Den Kopf in den Sand stecken kann jeder. Sich mit dem Kopf am Boden aufrecht halten, braucht sehr viel mehr.
Markus Kutter: Historiker, Werbe-Ikone, Publizist, Politiker, Drehbuchautor und als leidenschaftlicher Querdenker für viele noch viel mehr. (Bild: Kurt Wyss)
Wer Hals über Kopf seine Haltung nicht nur zeigen, sondern für ein paar Augenblicke auch bewahren möchte, muss neben körperlicher Fitness zumindest drei weitere, unabdingbare Voraussetzungen erfüllen. Soll der Kopfstand nicht schon im Ansatz scheitern, benötigt er erstens ein starkes Rückgrat, zweites ausgeprägtes Balancegefühl und drittens eine gesunde Portion Selbstvertrauen.
Der «Umkehrschuss»
Der Mann, der sich am 14. August 1978 dem Basler Fotografen Kurt Wyss zum «Umkehrschuss» stellte, besass auch im Alter von damals 52 Jahren noch all diese Eigenschaften. Wahrscheinlich sogar im Übermass. Und wer diesen Mann persönlich gekannt hat, der weiss, wie absurd allein die Vorstellung ist, dass sich – was zum Zeitpunkt des Fototermins zumindest theoretisch möglich gewesen wäre – der Fotograf im Kopfstand befand, während sein Sujet völlig normal mit den Füssen auf dem Boden posierte.
Nein und nochmals nein: Die durch den Einfluss der Schwerkraft deutlich sichtbaren weissen Socken und die durch den plötzlichen Blutandrang ebenso klar erkenntliche Dunkelfärbung des Kopfes sind Gegenbeweis genug.
Der Mann: Markus Kutter. 1925 bis 2005. Geboren in Beggingen (SH). Früh nach Basel gekommen. Am Humanistischen Gymnasium «auf Burg» maturiert, promoviert 1954 in Geschichte. Mitbegründer der international erfolgreichen Werbeagentur GGK (Gerstner, Gredinger, Kutter). Schreib-, rede- und mediengewandt, spontan, unkonventionell, überzeugend, liberal. Nach 1975 Unternehmensberater und erfolgreicher Publizist. 1992 bis 1997 im Grossen Rat. Mitglied des Verfassungsrates und, und, und. Ein Mann, der wusste, wie gut er war. Wer es nicht wusste, hatte es rasch zu lernen. So begeisterte er seine Anhänger, so erwarb er sich Gegner – und Neider.
Mit oder ohne Kopfstand
Was andere zu denken vergassen, sich zu denken verboten oder nicht zu denken vermochten – er dachte es in kompromissloser Konsequenz. Lautstark, ohne Rücksicht auf historische Gegebenheiten, gesellschaftliche Konventionen, politisches Kalkül oder finanzielle Sachzwänge. Wer anders als er hätte es je gewagt, nach dem Debakel um die Wiedervereinigung eine Volksinitiative zum Beitritt des Kantons Basel-Stadt zur Landschaft zu propagieren? Er, der handkehrum sogar ernsthaft mithalf, als Schnitzelbangg-Juror die Spreu vom Weizen zu trennen. Grosse Auftritte waren für ihn auf allen Bühnen möglich. Mit und ohne Kopfstand.
Was ist für uns weit weniger Vielseitige, weniger Umtriebige, daraus zu lernen? Sicher dies: Kaum einer, der sich spontan auf den Kopf stellt, vermag die Welt mit sich zu drehen. Aber längst nicht jeder, der das öfter mal tut, sieht die Welt a priori verkehrt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 20/01/12