So arbeitet die Community-Polizei im Kleinbasel

Community-Polizisten sollen das freundliche Gesicht der Basler Polizei sein. Schönwetterpolizisten sind sie deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil: Sie kommen oft dann, wenn das Wetter schon schlecht ist. Ein Einblick in ihren Alltag.

«So ruhig ist es nicht immer auf der Claramatte»: Community-Polizist Michel Hostettler im Einsatz.

Ruedi Spaar ist ziemlich stolz auf seine Abteilung. Der Ressortchef Community Policing Grossbasel sitzt in seinem kleinen und spärlich eingerichteten Büro, das trotzdem leicht chaotisch wirkt, und erklärt, was das Ganze eigentlich soll.

Community Policing, so eine Abteilung kennt Basel offiziell seit dem Jahr 2000, die Stadt spielte damals eine Vorreiterrolle. Ruedi Spaar ist seit den Anfängen dabei. Sogar in Serbien habe er Community-Polizisten ausgebildet, sagt er.

Was aber sind jetzt genau Community-Polizisten? Und wozu braucht eine Stadt so etwas? Das erklärt ansatzweise schon die Entstehungsgeschichte.

Früher, holt Spaar aus, habe es 17 Polizeiposten in Basel gegeben. Dann kamen Sparmassnahmen und viele Posten gingen zu. «Durch die Zentralisierung kannten die Polizisten die Quartiere nicht mehr und Probleme wurden zu spät erkannt. Der damalige Kommandant Markus Mohler wollte der Polizei wieder ein Gesicht geben.»

Dieses Gesicht gehörte dann schliesslich dem Quartierpolizisten – oder eben: dem Community Policing. Spaars Augen glänzen, wenn er sich an die Anfänge erinnert. «Damals funktionierte alles wie ein Labor. Wir waren vier Community-Polizisten in Basel. Alle experimentierten und  tauschten sich aus. Wir setzten uns oft zusammen und schauten, was funktioniert und was nicht. Bald stellten wir fest, dass es nicht geht, wenn jeder irgendetwas tut. Wir mussten die Praxis vereinheitlichen.»

Keine klassische Polizeiarbeit nach Lehrbuch

Trotz Vereinheitlichung muss ein Community-Polizist im Alltag immer wieder kreativ werden. Er muss sich mit allen möglichen Menschen treffen, mal beim Kaffee plaudern, mal sich ernsthaft austauschen und nach Lösungen suchen. Die können am Ende durchwegs pragmatisch ausfallen.

Michel Hostettler kennt das nur zu gut. Der 46-Jährige hat 1994 die Polizeischule absolviert und ist seit drei Jahren einer von zwölf Community-Polizisten in Basel-Stadt. Er nimmt mich mit auf einen Stadtrundgang durchs Kleinbasel und gewährt mir einen Einblick in seinen Alltag.

Manche Geschichte, die Hostettler in den letzten drei Jahren erlebt hat, liess sich nicht mithilfe eines Lehrbuchs lösen. Zum Beispiel, als nach der Osterweiterung Frauen aus Ungarn nach Basel kamen, um sich zu prostituieren: «Damals wurden die afrikanischen Prostituierten verdrängt. Die Frauen sind schon fast aufeinander losgegangen», erzählt Hostettler.

Und was half? «Ich habe dann so ein Stück Kreide genommen und einen Strich auf den Boden gezogen. Auf der einen Seite habe ich ‹HU› (Hungary) geschrieben und auf der anderen Seite ‹Afrika›. Ich musste dann nicht mehr lange erklären. Das haben alle verstanden.» Den Streit habe er mit diesem Kreidestrich langfristig beendet, so Hostettler.

«Im Rotlicht gibt es Leute, denen müsste ich sagen: ‹So, jetzt halt mol d’Schnuure!› – Aber das kann ich nicht machen.»

So einfach, wie es scheint, läuft es natürlich nicht immer im Rotlichtviertel. Hostettler findet, manchmal wäre es hier durchaus auch angebracht, ungeschönt Klartext zu sprechen: «Es gibt welche, denen müsste ich sagen: ‹So, jetzt halt mol d’Schnuure!› – Aber das kann ich nicht machen. Da läuft nur einer vorbei, der das hört, und schon habe ich ein Problem.» Hilfreich wäre es aus seiner Sicht trotzdem, wenn er eine direktere Sprache benutzen könnte.

Dass er mit seiner Uniform schon von Weitem als Polizist zu erkennen ist, erachtet Hofstetter hingegen nicht als Hindernis – auch nicht in diesem Teil der Stadt. Allerdings: Im Rotlichtviertel an Informationen zu Frauenhandel zu kommen, das sei für die Polizei sehr schwierig. Die betroffenen Frauen würden gut abgeschottet und seien stark kontrolliert.

«Man muss das Vertrauen der Leute gewinnen», weiss Hofstetter. Wie er das meint, erzählt diese Anekdote: «Nach einer Informationsveranstaltung kam einmal eine Frau von sich aus zu mir und erzählte von einem Betrüger, der  sich von Prostituierten das Vertrauen erschlichen habe.» Gegen diesen Betrüger konnte die Polizei dank Informationen einer Prostituierten vorgehen.

Als die Frau ansetzte, Namen zu nennen, habe er sofort «Stopp!» gesagt. «Ich wollte keine Namen von betroffenen Frauen hören. Das war wichtig, denn ansonsten hätte ich möglicherweise gegen Frauen vorgehen müssen, die keine Aufenthaltsbewilligung hatten. Ich musste nur überprüfen, ob an der Geschichte was dran ist. Mit diesem Vorgehen habe ich viel Vertrauen aufbauen können.» Danach sei die Staatsanwaltschaft tätig geworden. «Ich kann jetzt nicht mehr dazu sagen. Aber es geht etwas.»

Helfen und schlichten

Am häufigsten werden die Community-Polizisten jedoch wegen ganz anderen Angelegenheiten gerufen. Wegen Streitigkeiten in einer Waschküche zum Beispiel. Abteilungsleiter Ruedi Spaar stellt fest: «Die Polizei übernimmt immer mehr Aufgaben, die eigentlich keine Polizeiarbeit sind. Heute ruft man nicht mehr den Hauswart oder die Verwaltung an, wenn man ein Problem mit dem Nachbarn hat.»

Community-Polizisten wie Michel Hostettler werden aber auch als Quartierpolizisten gerufen, wenn es Probleme im öffentlichen Raum gibt. Hostettler erzählt: «Anwohner haben sich beschwert. Es ging um Autos, die immer auf dem Trottoir parkiert wurden. Wir haben diesen Fall mit denen angeschaut, die für die Beschilderung zuständig sind und ja – wir hätten noch mehr Schilder aufhängen können. Aber wir sind zum Schluss gekommen, dass wir lieber ein paar grosse Blumentöpfe aufstellen. Jetzt kann niemand mehr dort parkieren.»

«Wir können nicht einfach aufräumen und gehen. Wir müssen immer am Ball bleiben.»

Mittagszeit auf der Claramatte. Kinder spielen, Schüler verpflegen sich, Erwachsene liegen im Gras. Die «Kindertankstelle» von den Robi-Spiel-Aktionen verkauft Glace und Sirup für die Kleinen und Kaffee für die Eltern. Die Stimmung ist gut. «So ruhig ist es nicht immer hier», meint Hostettler.

«Vor einigen Monaten hatte ich hier Probleme mit einem Zuhälter, der die Leute vertrieb. Ein äusserst aggressiver Typ war das. Später waren für kurze Zeit syrische Flüchtlinge im Pavillon, die mit ihren Grills die Tische kaputt machten, und eine andere Gruppe schmiss jeden Tag die Grillasche auf den Rasen – aber alles war nur temporär. Die Stadtgärtnerei beschwerte sich bei mir, dass es mühsam sei, die Asche aus dem Rasen zu knuppern. Dann bin ich halt zu dieser Gruppe hin, wies sie darauf hin – und erledigt war das Problem. Mit dem Zuhälter war es schwieriger. Die Frau, die für ihn anschaffte, wollte nicht klagen.»

So verändern sich die Probleme an einem Ort. Oft verschieben sie sich auch an einen anderen. Das sei überall so in der Stadt, sagt Hostettler. «Wir können nicht einfach aufräumen und gehen. Wir müssen immer am Ball bleiben. Auch auf der Claramatte.»

Ehrliche Bürgernähe

Längst nicht alle Probleme könne der Community-Polizist selber lösen. Aber er ist mit vielen und den richtigen Leute vernetzt, kennt sich im Amtsdschungel aus und kann vermitteln – Bürgerinnen und Ämter, Anlaufstellen und Bürger. Manchmal hole er sich auch Rat bei Experten, sagt Hostettler. Das sei der Werkzeugkasten eines Community-Polizisten.

Aber Hostettler untertreibt. Ein Community-Polizist macht viel mehr als Leute zusammenzubringen.

Einmal habe einer von ihnen bei einer alten Frau übernachtet. Bei ihr wurde nachts immer geklingelt. Ein mühsamer Scherz. Und prompt klingelte der Witzbold auch in dieser Nacht, als der Community-Polizist da war. So konnte der Gloggenzügler überführt werden.

Viel Bürgernähe legt die Community-Polizei auch an den Tag, wenn sie ausgewählte Leute regelmässig aufsucht. Leute, die über das Quartier gut informiert sind. Oder wenn sie an einer Veranstaltung auftaucht, wie sie neulich die Organisation «Migranten helfen Migranten» durchführte. Titel: «Wie verhalte ich mich bei einer Polizeikontrolle.» Geduldig erklärten die anwesenden Community-Polizisten, warum und wie die Polizei Kontrollen durchführt und welche Rechte die Kontrollierten haben. Im Anschluss hat man in kleinen Gruppen Probleme zwischen Polizei und Bürgerinnen besprochen und im Plenum vorgetragen.

«Jeder macht Fehler. Auch wir. Man muss verstehen, dass auch ein Polizist nicht immer so reagiert, wie er eigentlich müsste.»

Bei aller Bürgernähe, Schönwetterpolizisten sind die Community-Polizisten nicht. Sie kommen oftmals dann, wenn das Wetter schon schlecht ist. Und was sie sehen und erleben, speisen sie jeweils frühmorgens in die Polizeistruktur ein. Am Morgenrapport sagt der Community-Polizist etwa, wo er gezielte Kontrollen möchte. Wenn sich zum Beispiel ein Drogenumschlagplatz verschiebt, könne man die entstehende Szene verscheuchen.

Ob es am Morgenrapport auch mal einen Austausch darüber gibt, wenn sich Streifenpolizisten unangebracht verhalten hatten? Hostettler tut sich schwer mit dem Thema. Auf Fehlverhalten seiner Kollegen und Kolleginnen angesprochen, sagt er: «Wir sind auch nur Menschen! Jeder macht Fehler. Auch wir.» Man müsse verstehen, dass auch ein Polizist nicht immer so reagiere, wie er eigentlich müsste. Ruedi Spaar ist da klarer. «Wenn ich da wieder etwas in der Zeitung lese, denn denke ich auch: Jo! Was hett denn dä wider gmacht?!»

Aber beide betonen: Es sei auf Streife immer ein erfahrener Kollege dabei, der den jungen Polizisten sage, was sich nicht gehöre. Spaar sagt, der Kommandant lege Wert auf eine gesunde Fehlerkultur. Auf Nachfrage, ob eine kritische Aufarbeitung von Polizeieinsätzen betrieben werde, sagt er: «Ganz klar! Das ist hier absolut möglich.» Wenn strafrechtlich relevante Verfehlungen vorlägen, könne man eine Kollegin oder einen Kollegen nicht decken.

Mit dem Vertrauen der Bevölkerung im Rücken

Der Alltag von Michel Hostettler und Ruedi Spaar wird aber in der Regel von anderen Problemen geprägt. Hofstetter erzählt von Schwierigkeiten im Hafengebiet, die bei ihm auf dem Schreibtisch landeten: «Dort beim Hafen hinten hat sich eine Szene entwickelt. Da wurde viel Abfall liegen gelassen. Wir sind dann vor Ort gewesen und haben uns die Situation angeschaut. Es ist uns einiges aufgefallen! Aber auch da war die Lösung ganz einfach: Mistkübel mussten her. Dort hatte es keinen. Ich hätte über irgendein Büro Mistkübel beantragen können, aber ich habe den Zuständigen direkt angerufen. Da hat er mir gesagt, das sei teuer und er habe die Mistkübel nicht einfach so in Reserve. Doch dann erinnerte er sich an mich: ‹Hostettler? Wir haben uns doch an einer Veranstaltung getroffen.› Plötzlich wurde alles einfacher und ich bekam meine Mistkübel schnell.»

Auf unserem Rundgang durchs Kleinbasel treten auf einmal zwei Mädchen an Hostettler heran. Sie suchten «so ein Ding für Jugend und so», das Logo sei ein «M». Hostettler holt Block und Stift aus seiner Hosentasche und bittet die Mädchen, das Logo zu zeichnen. «Alles klar. Sie suchen die Mobile Jugendarbeit.» Hostettler weist den beiden Mädchen den Weg.

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