Aus dem Foto­archiv von Kurt Wyss: Den Karren aus dem Dreck ziehen

Rauchende Motoren, verbeultes Blech, knöcheltiefer Morast – und eine Riesenfreude am Schlam(m)assel…

Ende der Fünfzigerjahre waren Stockcar-Rennen auch in unserer Region noch ein spannendes Freizeitvergnügen für wilde Piloten und crashbegeisterte Fans. (Bild: Kurt Wyss)

Rauchende Motoren, verbeultes Blech, knöcheltiefer Morast – und eine Riesenfreude am Schlam(m)assel…

Verfahrene Situationen haben wir alle schon in irgendeiner Form erlebt und mehr oder minder problemlos wohl auch überstanden. Doch nicht jeder hat das Glück, dass ihn ein paar freiwillige Helfer aus dem längst nicht immer nur selbst verschuldeten Schlam(m)assel befreien, wie hier in Möhlin bei einem legendären Stockcar-Rennen auf durchweichtem Parcours.

Rein sportlich gesehen mag es ja unbedenklich scheinen, sich und sein Vehikel vorsätzlich und in diesem Fall ganz offensichtlich fahrlässig in schwierige Situationen zu bringen, um den Karren durch eigenes Können oder durch tatkräftige Mithilfe wieder aus dem Dreck zu ziehen wie der Lenker mit Startnummer 17 auf obigem Bild.
Der Schaden dabei hielt sich damals zum Glück in Grenzen. Das Auto, schrottreif schon beim Start, war nach dem Rennen nur unwesentlich ramponierter. Der Sieger litt ausser an harmlosen Prellungen höchstens unter einem häss­lichen Pokal, und die vorderste Publikumsreihe beklagte allenfalls ein paar Schlammspritzer an den Windjacken und im Gesicht.

Fast schon schade deshalb, dass solche Veranstaltungen aus allerdings durchaus ehrenwerten Sicherheits- und Umweltschutzgründen zumindest bei uns von der Bildfläche und damit auch von der Sujetpalette der Fotoreporter verschwunden sind. Besonders wenn man bedenkt, dass das wilde Fahrspektakel mit weit weniger geübten Lenkern und bei viel höherer Geschwindigkeit heute statt auf speziell abgesicherten Fahrstrecken praktisch alltäglich auf unseren öffentlichen Strassen praktiziert wird. Modernem Mobilitätsdenken zum Nutzen, Umwelt und Sicherheit zum Trotz.

Sich genauso fahrlässig und eher noch rücksichtsloser zu gebärden als beim Stockcar-Rennen ist über den simplen Sport hinaus ebenfalls noch weit verbreitet. Dass der Karren früher oder später im Dreck landet, entspricht auch in Wirtschaft und Politik durchaus gängiger «Rennstrategie». Hier wie dort gehört der finale Crash zum «Sport». Und hier wie dort wechselt der Lenker nach dem als Berufsrisiko einkalkulierten Fiasko allenfalls die Marke, jedoch kaum seine Ansprüche und schon gar nicht den Stil.

Zwar fühlt sich das Publikum bei dieser «zivilen» Art von Spektakel eher angeödet als unterhalten, doch da der Zuschauer hier jeweils nur indirekt zur Kasse gebeten wird, hat er letztlich auch in Kauf zu nehmen, dass den Chefpiloten regelmässig aus der Patsche geholfen wird, damit die Show mit neuem Elan und alter Mentalität weitergehen kann.
Was haben wir, wenn auch widerwillig, daraus zu lernen? Ganz offensichtlich dies: Jenen, die am Steuer sitzen, wird garantiert geholfen. Und den andern bleibt der Dreck.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25/11/11

Nächster Artikel