EDF billigt ein Abkommen zur Schliessung des umstrittenen AKW Fessenheim. Doch die Zeit für den definitiven Entscheid durch Präsident Hollande wird knapp. Der französische Stromkonzern könnte auf Zeit spielen – aber ein Ass hat auch Hollande noch.
Der Verwaltungsrat von Électricité de France (EDF) hat am Dienstag einer Abfindung durch den französischen Staat zugestimmt: Die Regierung muss den Stromkonzern mit 446 Millionen Euro für die allfällige Schliessung des Reaktorgespannes in Fessenheim entschädigen.
Sechs Personalvertreter stimmten im 18-köpfigen EDF-Verwaltungsrat dagegen, sechs unabhängige Delegierte dafür; da die sechs Behördenvertreter vorschriftsgemäss in den Ausstand getreten waren, hatte Konzernvorsteher Jean-Bernard Lévy den Stichentscheid – und der fiel im Anschluss an eine mehrstündige Sitzung positiv aus.
Der denkbar knappe Beschluss ist von grosser politischer Tragweite: Erstmals will die Nuklearnation Frankreich zwei ihrer Atomreaktoren abschalten, um eine landesweite Energiewende einzuleiten.
Der Haken an der angekündigten Schliessung: Hollande wird im Mai sein Amt aufgeben.
Staatschef François Hollande hatte bereits 2012 angekündigt, der Atomanteil an der nationalen Stromproduktion solle bis 2015 von heute 75 auf 50 Prozent sinken. Den Beginn soll die Abschaltung von Fessenheim machen. Dieses 1977 in Betrieb genommene AKW liegt in einer Erdbebenzone und zudem acht Meter unterhalb der Wasseroberfläche des anliegenden Rheinkanals.
Der Haken an der angekündigten Schliessung: Hollande wird im Mai sein Amt aufgeben und der aktuelle Favorit für seine Nachfolge, der konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon, hat bereits erklärt, er wolle an Fessenheim festhalten. Auch die finanziell angeschlagene EDF hat keinerlei Lust, das hochrentable AKW dichtzumachen. Ein Grossteil der 850 AKW-Angestellten ist am Montag in den Streik getreten, um für die Weiterexistenz zu demonstrieren.
» Warum Fessenheim sich so gegen die Schliessung stemmt? Michel Schultheiss war im März 2015 für die TagesWoche vor Ort. Seine Reportage.
Und diese Mitarbeiter sind paradoxerweise gar nicht so unglücklich über die EDF-Beschlüsse von Dienstag. «Der Verwaltungsrat hat nur die Entschädigungsfrage geregelt», erklärte Gewerkschaftsvertreter Pascal Bakchich im Anschluss. «Den entscheidenden Punkt, nämlich das eigentliche Gesuch um Stilllegung, hat er offengelassen.»
Dieses Gesuch muss die EDF bei einer nächsten Sitzung beschliessen – und dafür ist noch kein Datum festgesetzt. Wenn es Lévy gelingt, diesen Beschluss über die Präsidentschaftswahlen von Anfang Mai hinauszuzögern, kann Hollande das endgültige Abschaltungsdekret nicht mehr unterzeichnen.
Hollande setzt alles auf Fessenheim, denn damit ginge der abtretende Präsident in die Geschichtsbücher ein.
Gelingt dem Staatschef hingegen die Unterzeichnung, könnte ein zukünftiger Staatschef Fillon den Entscheid nur mehr mit Mühe kippen: Ein neues Genehmigungsverfahren müsste in Gang gesetzt werden, und das würde mehrere Jahre dauern und Millionen kosten.
Hollande wird auch aus persönlichen Gründen alles daran setzen, den hochsymbolischen und hochpolitischen Fessenheim-Entscheid noch selber zu fällen. Er weiss, dass seine Amtszeit als weitgehend gescheitert gilt. «Fessenheim» ist deshalb seine letzte Chance, wenigstens umweltpolitisch Wort zu halten und in die französischen Geschichtsbücher einzugehen.
Das Ass im Ärmel von Hollande
Nach dem Pariser Wochenblatt «Le Canard Enchaîné» geht der Präsident derzeit mit «brutaler Erpressung» gegen EDF vor, um den Widerstand der Fessenheim-Befürworter noch zu brechen. So verknüpft er damit die Zukunft des neuartigen EPR-Druckreaktors in Flamanville, an dem EDF noch mehr gelegen ist als an dem alten Elsässer Werk. Hintertreibt der Stromkonzern die Abschaltung von Fessenheim, verweigert Hollande nämlich die Verlängerung der zehnjährigen Baubewilligung für Flamanville – die zufällig im April ausläuft.
Das erklärt wohl den Stichentscheid Lévys, der an sich gegen die Stilllegung des 40 Jahre alten Atomkraftwerks ist. Auf diese Weise hofft Hollande das Abschaltungsdekret in Fessenheim doch noch unter Dach und Fach zu bringen, bevor er den Elysée-Palast verlassen wird.