Nirgendwo lässt sich ein anstrengender Städteausflug angenehmer gestalten und nirgends sonst entkommt man der modischen Provinzialität besser als in Mailand.
Designtouristen sind auch nur Touristen. Weniger Funktionskleidung vielleicht, dafür mehr Foulards und gewagte Turnschuh-Anzug-Kombinationen. Letzteres ist dabei weniger einem vorreiterischen Fashion-Verständnis geschuldet, denn an den Turnschuhen erkennt man den geübten Besucher der Milano Design Week. Nur Naivlinge und Modeopfer wandern in High Heels durch Stadt, Ausstellungsräume und Messegelände.
Aber auch abseits der Design Week fällt Mailand durch seine gut angezogenen Bewohner auf. Wäre Mailand ein Land, dann wäre Shopping Nationalsport. Deshalb – und weil es mit dem Zug nur gerade ein Katzensprung nach Mailand ist – eignet sich die Stadt bestens, um der modischen Provinzialität in der Schweiz zu entfliehen und zünftig einzukaufen.
Legendäre Brioches und der stadtbeste Sojamilch-Cappuccino
Wie überall in Italien lässt sich das anstrengende Citytripping auch in Mailand angenehm gestalten. In den unzähligen Kaffeebars kann man entweder für einen kurzen Kurzen (im Stehen kostet ein Espresso nie mehr als ein Euro) oder für eine längere Pause im Schatten einkehren. Ist der Tag noch jung, und hat man etwas Glück, dann sind die Vitrinen in der Kaffeerösterei Torrefazione Caffè Ambrosiano noch nicht völlig leergeräumt. Die Brioches sind legendär und in vielen Variationen erhältlich. Die Barista Patrizia rühmt sich ausserdem, den besten Sojamilch-Cappuccino der Stadt zu bereiten. Wir wollen nicht widersprechen, schliesslich war sie 2012 unter den besten 100 Baristi Italiens. Ab dem zweiten Besuch begrüsst Patrizia uns jeweils mit lauten Rufen quer durch das Lokal.
Mit reichlich Koffein und Zucker im Blut lässt es sich bestens shoppen und in Showrooms verweilen. Dazu muss man sich jedoch durch die Touristen- und Gauklermassen in den Strassen rund um den Mailänder Dom kämpfen. Hier tropfen Gelati in Kinderhände, da knipsen Smartphones dubiose Gestalten mit selbstgebastelten Instrumenten und dort spielen die Sonnenbrillen- und Halstuchverkäufer Fangen mit der Polizei. Vor dem Abercrombie&Fitch-Geschäft stehen die meist weiblichen Menschen Schlange für Selfies mit den Bauchmuskeln der angestellten Jeansträger.
Design von Weltformat in Mailänder Stadtvillen
Ansprechender sind die Läden und Seitensträsschen in Brera, dem Quartier nördlich vom Dom. Dort bietet sich mit dem botanischen Garten ausserdem die Möglichkeit, dem geschäftigen Treiben kurz zu entfliehen. Kaum ein Designer, der hier keinen Flagship-Store unterhält. Während der Design Week sind ausserdem viele der wunderschönen und grosszügigen Stadthäuser zugänglich, weil sie von Möbelherstellern als Ausstellungsraum bespielt werden.
Ein langer Mailänder Tag ist erst dann gebührend beendet, wenn man ihn in der Trattoria Milanese ausklingen lässt. Spezialität des Hauses sind die «costolette alla milanese», riesige Kalbskoteletts, die mitsamt Knochen paniert werden. Fast noch besser als das Essen sind jedoch die Kellner. Wer lange genug sitzenbleibt, kommt in den Genuss, das Restaurantpersonal beim Essen zu erleben. In der Reihenfolge ihres Dienstalters nehmen die Kellner am hintersten Tisch Platz, beladen mit verschiedensten Tellern und Platten quer durch die Speisekarte. Und wer in Rufdistanz sitzt, wird aufgefordert, von allem zu probieren.
- Kaffee: Ein Besuch der Torrefazione Caffè Ambrosiano lohnt sich nicht nur wegen Kaffee und Barista. Der Kaffee ist hier nur Beilage zu den köstlichen Brioches (etwa die Vollkornbrioche mit Honigfüllung); zu finden am Corso XXII marzo 18.
- Kotelett: Die Trattoria Milanese serviert die schönsten, grössten und feinsten «costolette alla milanese» und beschäftigt die charmantesten Kellner; an der Via Santa Marta 11, unbedingt reservieren.
- Kräuter: Mitten im Künstlerviertel Brera befindet sich der «Orto Botanico di Brera». Ideal für ein ruhiges Durchatmen in lauschiger Umgebung, um sich danach frisch ausgeruht ins Getümmel in den engen Gassen der Brera zu stürzen.