Nach Jahren des Jammerns entdecken einige der besten Verleger der Welt ihren Stellenwert in der digitalen Informationsflut und setzen auf News, streng kuratiert und zusammengefasst. Im Mai hat auch die NZZ ein sogenanntes Briefing gestartet, das innert Kürze zum Hit wurde. Jetzt erhält es eine Auffrischung. Die kleinen Bulletins bieten für Verleger grosse Chancen.
Am frühen Morgen des 11. Mai sass Florian Steglich in seinem Büro in der Falkenstrasse in Zürich und wartete auf Tweets. Der Leiter der Entwicklungsredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung» hatte an diesem Morgen ein neues, unscheinbares Produkt veröffentlicht, das an diesem Tag erstmals auf die Leserschaft losgelassen wurde.
Und diese liebte es.
Für die NZZ war es ein Schritt in eine neue Produkte-Kategorie, die sich derzeit bei Qualitätsmedien zum Standard mausert: das Briefing. Die News, streng kuratiert und zusammengefasst von vertrauten News-Marken. Bei der NZZ sind es jeweils vier, fünf, manchmal sechs Meldungen auf wenigen Zeilen. Jeden Morgen neu, dann ständig aktualisiert bis Mitternacht.
Keine drei Monate nach dem Launch erhält das Briefing der NZZ nun eine Auffrischung. Ein neues, stark entschlacktes Design, einen neuen, festen Platz auf der Startseite, den Apps und dem Newsletter, einem der wichtigsten Traffic-Generatoren des Hauses. «Ganz im Zentrum», sagt Steglich, «steht die Nützlichkeit.»
Und so sieht das überarbeitete Briefing der NZZ aus. Die Meldung sagt einem das Wichtigste, wer mehr will, ist dank der Links nur einen Klick davon entfernt.
So denkt man nicht nur an der Falkenstrasse. Einige der grössten News-Marken weltweit setzen auf die Informationsbulletins fürs Smartphones, um sich in der neuen, mobilen Newswelt zu positionieren. Denn auf Smartphones sind die Medienhäuser im Hintertreffen. Für jeden Menschen, der nach dem Aufstehen eine Newsseite ansurft, öffnen drei erst mal eine Social-Media-App. Hier hinken News-Apps stark hinterher, liess das Pew-Forschungszentrum kürzlich wissen.
Die NZZ setzt auf Ruhe in der Informationsflut: ein nüchterner Ton, eine hohe Relevanzschwelle – Werte, die in der digitalen Welt wichtiger wurden.
Genau in dieser Umgebung ist das NZZ-Briefing besonders beliebt: 75 Prozent der Leserinnen und Leser schauen sich das NZZ-Briefing auf ihrem Smartphone oder einem anderen mobilen Gerät an. 50’000 täglich, sagt Steglich. Sie sehen die kurzen Meldungen im täglichen Newsletter der NZZ, auf der Website oder in den Apps des Hauses.
Die NZZ setzt auf Ruhe in der Informationsflut – mit seit Jahrzehnten bewährten Mitteln: ein nüchterner Ton, eine hohe Relevanzschwelle. Werte, die in der digitalen Welt wichtiger wurden, sagt Tom Standage, Leiter Digital bei der Zeitschrift «Economist». «Der Aufstieg des Internets ist das Beste, was uns passieren konnte», findet er. «Mit Briefings können vertrauenswürdige News-Marken im Internet eine einzigartige Rolle spielen. Je mehr Twitter Live-Events und eine Echtzeit-Sicht der Dinge bietet, desto mehr nehmen wir einen Schritt zurück.»
Statt den rohen Strömen an wichtigen und unwichtigen News von einer Reihe von Quellen auf Facebook und Twitter bieten Verlage polierte, verdaubare Newsprodukte. Die meisten dieser Bulletins enden explizit mit einem «Das wars.» Bei Twitter hingegen wars das nie. «Ich liebe Twitter, aber damit wird man nie fertig», sagt Tom Standage, der mit «Economist Espresso» einen Meilenstein gesetzt hat. Die App liefert Nutzern eine tägliche Mini-Ausgabe des «Economist» und soll Leser auf die wichtigsten Themen des Tages vorbereiten. Der «Economist» ist damit so weit gegangen wie kaum ein anderes der Beispiele: fünf bis sechs Meldungen, keine Links – und kostenpflichtig für Nicht-Abonnenten.
Die grosse Frage bleibt: Wie Geld machen damit?
Wie der «Economist» gehen auch andere grosse News-Marken weiter als die NZZ und bauen polierte Bulletin-Erlebnisse für das Smartphone. Kürzlich hat «Buzzfeed» im Bemühen um mehr journalistische Glaubwürdigkeit eine neue App präsentiert. Sie funktioniert wie ein ständig aktualisiertes Briefing. Als Erstes sehen Leserinnen drei Top-Themen, danach die wichtigsten Geschichten mit Kurzbeschreibungen und Hintergrund auf einer Seite. Wer mehr will, kann tippen. Doch wer keine Zeit hat, ist dennoch informiert.
Ähnlich hat die «New York Times» ihre «NYT Now»-App umgebaut, nachdem diese als «Best of»-Produkt gescheitert war. Nutzer sehen auf einer Seite die wichtigsten Stories, jede zusammengefasst mit zwei Kern-Informationen. Auch hier kann, wer mehr will, tippen und erhält die ganze Story. Das «Wall Street Journal» bringt bald die Rubrik «What’s News», ein Briefing, als App auf den Markt.
Während diese Verlage erst starten, denkt Tom Standage bereits über eine Weiterentwicklung von «Espresso» nach. Durch eine Ergänzung um eine Abendausgabe etwa. Oder durch die Integration von Audio-Inhalten. Im November, wenn die App ein Jahr alt wird, dürfte es dazu Neuigkeiten geben. Doch ein Problem lösen auch die Briefings noch nicht: Wie Geld machen?
Der tägliche Kontakt zu den Lesern
«Economist» und «Financial Times» («Fast FT») stellen die Briefings für bestehende Leser her, die bezahlen. Die «New York Times» tut es kostenlos. Und auch bei der NZZ übt man sich erst mal in Zurückhaltung. Man habe sich überlegt, für das Briefing Geld zu verlangen, die Idee aber verworfen. Man habe sich auch überlegt, sie in mobilen Apps ins Zentrum zu stellen – doch da sei ohnehin eine Renovation nötig, weswegen dieser Plan erst einmal auf Eis liegt.
Mit relativ wenig Aufwand funktioniert das Format als Multifunktionswaffe in der mobilen Welt. Das Briefing passt perfekt in den erfolgreichen täglichen Newsletter, auf die sozialen Kanälen und die Website. «Es erlaubt uns, in täglichem Kontakt mit unseren sehr treuen Lesern zu bleiben», sagt Steglich. «Man weiss, dass Leute zwar viele Apps nutzen, aber nur eine bis zwei News-Apps.»
Das Briefing der NZZ ist noch recht jung und muss erst noch beweisen, dass es zur Spitze der europäischen Digitalangebote zählt. Das schliesslich ist das erklärte Ziel von Steglichs neuer Chefin, Anita Zielina, wie sie mir vor ein paar Monat im Interview sagte. Für den «Economist» ist die Rechnung bereits aufgegangen, sagt Tom Standage. «Mit ‹Espresso› konnten wir zeigen, dass auch eine alte Organisation wie wir denken kann wie ein Start-up.»
_
*= Nee, wirklich: Über 80 Prozent haben dem Briefing in einer eigenen Nutzerbefragung der NZZ 4 oder 5 von 5 Punkten gegeben. Rund 2500 Leser seien befragt worden, sagt Steglich.