Bis das Rotlicht erlischt – der Verdrängungskampf im Milieuviertel

Das Basler Milieuviertel ist im Umbruch. Restaurants und Bars verdrängen Animierlokale, der Strich wird mit Bodenmarkierungen in die Schranken gewiesen. Das nennt sich Aufwertung, und die fordert ihre Opfer.

Auf Kundenfang: Sex­workerin,
fotografiert durchs Laden­fenster
der benachbarten Coiffeuse Heidy Ruf.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Das Basler Milieuviertel ist im Umbruch. Restaurants und Bars verdrängen Animierlokale, der Strich wird mit Bodenmarkierungen in die Schranken gewiesen. Das nennt sich Aufwertung, und die fordert ihre Opfer.

Das Basler Rotlichtviertel ist umzingelt. Und der Druck steigt: Der Ort, wo die Prostitution am sichtbarsten ist, die Kleinbasler Altstadt rund um die «Toleranzzone» entlang von Weber- und Ochsengasse, wird von allen Seiten bedrängt. Seit einigen Monaten spielt sich in Basel ab, was etwa in Zürich oder Hamburg bereits weit fortgeschritten oder vollzogen ist: der Verdrängungskampf zwischen Milieu auf der einen Seite und Szenebars und hochwertiger Gastronomie auf der anderen Seite. Erste Vorboten dieser Entwicklung waren die umgenutzte «8Bar» (Rheingasse) oder die bereits wieder geschlossene «Lady Bar» (Ecke Klybeck-/Feldbergstrasse). Ein Augenschein und Gespräche an verschiedenen Schauplätzen.

Ochsengasse

Thomas Rutishauser gehört das Haus an der Ecke Ochsengasse/Sägergässlein. Er hat die Liegenschaft einst an einer Gant ersteigert. Die Wohnungen werden seit vielen Jahren von Prostituierten genutzt, hauptsächlich von Thailänderinnen.

Im Erdgeschoss der Liegenschaft hat vor wenigen Wochen der «Rote Bären» eröffnet, ein Restaurant mit Bar. Es ist das neueste In-Lokal der «Grenzwert»-Betreiber. Der «Bären» steht sinnbildlich für die Aufwertung des Kleinbasler Milieus. Mit einer Schnitzelbeiz hat das nichts gemein. Hier sind die Preise hoch und die Portionen klein. Die Küche ist raffiniert, die Teller sind durchkomponiert. Das Gleiche gilt für die Inneneinrichtung. Stil regiert.

Wir treffen Rutishauser – ein Mann, der seine Sonnenbrille auch im Schatten trägt und sofort das Du anbietet – zu einem Feierabendbier, draussen in der Ochsengasse. Der «Bären» hat dort Tischchen aufgestellt, in direkter Nachbarschaft zum Hauseingang, vor dem die Sexarbeiterinnen auf Kunden warten. Zukunft und Vergangenheit dieser Strassenecke leben hier gegenwärtig noch in Koexistenz. «Ende Jahr ist Schluss mit Puff, ich habe sämtliche Mietverträge mit den Prostituierten gekündigt», sagt Rutishauser.

Der Staat sorgt für Ordnung I: Die Polizeimarkiert Präsenz in der Ochsengasse.

Der grösste Erfolg, den der Runde Tisch verzeichnen kann, ist jedoch ein anderer: Es gelang der Gruppe, einen Hausbesitzer davon zu überzeugen, seine Liegenschaft umzunutzen. Bernhard Thommen, Eigentümer des Gebäudes am Klingental 18, hat den Prostituierten gekündigt und die Räume saniert. Jetzt befinden sich im ehemaligen Bordell normale Wohnungen. Damit sind die Sexarbeiterinnen und mit ihnen die Freier verschwunden.

Ein Erfolg ist auch die Szenebar «Renee» im Erdgeschoss derselben Liegenschaft. Seit einem Jahr können sich Cocktail-Connaisseurs dort durch eine gut sortierte Spirituosensammlung trinken. Auch die Partys sind gut besucht. In diesem Sommer konnte man im «Renee» zum ersten Mal auch draussen sitzen. An einem Donnerstagabend im Juli sind die Stühle restlos besetzt. Auf der Kiesfläche findet ein Boule-Turnier unter Freunden statt, auf einem Tischchen steht eine gekühlte Flasche Weisswein. Rund um den Platz stehen unzählige Velos. Auf den Stufen vor dem «Renee» hat sich eine grosse Gruppe Jugendlicher versammelt, die ihre Getränke selber mitbringen. Es ist eine Szenerie, die vor einem Jahr noch undenkbar gewesen wäre.

Die stärkere Durchmischung nimmt Daniele Staffiere, der Wirt im «Klingeli», erfreut zur Kenntnis. «Das Publikum im Quartier hat sich spür- und sichtbar verändert. Es kommen Menschen, die sich früher nicht in diesen Teil Kleinbasels getraut hätten. Das tut dem Quartier gut.» Es sei nicht zuletzt neuen, milieufernen Wirtepersönlichkeiten zu verdanken, dass die Gegend heute einen besseren Ruf habe. Für sein Lokal habe die Entwicklung ganz konkrete Folgen. «Wir orientieren uns heute mehr Richtung Kaserne und am dortigen Publikum, während wir früher zu guten Teilen vom Rotlicht lebten», sagt Staffiere.

Heidy Ruf, Coiffeuse an der Webergasse: «Wenn ich die Damen bitte, sich vom Eingangzu meinem Laden fernzuhalten, dann werde ich verhöhnt.»

Gleichzeitig mit dem Wettbewerb hat sich in der Webergasse auch der Ton verschärft. Die Stimmung unter den Frauen wird aggressiver, Rivalitäten spitzen sich zu. Dies bekommen auch Unbeteiligte und Anwohner zu spüren. So wird etwa für Heidy Ruf, die in der Webergasse einen Herrencoiffeursalon betreibt, schon seit einigen Monaten die Lage immer unerträglicher. Ihre Kunden klagen über die immer aggressivere Anmache, die manchmal bis zur körperlichen Belästigung reicht. «Wenn ich raus auf die Strasse gehe, um die Damen zu bitten, sich von meinem Schaufenster und Eingang fernzuhalten, werde ich verhöhnt», sagt Ruf.

Ruf fürchtet um ihre Stammkundschaft und will sich wehren. Sie hat damit angefangen, die Frauen zu fotografieren, wenn sie sich verbotenerweise in ihren Hauseingang setzen oder vor ihrem Schaufenster postieren. Hilfesuchend hat sie sich an Aliena gewendet, die Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, doch gefruchtet habe das kaum. Schliesslich gelangte Ruf an ihren Vermieter, Rolf Boner vom gleichnamigen Elektrogeschäft an der Rheingasse.

Dieser setzte sich mit einigen Anwohnern zusammen, um herauszufinden, ob es noch andere gibt, die sich an der heutigen Situation stören. Vorübergehend waren sie alle zusammen in einer Art Interessensgemeinschaft mit dem Namen «Vorwärts Ochsengasse Webergasse», kurz VOW, engagiert. Sie wollten eine Belebung bewirken, die Durchmischung stärken. Etwa mit einer intensivierten Aussenbewirtschaftung durch die verschiedenen Gastronomen. Doch die Idee stiess auf wenig Begeisterung. Zwar haben fast alle Kontaktbars und Milieukneipen heute eine Boulevardbewilligung, genutzt werden diese jedoch kaum. VOW schlief wieder ein, für Heidy Ruf aber wurde die Situation immer schlimmer.

«Ich befürchte, dass die ganze Gegend in Verruf gerät.»

Rolf Boner, Vermieter an der Webergasse

Schliesslich hat sich Boner zusammen mit Ruf in einem Brief an Baschi Dürr gewandt, den Vorsteher des zuständigen Justiz- und Sicherheitsdepartements (JSD). Darin klagen die beiden ihr Leid und fragen sich, ob der Begriff «Toleranzzone» nicht in beide Richtungen zu verstehen sei. Also so, dass sich sowohl die Sexarbeiterinnen als auch Anwohner und Gewerbetreibende gegenseitig mit Toleranz und Respekt begegnen sollten. «Wir wünschen uns, dass diese Zone ihrem Namen wieder gerecht wird», schreiben Ruf und Boner. Weiter machen sie einige Vorschläge, wie sich die Situation entspannen liesse. Beispielsweise durch eine zeitliche Beschränkung der Toleranzzone.

Es verging nur wenig Zeit, bis die beiden eine Antwort erhielten. «Nach den Sommerferien ist uns ein Treffen mit Vertretern des JSD in Aussicht gestellt worden», sagt Boner. Vielleicht lässt sich dann verhindern, was Boner befürchtet: «Dass die gesamte Gegend in Verruf gerät.»

Es wäre dies eine paradoxe Nebenwirkung: Dank Aufwertung verschlechtert sich der Ruf des Kleinbasler Rotlichtmilieus.




(Bild: Hans-Jörg Walter)

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