sondern über einen sogenannten Gebrauchsleihvertrag ausgeliehen. Dabei überlässt der Eigentümer seine Räume vorübergehend für einen Kostenbeitrag den Zwischennutzern. Die Bewohner verzichten im Gegenzug auf jeden mietrechtlichen Schutz.

Blick in einen Gebrauchsleihvertrag

Für die Zwischennutzung von Räumen als Ateliers oder Arbeitsräume ist die Gebrauchsleihe seit mehreren Jahren gang und gäbe. Dass auf diese Weise auch Wohnungen zwischengenutzt werden, ist hingegen eine eher neue Entwicklung, die von Mieterschutzorganisationen überaus kritisch beobachtet wird. Denn es entsteht dadurch ein höchst prekärer Wohnungsmarkt, dem gerade einkommensschwache Gruppen bei knappem Wohnangebot ausgeliefert sind.

Der Blick in einen solchen Gebrauchsleihvertrag zeigt, wie wenig Rechte den Zwischennutzern noch eingeräumt werden. Der TagesWoche liegt ein solcher Vertrag für eine Dreizimmerwohnung am Burgweg vor.

Für einen Kostenbeitrag von 450 Franken monatlich wohnen Gehriger und Aebi seit dem 1. Juni 2017 am Burgweg. Zuerst sollte der Vertrag Ende Januar 2018 auslaufen, wurde dann jedoch insgesamt dreimal um je zwei Monate verlängert. Diese Erstreckungen gab Projekt Interim jeweils zwei Monate im Voraus bekannt.

Hier am Burgweg gerät das Geschäftsmodell von Projekt Interim zum ersten Mal in Bedrängnis.

Die Unsicherheit, wie lange man noch in einer Wohnung bleiben darf, ist einer der Punkte, die Gehriger als schwierig empfindet. «In den Wohnungen wurde gar nichts gemacht. Sie waren in einem enorm schlechten Zustand, ohne Herd, ohne Kühlschrank und mit teils verschmierten Wänden. Entweder investierst du viel Zeit in eine Wohnung, die du bald wieder verlieren kannst, oder du lebst auf unbestimmte Dauer in einem Loch.»

Weitere Punkte aus dem Gebrauchsleihvertrag:

  • Die Zwischennutzer haben keinerlei Anspruch darauf, dass kaputte Infrastruktur gewartet, repariert oder ersetzt wird.
  • Die Zwischennutzer verpflichten sich, Eigentümer, Verwaltung und Vertreter von Projekt Interim jederzeit Zugang zur Wohnung zu gewähren. «Nach Möglichkeit» werden sie über einen geplanten Besuch 24 Stunden im Voraus informiert.
  • Bei Verstoss gegen die Hausordnung kann Projekt Interim den Vertrag fristlos kündigen.
  • Projekt Interim kann nach Ablauf der Leihdauer die Wohnung unverzüglich und ohne Ankündigung polizeilich oder privat räumen lassen. Mit den Besitztümern der Zwischennutzer darf Projekt Interim bei einer solchen Räumung «nach Belieben verfahren».
  • Die Zwischennutzer verpflichten sich im Voraus, keinerlei mietrechtliche Bestimmungen geltend zu machen.

Wird der Mieterschutz umgangen?

Die Zwischennutzung am Burgweg nimmt Ende Oktober definitiv ein Ende, eine weitere Verlängerung ist nicht vorgesehen. Deshalb haben Gehriger und Aebi sich an die Basler Schlichtungsstelle gewendet. Die beiden verstossen damit gegen den Vertrag und gehen das Risiko einer fristlosen Kündigung ein. Ihr Ziel ist ein politisches.

«Wir wollen eine Diskussion über die städtebauliche Auswirkung von Zwischennutzungen anregen», sagt Luisa Gehriger.

«Uns geht es nicht darum, noch ewig in dieser Wohnung zu bleiben. Wir wollen vielmehr eine Diskussion über die Rolle von Zwischennutzungen in städtischen Aufwertungsprozessen anregen», sagt Gehriger. «Zudem wollen wir die Frage klären, ob es juristisch und politisch haltbar ist, Wohnungen über die Gebrauchsleihe abzugeben oder ob es sich dabei nicht vielmehr um eine Umgehung des Mieterschutzes handelt.»

Indem das Projekt Interim den Zwischennutzern keinerlei Spielraum lässt, kann sie den Immobilieneigentümern maximale Flexibilität garantieren. Liegenschaften sind so genau dann bereit, wenn die Besitzer wieder darüber verfügen wollen. Dieses Argument ist Teil des grossen Erfolges, den die Firma schweizweit hat.

«Für uns Bewohner bedeutet genau das jedoch maximale Unsicherheit», sagt Aebi. «Vonseiten Projekt Interim wird einem jeweils zu verstehen gegeben, dass wir doch dankbar sein sollen, so günstig wohnen zu dürfen.»

Doch dies sei eine sehr gefährliche Argumentation, ist Gehriger überzeugt. «Je knapper günstiger Wohnraum in einer Stadt wird, desto dankbarer sollen diejenigen sein, die darauf angewiesen sind.» Im Umkehrschluss heisst das: «Wer sich keine Wohnung zu Marktpreisen leisten kann, muss sich bald alles gefallen lassen», sagt Aebi.

Die Chance für einen Präzedenzfall

Beim Mieterverband Basel haben die beiden mit ihrer Beschwerde offene Türen eingerannt. Die Zwischennutzungen am Burgweg sind Mediensprecher und BastA!-Grossrat Beat Leuthardt schon lange ein Dorn im Auge. Er hält die Gebrauchsleihverträge für «rechtswidrige» Verträge. «Hier werden ganz klar Mietrechte umgangen», sagt Leuthardt.

«Wer sich keine Wohnung zu Marktpreisen leisten kann, muss sich bald alles gefallen lassen», sagt Jonas Aebi.

Er hat deswegen bereits vor einem Jahr eine Interpellation eingereicht. Darin wollte Leuthardt wissen, was die Regierung vom Modell der Gebrauchsleihe für Wohnungen halte. In ihrer Antwort stellten sich die Regierungsräte auf die Position, die juristische Würdigung dieser Verträge sei Sache der Gerichte.

Gehriger und Aebis Vorhaben, ihren Gebrauchsleihvertrag von der Schlichtungsstelle prüfen zu lassen, kam Leuthardt also gerade recht. Damit bietet sich die Chance, einen Präzedenzfall zu schaffen. Gleichzeitig stellt dieser Fall einen direkten Angriff auf das Geschäftsmodell von Projekt Interim dar.

Dort wusste man am Mittwochmorgen jedoch noch nichts von dem Fall. Lukas Amacher, Partner bei Projekt Interim, sagt auf Anfrage: «Wir haben noch keine Kenntnis davon, dass Bewohner der Zwischennutzung am Burgweg an die Schlichtungsstelle in Basel gelangt sind. Deshalb kann ich diesen Fall auch nicht kommentieren.»

Amacher lässt am Telefon aber durchblicken, dass er dem Verfahren unbesorgt entgegenschaut – obwohl das junge Unternehmen kaum Erfahrung mit mietrechtlichen Verfahren hat. Bis jetzt mussten die Zwischennutzungsprofis ihr Geschäftsmodell noch nie vor einem Gericht verteidigen.

Auch der Kanton arbeitet mit Gebrauchsleihverträgen

Das Urteil der Schlichtungsstelle dürfte innerhalb der Verwaltung mit grosser Spannung erwartet werden, denn auch Immobilien Basel-Stadt (IBS) arbeitet bei Zwischennutzungsprojekten mit Projekt Interim zusammen. Normalerweise handelt es sich dabei jedoch um Büroräume und Ateliers. Im Bereich Wohnungen kooperiert die IBS seit vielen Jahren mit der Sozialhilfe und der studentischen Wohnvermittlung Wove.

Doch in den IBS-Liegenschaften an der Voltastrasse 39 bis 43 werden seit dem 1. August 2018 ebenfalls Wohnungen zwischengenutzt. Die Frist von lediglich sechs Monaten sei für Wove und Sozialhilfe zu kurz, weshalb sich die IBS an Projekt Interim gewendet habe, sagt IBS-Sprecherin Barbara Neidhart. An der Voltastrasse wird die Zwischennutzung ebenfalls über Gebrauchsleihverträge abgewickelt.

Sollte die Schlichtungsstelle also zum Schluss kommen, dass die Gebrauchsleihverträge von Projekt Interim rechtlich nicht zulässig sind, könnte die Regierung in Erklärungsnot kommen. Spätestens dann würde auch die politische Diskussion fällig, die sich Luisa Gehriger und Jonas Aebi so dringend wünschen.

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