Das Publikum weiss mehr als wir

Vor einer Woche stellten wir 5 Thesen zum wachsenden Misstrauen gegen die Medien zur Diskussion. Insgesamt erhielten wir rund 700 Rückmeldungen. Der Versuch einer Zusammenfassung.

«Dear government, we are watching you», 2. November, 2014. (Symbolbild) (Bild: © Damir Sagolj / Reuters)

Vor einer Woche stellten wir 5 Thesen zum wachsenden Misstrauen gegen die Medien zur Diskussion. Insgesamt erhielten wir rund 700 Rückmeldungen. Der Versuch einer Zusammenfassung.

Einmal mehr zeigt sich, wie mächtig das Konzept des Open Journalism sein kann: Unserem Aufruf, 5 Thesen zum Misstrauen gegen die Medien kritisch zu diskutieren, folgten bis jetzt 140 Menschen – und dabei kam eine unerwartet grosse Menge von erhellenden Beiträgen zusammen. Die zahlreichen, ausgesprochen differenziert dargebrachten Voten haben unsere eigene Sicht auf das Thema deutlich erweitert und bilden damit eine hervorragende Ergänzung zu unserer Analyse. Allen Mitwirkenden gebührt an dieser Stelle unser herzlicher Dank.

Bevor wir diese Analyse als Endprodukt eines journalistischen Prozesses in der stark komprimierten Form eines Essays publizieren, veröffentlichen wir sozusagen als Zwischenschritt eine Zusammenfassung dieser Wortmeldungen. Dabei betrachten wir die einzelnen Thesen als isolierte Sinneinheiten. Die jeweils dazu gehörenden Rückmeldungen wurden thematisch gruppiert und mit besonders pointierten Beispielen illustriert. Hier die fünf Thesen:

Wer sich die ungeordnete Gesamtheit der Leserbeiträge zu Gemüte führen möchte, findet sie hier. Sollten Sie sich vertieft für dieses Thema interessieren und einen freien Abend zur Verfügung haben, möchten wir ihnen die Gesamtlektüre wärmstens ans Herz legen. Unsere Zusammenfassungen werden dem Facettenreichtum der eingebrachten Gedanken aufgrund unseres journalistischen «Komprimierungsgebots» nur ansatzweise gerecht. Fallen Ihnen dabei andere Themenstränge auf, als die von uns identifizierten? Dann freuen wir uns über weiteres Feedback in der Kommentarspalte.

These 1:
Wer nicht zweifelt, ist unglaubwürdig

Die wahrgenommene Komplexität der Welt nimmt zu, das führt zu mehr Ambivalenz und Unsicherheit. Das alte Muster «Journis erklären die Welt» greift nicht mehr. Viele Redaktionen halten dennoch daran fest, Zweifel sind nicht erlaubt. Sie werden deshalb unglaubwürdig.

Gedanken aus der Community:

Kritische Zeitgenossen haben die Welt schon immer als komplex wahrgenommen, neu ist lediglich, dass sie diese Einschätzung via Internet auch der Welt kundtun können. Medien bewegen sich dabei immer in einem Spannungsfeld zwischen Komplexität und Vereinfachung: Es ist zwar Aufgabe von Journalisten, komplexe Themen zu verstehen und sie dann möglichst verständlich an die Öffentlichkeit zu bringen. Gleichzeitig macht es die grassierende Simplifizierung aber leicht, die Berichterstattung mindestens in Teilen zu falsifizieren: Je zugespitzter, einseitiger, polarisierender und vereinfachter ein Sachverhalt dargestellt wird, desto leichter fallen den Lesenden Gegenbeispiele oder andere, im Beitrag vernachlässigte, Faktoren ein.

Es ist nach wie vor Aufgabe der Medien, die Welt zu erklären und dabei «Referenzcharakter» zu entwickeln. Das funktioniert aber nur, wenn unterschiedliche Blickwinkel ausgeleuchtet, transparent gearbeitet sowie Recherche und Meinung klar voneinander getrennt werden. Der Begriff «Zweifel» ist im Kontext dieser These das falsche Wort: Es geht vielmehr darum, eine starke Kritik-Kultur zu entwickeln, denn «Zweifel ist eine unreflektierte Infragestellung von Vorgängen – Kritik ist demgegenüber ein aufklärerisches Element, um die Welt besser zu verstehen. Oder anders: Wer zweifelt, bleibt unglaubwürdig. Wer Fremd- und Eigenkritik pflegt, stärkt die eigene Glaubwürdigkeit und macht neugierig». Gerade in Bezug auf letzteres gibt es grossen Verbesserungsbedarf, oft sei der ursprüngliche Fehler nämlich «signifikant kleiner als die Empörung, die durch die nicht erfolgte Korrektur und Entschuldigung hervorgerufen wird».

Viele Wortmeldungen rücken bei dieser These die strukturellen Probleme der Medien ins Blickfeld: So erscheint die Berichterstattung in weiten Teilen von einigen wenigen Agenturen abhängig, was ein Einfallstor für Manipulationsversuche darstellt. Dazu kommt, dass Fehlleistungen in einem Fachgebiet, in dem der Leser grosse Expertise besitzt und diese folgerichtig als solche erkennt, zu Zweifeln an der gesamten Berichterstattung eines Mediums führen.

Folgende Wortmeldung fasst das mannigfaltig Geschriebene vielleicht am treffendsten zusammen: «Ich wäre froh, wenn mehr Journalisten probieren würden, mir die Welt zu erklären, und nicht Hintergründe durch Sensationen und Parolen oder gleich durch Gossip ersetzten. Ich wünsche mir, dass die Eilmeldungen verschwinden und es nicht darum ginge, wer als erstes über etwas berichtet, sondern wer am besten.»

 

These 2:
Medien üben den Konsens

Diese Glaubwürdigkeitsprobleme sind auch in Bezug auf einen weiteren Aspekt hausgemacht: Vom Mainstream abweichende Meinungen werden von etablierten Redaktionen zu wenig ernst genommen und entsprechend selten in der Berichterstattung thematisiert.

Gedanken aus der Community:

Die Wortmeldungen zu dieser Aussage fielen deutlich kontroverser aus, als diejenigen zu These 1. Viele Kommentatoren stimmen klar zu und beklagen ein massives «Beharren auf einem angeblich unter Vernünftigen nicht zu bezweifelnden Konsens». Journalismus erscheint aus dieser Perspektive als Herdenveranstaltung, in der die immer wieder aufflackernden Diskussionen über «nicht-traditionelle» Medien und die Verweigerung des «Jornalismus»-Siegels für solche Angebote und ihre Macher allzuoft einen Kastengeist aufzeigen, der letzlich nichts weiter als Angst vor der Zukunft ist und «echte» Informationen nur von Standesgenossen akzeptiert. Die Folge: Man bleibt unter sich, verweigert sich dem Austausch und stagniert.

Anderen geht unsere These nicht weit genug: Abweichende Meinungen werden erwähnt, ohne dass man ihnen mit klugen Argumenten begegnet. Ihre Vertreter werden als Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme, Linksextreme, Putinfreunde, Obamafreunde, abgestempelt und so mit einer weitgehend substanzfreien «Das-ist-doch-Quatsch»-Polemik abgetan. Das, so die Kommentatoren, trägt viel zum allgemeinen Misstrauen bei.

Verunglimpfungen benutzt aber auch die «Gegenseite», wie in folgendem Kommentar deutlich wird: «Benutzen Sie nie wieder ernsthaft das Wort ‹Mainstream› im Zusammenhang mit Journalismus. Es handelt sich um einen inzwischen negativ belegten, extrem despektierlichen Begriff, den insbesondere Verschwörungstheoretiker benutzen, in ihrer Sicht der Dinge synonym mit ‹gleichgeschaltete Systemmedien›. Was soll das also sein, vom Mainstream abweichende Meinungen? Es geht bei der Glaubwürdigkeit um Fakten. Und da gibt es nur wahr oder falsch. Wer das nicht glaubt, kann nicht Journalist sein.»

Abweichende Meinungen können allerdings auch zum Selbstzweck werden, wie in folgendem Votum postuliert wird: «Wenn der Diskonsens nur gepflegt wird, damit ein Medium glaubwürdig ist, öffnet es sich für Verschwörungstheorien. Erinnert sei an die Haltung von ‹Weltwoche› und BaZ, die nur im Abweichen vom Mainstream Aufmerksamkeit zu erhaschen versuchen.»

Viele Stimmen argumentieren in eine ähnliche Richtung: Es gibt durchaus gute Gründe für eine Konsens-Meinung, die sich idealerweise auf rationalen Argumenten abstützt. «Eine Meinung ist nicht besser oder schlechter, nur weil sie vom Mainstream abweicht. Der Mainstream wiederum sagt nichts über richtig und falsch oder wahr und unwahr aus. Wenn das Ernstnehmen von abweichenden Meinungen bedeutet, dass die Medien diese auf rationale Argumente hin abklopfen und dasselbe mit dem medialen Mainstream tun, ist das eine gute Sache.»

Und auch hier scheint es letztendlich auf die Transparentmachung der Gedankengänge hinauszulaufen: «Guter Journalismus ruht sich nicht auf Gemeinplätzen und Binsenwahrheiten aus. Er hinterfragt sie. Und ganz wichtig: Er argumentiert für oder gegen sie. Wie gute Wissenschaft muss auch Journalismus seine Ergebnisse und Behauptungen immer wieder neu hinterfragen und belegen. Argumentativer Journalismus kann problemlos vom Konsens weg und einmal einen ‹verrückten› Ansatz verfolgen, wenn er sichtbar macht, woher seine Thesen stammen, und wie er sie begründet.»

 

These 3:
Verschwörungstheorien füllen Lücken in der Berichterstattung

Weil das daraus resultierende Informationsvakuum schwer auszuhalten ist, wird es durch die Fantasie der Leser und/oder Verschwörungstheorien ausgefüllt. Diese bieten überschaubare Schwarz-/Weiss-Erklärungen für komplexe Sachverhalte und bieten damit Halt in der Ungewissheit.

Gedanken aus der Community:

Auch hier gingen die Meinungen weit auseinander. Viele merkten an, dass der Begriff «Verschwörungstheorie» gleichsam als «Totschlagargument» benutzt wird, wenn es darum geht, unbequeme Wahrheiten abzukanzeln: «Nicht selten werden sehr seriöse investigative Journalisten, die sich der Wahrheitsliebe verpflichtet in die Nesseln setzen, als der ‹Verschwörungstheorieszene› zugehörig bezeichnet. Das ist ein Totschläger sondergleichen, ein Armutszeugnis für fehlende Argumente. Ein ausgedachtes Konstrukt, um missliebige Meinungen und sorgfältig recherchierte Berichterstattungen zum Schweigen zu bringen.»

Ebenfalls wurde angemerkt, dass Beispiele wie die NSA-Überwachung oder die Skandale aus der Bankenbranche vor ihrem Bekanntwerden von einer Mehrheit als Verschwörungstheorien abgetan worden wären. Aufgabe des Journalismus ist in dieser Lesart, Wahres von Falschem zu unterscheiden und so seiner aufklärerischen Mission gerecht zu werden. Stellvertretend für diese Position sei folgendes Votum herausgegriffen:

«Es gibt hanebüchenen Unsinn (Chemtrails, Weltherrschaft der Echsen) und Verschwörungstheorien die sich als wahr erwiesen (Überwachung von allem und jedem). Und es gibt die Wahrheit, die manchmal auch irgendwo in der Mitte liegt. Ich finde, es ist Aufgabe des Journalismus, hier Licht ins Dunkel zu bringen und dem Schwarz und dem Weiss noch andere Farben hinzuzufügen, sofern sie vorhanden sind. In dem Zusammenhang habe ich das (unbestätigte) Gefühl, dass Journalisten nur noch viel zu selten dahin gehen, wo es wirklich weht tut – z. B. hinter die gesellschaftlichen Kulissen. Niemand will anecken, weil die Karriere sonst im Allerwertesten ist. Kaum einer greift Themen auf, die nicht ins Meinungsbild passen. Fragen an Politiker und andere Entscheider sind meistens weichgespült und politisch viel zu korrekt formuliert. Was fehlt, ist das Nachhaken und Einfordern, das In-die-Ecke-Treiben und Dranbleiben, was fehlt sind Journalisten, die ihrem Gesprächspartner im Interview die Hintertüren vor der Nase zuknallen. Aber ja, ich weiss. Ein Journalist, der beispielsweise Angela Merkel derart begegnete, würde ihr nie wieder begegnen. Genau so wenig allen anderen, die in irgendeiner Form kritisches Nachfragen fürchten müssen. Deshalb blühen die Verschwörungstheorien. Weil die Vierte Gewalt nicht mehr als Vierte Gewalt wahrgenommen wird.»

In eine andere Richtung geht folgende Anmerkung, die von einer Konditionierung des Publikums hin zu komplexen Erklärungsmustern ausgeht. Demnach werden Zusammenhänge und bewusst handelnde Akteure in Geschehnisse hineininterpretiert, auch wenn es diese eigentlich gar nicht gibt: «Gleichermassen drängt die Fantasie oder der Druck eine Geschichte zu finden Journalisten und Leser dazu, einfache Sachverhalte aufzuladen, also grösser und komplizierter darzustellen. Als Folge der Gewöhnung daran verlieren simple Sachverhalte an Glaubwürdigkeit bei den Rezipienten. Einfache aber korrekte Erklärungen genügen nicht mehr, sondern müssen zwingend die Gaukelei dunkler Puppenspieler sein. Weiter führt die voranschreitende Personalisierung der Bererichterstattung dazu, dass bei komplexen Sachverhalten vermehrt gezielt handelnde Akteure als Ursache vermutet werden und die Möglichkeit eines nicht-intendierten Ergebnisses aus diversen unabhängigen Variablen ausgeschlossen wird.»

Die These erfährt aber auch Zuspruch, zum Beispiel hier: «Stimmt total. Ich habe den Eindruck, dass für viele Menschen Verschwörungstheorien eine Art Ersatzreligion darstellen. Nur die Eingeweihten haben die Erkenntnis der wirklichen Wahrheit, während alle ‹Ungläubigen› naive Dummköpfe seien, die die Lügen und Propaganda der Systempresse glauben würden.»

 

These 4:
Zweifler finden sich im Netz und bestärken sich gegenseitig

Das Aufkommen von sozialen Medien spielt bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle: Zweifel, die bisher jeder für sich im stillen Kämmerlein hegte, werden nun von aussen bestätigt. Daraus entsteht eine Dynamik, man schaukelt sich gegenseitig hoch oder bildet (ideelle) Netzwerke Gleichgesinnter, die sich gegenseitig in ihrem Weltbild bestärken: «Was meinen Standpunkt bestätigt, das stimmt. Was im Widerspruch dazu steht, ist Lüge und Manipulation».

Gedanken aus der Community

Bei dieser These schlug uns der steifste Wind entgegen, Widerspruch wurde oft und in teilweise scharfem Ton geäussert. Beispielhaft für diesen Standpunkt: «Hier wird unterstellt, dass jeder, der an Medienberichten zweifelt, ein Spinner sei, der in seinem stillen Kämmerlein Verschwörungstheorien ausbrütet – naja, wer kritische Leser unisono in diese Ecke stellt, spinnt selber ein wenig, da er offenbar meint, die Wahrheit gepachtet zu haben.»

Oft wurde auch bemerkt, dass es sich hierbei um eine Entwicklung handelt, die einerseits nicht neu ist und andererseits genau so auch für die etablierten Medien gilt: «Ein putziges Argument angesichts der Verteidigungsstrategie einiger ARD/ZDF-Verantwortlicher, die ernsthaft behaupteten: Unsere Berichterstattung muss richtig sein, wird sie doch von der Mehrheit der Presse geteilt. Die Selbstreferenz der Medien, ihre unheilvolle Neigung, nicht auf die Wirklichkeit ausserhalb der Redaktionsstuben zu sehen sondern nur auf die Schlagzeilen und Leitartikel der Kollegen, gehörte lange zu den Essentials ernsthafter Medienkritik. Wenn es ähnliche Meutenphänomene jetzt auch im Netz gibt, ist das nichts Neues und hat mit dem Aufkommen sozialer Medien rein gar nichts zu tun.»

Oder noch pointierter ausgedrückt: «Das gilt genauso für die etablierten Medien. Man bestärkt sich gegenseitig darin, dass man recht hat. Besonders beim Thema ‹der Westen ist gut und die Russen sind böse›. Natürlich läuft in Russland einiges falsch, so wie im Westen auch. Der grösste Moralapostel, die USA, hat in diesem Punkt das grösste Problem mit der Glaubwürdigkeit. Stichwort Guantanamo oder Töten von Menschen mit Drohnen ohne Gerichtsurteil.»

Es gab aber auch die gegenteilige Position, bei der in vielen Fällen ein Erklärungsversuch gemacht wurde: «Richtig: Die sozialen Medien ermöglichen den vermeintlich persönlichen Informationsaustausch. Der erzeugt mehr Vertrauen als der Weg über persönlich Unbekannte, die in den Medien Informationen verbreiten, ein psychologisch begründeter Prozess. Umso mehr müssen sich Medien um Vertrauensbildung bemühen, indem sie ihre eigene Allwissenheit in Zweifel ziehen und ihren Diskurs zum Thema in Argumenten und Gegenargumenten öffentlich machen.»

Und auch hier gab es noch extremere Standpunkte: «Wo ein Tor singt, hallt bald ein Torenchor. Mag sein, und ist im Zeitalter sozialer Medien ein beschleunigtes Phänomen. Neugier im philosophischen Sinn und die existentielle Notwendigkeit, objektiv und ausgewogen zu denken, sind nun mal nicht Tugenden, welche in unserer westlichen, wachstumsorientierten Hochleistungsgesellschaft an erster Stelle stehen. Man wünscht sich halt eher einen möglichst einstimmigen Toren-, Pardon, Konsumentenchor. Honi soit qui mal y pense!»

Als zentrales Problem wurde die Schrillheit der Diskussion auf «Mitmachmedien» identifiziert, welche besonnene Stimmen von vornherein abschreckt: «Die Zweifler sind auch die Lautesten in den Foren der Tagespresse. Bisweilen ist das Niveau derart tief, dass man sich schämt, in eine Diskussion einzugreifen. Dadurch werden dann wirklich fast nur die Schreihälse gehört. Ähnlich ist es in der Politik. Seit der Populismus wieder salonfähig geworden ist, bemühen sich immer mehr Parteien und Interessensverbände dieser – leider funktionierenden – Taktik.»

Mehrere Kommentatoren wiesen darauf hin, wie man diesem Problem aus Sicht der Medien begegnen könnte. Anknüpfend an unsere These schreibt jemand zum Beispiel: «Würden sich die Zweifler und ihre Fragen in den Medien finden, wäre dies glaubwürdiger. Würde dann noch auf deren Thesen ernsthaft eingegangen, hätten sie sogar eine Zukunft. Aber die strukturgewordene Diskursexklusion trägt nur zum Niedergang etablierter Medien bei – aus Mangel an Glaubwürdigkeit.»

Etwas differenzierter analysiert dieser Kommentator, wenn er schreibt: «Das hat nichts mit dem Netz zu tun. Offensichtlich erleben Sie nun, dass es mehr als ein solches Netzwerk geben kann. Ihre Redaktion stellt vermutlich auch ein solches Netzwerk dar. Sie wissen nicht, ob Sie sich nicht irren. Ebensowenig wissen es die anderen. Wenn jemand einem nicht glaubt, sollte man härter nachdenken, härter recherchieren, mehr zweifeln und seine Position hinterfragen. Spätestens wenn man sieht, dass andere eine Meinung haben, sollte man als Journalist darüber nachdenken, ob man falsch liegt. Im Idealfall ist man als Journalist der erste Abweichler – nicht der letzte.»

These 5:
Transparenz verstärkt paradoxerweise das Misstrauen

Insgesamt funktioniert das «Immunsystem» der Öffentlichkeit dank sozialen Medien besser denn je: Fehlleistungen werden schnell aufgedeckt und Korrekturen verbreitet. Das ist aber auch ein Mitverursacher des Misstrauens. Jeder Fehler, der bekannt wird, schürt die Zweifel am ganzen Rest der Berichterstattung.

Gedanken aus der Community

Bei dieser These war sich ein Grossteil der Kommentatoren einig: Es geht nicht um die Fehlleistungen an sich, sondern darum, wie damit umgegangen wird. «Wie sieht das Fehlermanagement aus?», bringt es ein Leser exemplarisch auf den Punkt. «Wird da klar der Mist genannt, der gemacht wurde, oder eiert man lieber so rum, wie neulich Dr. Kai Kniffke im tagesschaublog, beim Thema Ukraine-Berichterstattung? Jemand der offen mit seinen Fehlern umgeht und daraus lernt, ist glaubwürdig.»

Transparenz wird in diesem Zusammenhang mehrfach als ein weiter auszudifferenzierender Begriff betrachtet, wie folgender Kommentar zeigt: «Was meinen Sie, wenn Sie von ‹Transparenz› sprechen? Ich verstehe die These wie folgt: Zeitung A schreibt Mist. Zeitung B / Blog X / Person Y deckt das auf. Zeitung A schämt sich und gelobt Besserung. Über die tatsächlichen Vorgänge und Ideen zur Verbesserung erfährt man nur wenig. Die Sache ist irgendwann vergessen und es geht weiter wie gehabt. Transparenz bedeutet jedoch, dass man seine Quellen so weit wie möglich offenlegt, so dass jeder, der gegenteiliger Meinung ist, einen Anhaltspunkt hat.»

Von entscheidender Wichtigkeit ist auch in diesem Zusammenhang das kritische Hinterfragen der Informationsquellen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um traditionelle oder soziale Medien handelt: «Wer eine komplexe Welt zu verstehen versucht, darf sich sowieso nicht alleine auf die journalistische Berichterstattung verlassen, und dies gilt nicht erst seit gestern. Ein gesundes Misstrauen ist heute ebenso aktuell wie vor 100 Jahren. Zudem impliziert verstärkte Transparenz keinesfalls Fehlerfreiheit. Vielmehr lässt sie uns per Definition mehr Fehler erkennen. Ein fruchtbares Terrain also für das kritische Denken.»

Um das leisten zu können, ist aber Medienkompetenz gefragt – ebenfalls ein Punkt, der sich als roter Faden durch viele der Wortmeldungen zieht. Dabei seien die Ansprüche mit dem Aufkommen neuer Medien noch einmal deutlich angestiegen, wie dieser Kommentar verdeutlicht: «Medienkompetenz ist hier das Stichwort. Die fehlt oftmals bzw. die wurde zu Zeiten der Papierzeitung erlernt. Die neuen Medien erlauben viel mehr Kanäle und Meinungen, da muss der Rezipient hinreichend differenzieren und reflektieren sowie Zusammenhänge herstellen oder Interessenlagen erkennen können. Dabei könnten die ‹klassischen› Medien unterstützen, indem sie die relevanten Informationen und insbesondere Fakten zusammentragen und präsentieren – dann kann der Leser den Rest der Darstellungen in der Medienwelt besser einschätzen.»

Offene Frage:
Weitere Gedanken

Übersehen wir einen entscheidenden Aspekt? Wird hier unnötig dramatisiert? Lassen Sie uns hier wissen, was nicht zu den obigen Thesen passt.

Unsere Abschlussfrage wurde naturgemäss sehr unterschiedlich beantwortet. Nachfolgend eine unkommentierte Auswahl von besonders pointierten Wortmeldungen, nach Themen geordnet:

Verbesserungsvorschläge

«Was ich von Journalisten erwarte, ist, dass sie mehr Quellen als ich haben und die auch angeben. Dass sie wissen, dass sie nicht alles wissen können, und sich nicht lächerlich machen, indem sie versuchen, dem Leser etwas zu erklären, was sie selber nicht verstehen. Paradebeispiel ist da alles, was mit Quantenphysik zu tun hat. Trotzdem können sie die Quellen analysieren und zusammentragen, die Qualität von Quellen kommentieren und das Fehlen von Informationen hervorheben. Ein Journalist sollte ein Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf die letzte Woche sein. Im besten Fall kann er mir neue Quellen ausserhalb meiner Filterblase zeigen und mir, wenn er mein Vertrauen gewinnt, mit seiner Interpretation die Arbeit abnehmen, diese Quellen selber zu studieren. Für dieses Vertrauen ist es aber wichtig, dass der Journalist seine Arbeit transparent macht. Alle Quellen belegt, Einflussnahme von Politik und Wirtschaft offen dargelegt, persönliches Interesse kennzeichnet. Was hat ein Journalist, was das Geschrei auf Twitter nicht hat? Argumente, die er belegen kann. Wenn das nicht der Fall ist, brauche ich den Journalisten nicht.»

«Wir müssen die Werte der Aufklärung wieder vermehrt ins Feld der öffentlichen Debatten führen, wir müssen Kritik formulieren können und empfangen können. Wir müssen die Widersprüche, die zu mehr gesellschaftlicher Transparenz führen aushalten können. Ein Medium wird dann erfolgreich sein, wenn es Debatten kritisch führt, emanzipatorisch reflektiert und Dummheiten immer wieder entgegentritt – wohlwissend dass niemand vor dieser gefeit ist.»

Ergänzende Thesen

«These 6: Die Leserschaft wird nicht mehr ernst genommen. Leser, die Kritik anbringen, werden oftmals ignoriert und in die Ecke der Verschwörungstheoretiker/Spinner gestellt. Meist führen die subjektiven Meinungen, die mehr oder weniger in Berichten mitschwingen, gänzlich am Thema vorbei oder entfernen sich von der tatsächlichen Lebenswelt der Konsumenten.

These 7: Die Kürze der aktuellen Medienzyklen verhindert eine breite Debatte und desensibilisiert die Leser für viele Themen. Oftmals wird in den Medien selbst auch die Kürze der Medienzyklen kritisiert. Wenn man sich in einem Thema etwas festgebissen hat und mehr darüber erfahren will, steht oftmals schon das nächste auf der Tagesordnung. Zwar kann man sich immer noch weiter informieren, aber durch die Dominanz anderer Themen in den Medien hat die alte Debatte praktisch an gesellschaftlicher Relevanz abgenommen. Aufgabe der Medien sollte es ebenso sein, am Ball zu bleiben und Antworten unnachgiebig zu fordern.»

«These 6: Der Journalismus scheitert an der Aufklärung. Und zwar nach dem von Krugman beschriebenen Muster: A sagt, die Erde sei eine Scheibe, B sagt, die Erde sei eine Kugel. Berichtet wird: Form der Erde umstritten. Den Sieg tragen sodann jene Pressure Groups davon, die am lautesten schreien (was zumeist mit ihrer ideologischen Hegemonie und ökonomischen Stärke einhergeht). Die Ermangelung einer adäquaten Darstellung der Empirie, die die Bildung einer echten eigenen Meinung ermöglicht, führt dazu, dass Sachverhalte zu Glaubenskriegen werden, die an Zeiten vor der Aufklärung gemahnen.»

«Fragen wir doch auch noch nach den Rahmenbedingungen. welches – organisationale – Umfeld würde es denn dem Journalismus ermöglichen, den Thesen 2 bis 5 etwas entgegenzuhalten? Ich meine, dass es eine Rolle spielt, wie Journalismus organisiert ist. Also: welche Rolle spielt z.B. die Überwucherung durch ökonomische Rationalität? Das sollte zumindest auch mitdiskutiert bzw. nicht ausgeblendet werden.»

Die Arroganz der Journalisten

«Was in Ihren Überlegungen fehlt: die schon unglaubliche Selbstgerechtigkeit der Medienmacher, die bisher mit aggressiver Arroganz und dem Willen zur Denunziation der Kritiker reagiert haben.»

«Ja, Sie übersehen, dass Journalisten ihren Lesern nicht von Natur aus überlegen sind. Denn genau dieser woher auch immer stammende Dünkel ist in vielen der obigen Thesen impliziert. Versuchen Sie einfach mal, sich die Medienkonsumenten als intelligente, gebildete, urteilsfähige Menschen vorzustellen, mit denen Sie auf Augenhöhe kommunizieren könnten. Dann klappt’s auch mit der Glaubwürdigkeit.»

«Netter Versuch, aber mir gefällt die tendenziöse Fragestellung nicht. Wenn Sie ernsthaft Interesse haben – diese Initiative ist ja ein guter Schritt –, dann bitte nicht so. Sie möchten doch nur Ihre Thesen bestätigt wissen und mehr nicht. Investigativ geht anders, und das wissen Sie.»

Misstrauen gegen die Medien

Wir widmen uns in einem Schwerpunkt dem zunehmenden Misstrauen gegenüber dem traditionellen Mediensystem. Dazu sind folgende Artikel erschienen:

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Anmerkung: Wir haben in unserem Umfrageformular bewusst darauf verzichtet, Angaben zu den Absendern der Kommentare zu erfassen. Der Gedanke dahinter: Einzig das Argument soll zählen, unabhängig von dessen Verfasser.

Weiterer Lesetipp: Die Kollegen bei «Zapp – Das Medienmagazin» (NDR) haben sich zeitgleich mit dem Thema auseinandergesetzt und unter anderem eine repräsentative Studie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist alarmierend: Nur 29 Prozent der Deutschen haben grosses oder sehr grosses Vertrauen in die Medien.

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