Am untersten Ende der Nahrungskette im Basler Wohnungsmarkt sind die Sitten rau. Vor wenigen Tagen wird aus einer Pension an der Rheingasse die vierte Leiche innert drei Jahren transportiert. Die Zustände in diesem Haus sind auch ohne Verwesungsgeruch elend.
Schon Ende April brennt es in einer völlig heruntergekommenen Liegenschaft am Riehenring. Alle Bewohner stehen auf einen Schlag auf der Strasse, die meisten davon sind suchtkrank und von der Sozialhilfe abhängig.
Es sind zwei medienwirksame Ereignisse – Bilder und Geschichten, die bewegen. Doch hinter diesen beiden Dramen steht eine viel grössere Geschichte. Es ist die Geschichte von Immobilienbesitzern, die aus ihren verlotterten Liegenschaften Profit schlagen, auf Kosten der Schwächsten und auf Kosten des Staates.
Viele Bewohner von Grüselwohnungen sind so verzweifelt, dass sie sich nicht wehren wollen.
In Basel gibt es Menschen, die unter unwürdigsten Bedingungen hausen müssen. Für ihre heruntergekommenen Zimmer zahlen sie oft hohe Mieten, manchmal sind die Mietverträge widerrechtlich. Jeder weiss das, auch die Verwaltung. Doch viele dieser Menschen sind so verzweifelt, dass sie sich nicht wehren wollen. Wir haben mit einigen gesprochen, alle bleiben zu ihrem eigenen Schutz anonym.
Auf der Gasse stösst man in Gesprächen über sogenannte Grüselwohnungen immer wieder auf dieselben Namen. Der Austausch in der Szene ist rege, man warnt sich gegenseitig vor den übelsten Abzockern. Zwei besonders berüchtigte Vermieter solcher Wohnungen sind L. aus Hergiswil im Kanton Nidwalden, ihr gehören zwei Liegenschaften an der Gasstrasse, und der Zürcher S. mit seinen beiden Häusern an der Efringerstrasse und an der Feldbergstrasse.
J. hat einige Monate an der Efringerstrasse gewohnt. Immobilienunternehmer S. vermietet dort einzelne Zimmer in Mehrzimmerwohnungen, also eine Art Zwangs-WG. «Ich musste aus meiner alten Wohnung raus und brauchte von heute auf morgen eine Unterkunft. An der Efringerstrasse wurde ich schnell fündig», erzählt J., der inzwischen nicht mehr dort wohnt.
Ständig in Angst
«Die Zustände waren erschreckend, und ich rede nicht nur von Sauberkeit und Hygiene. In der Küche stapelten sich dreckiges Geschirr und Abfall wochenlang. Es wurde aber auch gedealt im Haus, in den Gängen und vorne auf der Strasse traf ich immer wieder auf zombiehafte Drögeler.»
Viele seiner Mitbewohner seien nicht in der Lage gewesen, alleine zu wohnen. «Diese Menschen hätten Betreuung gebraucht», ist J. überzeugt. Er habe sich deshalb nie sicher gefühlt. Ständig war die Angst da, es könnte jemand ins Zimmer einsteigen. Seine Zimmertür liess sich nicht abschliessen. «Mir war ab Tag eins klar, dass ich dort nicht bleiben will und kann. Die Kisten habe ich gar nie ausgepackt.»
«Die Politik ist das wahre Problem. Die sollen mal dafür sorgen, dass auch wir einen Platz zum Wohnen haben.»
Bei einem Besuch vor Ort treffen wir an der Efringerstrasse auf das Warnschild «Hausverbot für Medienvertreter». Wer das Haus trotzdem betrete, werde wegen Hausfriedensbruch bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Eigentümer S. war 2014 bereits in den Medien, als in ebendiesem Haus an der Efringerstrasse eine Abrechnung im Drogenmilieu blutig endete. Die beiden entsprechenden Artikel in der «Basler Zeitung» sind heute online nicht mehr auffindbar, S. liess sie gerichtlich entfernen.
Vor dem Haus sitzen zwei Männer und eine Frau gemütlich zusammen. Sie sollten eigentlich nicht mit Journalisten reden, sagen sie und legen dann doch los. Es sei nicht korrekt, S. als Übeltäter darzustellen. «Er gibt uns wenigstens eine Wohnung. Versuch mal irgendwo sonst ein Zimmer zu bekommen mit mehreren Betreibungen und Steuerschulden am Hals. Nein, S. ist kein Abzocker, S. hat uns geholfen.» «Die Politik ist das wahre Problem», sagt ein anderer. «Die sollen mal dafür sorgen, dass auch Menschen wie wir einen Platz zum Wohnen haben.»
Klar befänden sich die Räume nicht in einem besonders guten Zustand und die Miete sei ziemlich hoch angesetzt, räumt die Frau ein. «Aber S. ist eben ein Geschäftsmann, der muss auch sein Geld verdienen dürfen.»
«Man braucht eine dicke Haut, wenn man sieht, was dem Eigentum angetan wird, dieser Dauervandalismus.»
Wir erreichen den Vermieter per Telefon. Er habe damals schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht, deshalb das Warnschild, sagt er beinahe entschuldigend. Nach kurzem Zögern lässt er sich doch auf ein Gespräch über sein Geschäftsmodell mit den IV- und Sozialhilfebezügern ein. Die Bedingung: Wir dürfen seinen Namen nicht nennen, ebensowenig die genaue Adresse seiner beiden Häuser in Basel.
«Ich kam eher zufällig dazu. Als ich die Liegenschaft an der Efringerstrasse kaufte, waren bereits Zimmer an Sozialhilfebezüger vermietet. Ich habe da keine Berührungsängste. Aber man braucht eine dicke Haut, wenn man sieht, was dem Eigentum angetan wird, dieser Dauervandalismus», sagt S. Dazu kämen viele Mietausfälle.
S. findet deshalb die Preise seiner Zimmer angemessen, obwohl sie ein Vielfaches davon betragen, was er für seine Wohnungen verlangen könnte, wenn er sie als ganze vermieten würde. «In einem solchen Haus müssen sie mit Reinigung und Hauswartung sehr präsent sein, sonst ist es innerhalb von sechs Monaten komplett unbewohnbar. Das schlägt sich im Preis nieder.»
Aber abgesehen davon seien die Zustände in seinen Häusern heute nicht mehr mit der Zeit vergleichbar, als die blutige Drogengeschichte stattfand. «Wir haben viele Massnahmen ergriffen, Stahltüren eingebaut und die Präsenz der Hauswartung erhöht. Seither geht es gesittet zu und her», sagt S.
«Man musste das Wasser erst mal ein paar Minuten laufen lassen, bis es nicht mehr braun verfärbt war.»
An der Gasstrasse verfolgt Vermieterin L. ein ganz ähnliches Geschäftsmodell. Ihre Dreizimmerwohnungen werden als «WG» vermietet – sich gegenseitig unbekannte Bewohner teilen Küche, Bad und WC. Die möblierten Zimmer kosten inklusive Nebenkosten ab 800 Franken pro Monat.
D. hat lange an der Gasstrasse gewohnt. Anders als die meisten ist er dem Konflikt mit L. nicht aus dem Weg gegangen. Er hat seine Rechte eingefordert und war mehrfach vor der kantonalen Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten. Inzwischen ist er umgezogen, L. kann ihm nichts mehr anhaben.
Wenn D. zurückdenkt an die Zeit in seinem Zimmer an der Gasstrasse, kann er nur ungläubig den Kopf schütteln. «Die Wohnung war ‹aifach gruusig›. Wenn man den Wasserhahn aufgedreht hat, musste man es erst mal ein paar Minuten laufen lassen, bis das Wasser nicht mehr braun verfärbt war. Die Waschmaschine war unzumutbar, ich habe meine Kleider bei einem Freund gewaschen. Die Heizung funktionierte nicht, Küche und Badezimmer waren komplett verdreckt. Wenn meine Kinder zu Besuch waren, wollte sie 30 Franken zusätzlich pro Übernachtung.»
Zweimal ging D. vor die Schlichtungsstelle, beide Male bekam er Recht.
D. tat das, was wohl die meisten von uns tun würden: Er beklagte sich bei seiner Vermieterin und meldete Mängel an. L. reagierte ungehalten. In einem Brief beschuldigte sie ihn, andere Mitbewohner «aufzuhetzen» und eine «Hetzkampagne» zu führen. Im gleichen Zug drohte sie ihm mit einer Kündigung. Dieser Brief und weitere Dokumente liegen der TagesWoche vor.
D. stellte fest, dass in seiner Abwesenheit jemand in seinem Zimmer war. Einmal, als er schlafend im Bett lag, machte sich jemand am Schloss zu schaffen. Das wollte er sich nicht gefallen lassen, er montierte ein zusätzliches Schloss sowie eine Alarmanlage. Auch dafür wurde er von L. schriftlich abgemahnt.
Zweimal ging D. vor die Schlichtungsstelle, beide Male bekam er Recht. Eine gegen ihn ausgesprochene Kündigung wurde als «missbräuchlich» aufgehoben. Nachdem er im Sommer 2017 seinerseits kündigte, wollte L. per Betreibung noch eine halbe Monatsmiete kassieren. Auch dieses Begehren wurde von der Schlichtungsstelle abgeschmettert.
«Ich kam mir vor wie im Gefängnis»
B. erzählt eine ganz ähnliche Geschichte. Rund drei Jahre hat er in einem von L.s Häusern an der Gasstrasse gewohnt. Er war auf das Zimmer in Basel angewiesen, weil er sonst keine Stipendien bekommen hätte. Zu Beginn bekam er monatliche Mietverträge. L. sammelte die Miete in bar ein und händigte ihm danach einen Vertrag für einen weiteren Monat aus. «So wusste ich nie, wie lange ich dort noch wohnen darf.»
Manchmal habe L. die Miete von einem Monat zum nächsten um 30 oder 50 Franken erhöht, angeblich weil die Nebenkosten gestiegen seien. B. weigerte sich beharrlich, diese Erhöhungen anzuerkennen und bezahlte weiterhin seine 800 Franken für das möblierte Zimmer. «Am Schluss stand in meinem Vertrag ein Mietzins von 1200 Franken. Für das gleiche Zimmer.»
Dazu kam noch SMS-Terror. B. erhielt Nachrichten von L., er solle sich sofort an der Gasstrasse einfinden. Sie müsse etwas mit ihm besprechen. «Das passierte ständig. Ich sass in der Bibliothek und hätte für mein Studium lernen müssen. Es kann doch nicht sein, dass ich mich permanent verfügbar halten muss, nur weil ich bei L. ein Zimmer miete. Ich kam mir vor wie im Gefängnis.» Er wollte längst ausziehen, doch L. betrieb ihn mehrfach. Mit den Betreibungen am Hals hatte er kaum Chancen, ein anderes Zimmer zu finden.
«Irgendjemand muss sich gegen diese Frau wehren, sonst hört sie nie damit auf, ihre Mieter zu schikanieren.»
Nachdem die Vermieterin mehrfach ohne seine Einwilligung und in seiner Abwesenheit sein Zimmer betreten hatte, zeigte er sie an. Sie zeigte ihn ebenfalls an, er habe sie bedroht. Obwohl B. längst ausgezogen ist, verfolgt ihn die Geschichte weiter. Demnächst steht wieder ein Gerichtstermin an. «Irgendjemand muss sich gegen diese Frau wehren, sonst hört sie nie damit auf, ihre Mieter zu schikanieren», sagt er heute.
Wir haben L. mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Schriftlich, nachdem sie unter keiner der angegebenen Telefonnummern zu erreichen war. Sie wollte sich nicht äussern.
L. an der Gasstrasse, S. im Kleinbasel und alle anderen Hauseigentümer, die sich auf dieses Geschäftsmodell spezialisiert haben, machen grosse Teile ihres Umsatzes mit Sozialhilfebezügern. Der Mann, der für diese Zahlungen letztlich verantwortlich ist, heisst Rudolf Illes. Wir treffen den Leiter der Sozialhilfe zum Gespräch.
«Diese Menschen sind oft froh, überhaupt irgendwo wohnen zu können.»
Bevor das Aufnahmegerät zu laufen beginnt, will Illes herausfinden, in welche Richtung unsere Recherchen zielen. Es sei eine sehr heikle Thematik die einer differenzierten Auseinandersetzung bedürfe.
Illes weiss genau, unter welchen Bedingungen manche seiner Klienten wohnen müssen. «Wohnen ist ein Grundbedürfnis wie Essen und Schlafen, natürlich sprechen wir mit unseren Klienten darüber.» In den Beratungsgesprächen hören die Angestellten der Sozialhilfe auch immer wieder von unhaltbaren Zuständen, von Gammelwohnungen zu überrissenen Preisen. Die Vermieter der schlimmeren Lotter-Liegenschaften sind einschlägig bekannt.
Und doch: Illes und der Sozialhilfe sind bei der heutigen Gesetzeslage die Hände gebunden. «Wir als Behörde sind nicht die Mieter, sondern unsere Klienten.» Nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe sollen Sozialhilfebezüger möglichst alle Bereiche ihres Lebens eigenständig und selbstverantwortlich gestalten können. Dazu gehöre eben auch der Bereich des Wohnens, sagt Illes.
«Wenn in den Gesprächen klar wird, dass jemand an einem solchen Ort wohnt, dann klären wir diese Person darüber auf, wie sie sich gegen die unhaltbaren Zustände wehren kann.» Sei die Person aber nicht gewillt, sich zu wehren, kann auch die Sozialhilfe nichts unternehmen. «Diese Menschen sind oft froh, überhaupt irgendwo wohnen zu können. Dann wollen sie sich nicht die einzige Chance verspielen.»
«Wir können leider nicht dagegen vorgehen»
Er zeigt Bilder einer weiss gefliesten Waschküche, in die jemand eine Duschkabine eingebaut und ein Bettgestell hineingestellt hat. Die Fotos stammen von einem Flüchtling, der diese «Einzimmerwohnung ohne Kochgelegenheit» für 700 Franken gemietet hat. «Wir sagten ihm, dass er sich das nicht gefallen lassen müsse. Unser Rechtsdienst hat abgeklärt, ob so was juristisch als Wohnung gelten darf. Doch der Flüchtling wollte nichts unternehmen.»
Muss man solche Bilder also einfach akzeptieren und damit leben, dass mitten in Basel Menschen so leben müssen? «Es ist ein Dilemma. Am liebsten würde ich solche Häuser natürlich schliessen. Ein solcher Schritt, so er rechtlich denn möglich wäre, könnte ich aber nur verantworten, wenn ich den Bewohnern eine Alternative bieten kann. Ich will niemanden auf die Strasse stellen.»
Viel zu befürchten haben Vermieter solcher Grüselwohnungen heute vonseiten der Behörden also nicht. Noch nicht. Denn angesichts der jüngsten Ereignisse kommt nun vielleicht doch Bewegung in die Sache. Zumindest tönt Illes das vorsichtig an. Verwaltungsintern gebe es Bestrebungen, die Zusammenarbeit zwischen den involvierten Ämtern zu intensivieren. Wenn die einzelnen Abteilungen sich absprechen, könnten daraus mittel- bis langfristig Massnahmen abgeleitet werden, um das Problem der Grüselwohnungen in Basel koordiniert anzugehen.
Doch vorläufig bleibt vielen Menschen in Basel nichts anderes übrig, als für viel zu viel Geld in unwürdigen Behausungen zu leben.