Das verbirgt sich hinter den Abschrankungen im St. Johannspark

Wie hat die soziale Unterschicht im Basel des 19. Jahrhunderts gelebt? Antworten auf diese Frage finden sich nur wenige Meter unterhalb des St. Johannsparks. Wegen eines Leitungsbaus der IWB bergen Archäologen Skelette und erhalten dadurch einen Einblick in die damaligen Lebensbedingungen.

Ist erstmal die Erde weg, tauchen plötzlich Einzelschicksale auf. (Bild: Felix Michel)

Wie hat die soziale Unterschicht im Basel des 19. Jahrhunderts gelebt? Antworten auf diese Frage finden sich nur wenige Meter unterhalb des St. Johannsparks. Wegen eines Leitungsbaus der IWB bergen Archäologen Skelette und erhalten dadurch einen Einblick in die damaligen Lebensbedingungen.

Dass die IWB im St. Johannspark Leitungen baut, ist das Glück für Guido Lassau von der Archäologischen Bodenforschung Basel-Stadt. «Dadurch gelangen wir an einzigartige historische Quellen», schwärmt der Archäologe. In Zusammenarbeit mit der Universität Basel führt er im St. Johannspark, dem ehemaligen Gelände des Spitalfriedhofs, eine Rettungsgrabung durch.

Gerettet werden die Skelette aus 50 bis 70 Gräbern, weil für diese Bestatteten noch Krankenakten im Staatsarchiv vorhanden sind. Gemeinsam wollen Archäologen, Anthropologen und Historiker anschliessend die Lebensbedingungen der Basler Unterschicht im 19. Jahrhundert rekonstruieren. «Das ist die Legitimation für die Grabung», sagt der Wissenschaftliche Mitarbeiter Gerhard Hotz. «Wir verleihen den Menschen, die sonst nicht erwähnt werden, eine Stimme.»

Fahren Sie mit der Maus über die Bilder, um mehr über die beiden Schicksale zu erfahren.

Die Abbildungen stammen von Johann Jakob Schneider, Quelle: StABS BILD Schn 16 / 17.

Damit diese Stimme auch gehört wird, wurde eine kleine Plakatausstellung (siehe Fussnote) im Pavillon des St. Johann-Parks organisiert. «Die Ausstellung offenbart berührende Schicksale», sagt Hotz und erzählt von der Näherin und Magd Babette Sachser, deren Skelett bei einer früheren Grabungen an der selben Stelle entdeckt wurde.

Im zarten Alter von 25 Jahren – wie so viele auf dem Spitalfriedhof – wurde sie bestattet. Es war der 4. Dezember 1865 als die Wehen kamen und Sachser sofort ins Spital ging. Da das Becken der Magd sehr schmal war, wurde das Kind mit einem Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Gesund kam das Mädchen zur Welt, doch Sachser verstarb 25 Stunden nach der Geburt an einer Lungenembolie. «Das Becken von Sachser fehlte bei der Bestattung», erklärt Hotz, «es wurde bei der Obduktion entnommen und später zu Lehrzwecken verwendet.» Der Eingriff bei Sachser war der erste dokumentierte Kaiserschnitt der Basler Geschichte.

Wesentlich älter war Balthasar Fischer, der mit 69 Jahren ins Bürgerspital kam. «Auf dem rechten Ellenbogengelenk sieht man glänzende Abschliffspuren», sagt Hotz. Diese enormen Verschleisserscheinungen kommen von harter körperlicher Arbeit. Vermutlich hat Fischer als Mehlhändler schwere Lasten stets über der rechten Schulter getragen. Weitere Details über das Leben von Fischer ergeben sich aus der Krankenakte: Als junger Mann war er in Neapel und hat dort ein strenges Leben geführt. Das zeigt sich auch an seinem Körper: Mit 15 Jahren durchlebte er eine lange Stressphase, die seine Zahnwurzel so stark verändert hat, dass die Spuren bis heute sichtbar sind.

Dass hinter jedem Skelett ein Mensch steckt, sei bei den Grabungen aber auch aus ethischen Gründen wichtig. Denn der respektvolle Umgang, betont Lassau, sei das oberste Gebot bei der Forschung an Skeletten.

Das Bürgerspital war das erste moderne Krankenhaus in Basel

Bereits bei der ersten Grabung in den Jahren 1988 und 1989 war Hotz als Grabungsleiter beteiligt. Als damals der Park angelegt wurde, konnten die Archäologen 1061 Gräber des Spitalfriedhofs freilegen. Der Friedhof war die letzte Ruhestätte für Patientinnen und Patienten des Bürgerspitals, dem Vorgänger des heutigen Universitätsspitals. Das 1842 gegründete Spital war das erste moderne Krankenhaus in Basel.

Nach der Grabung wurden die Skelette identifiziert und mit den Daten im Staatsarchiv verglichen. Dadurch waren die Forscher in der Lage das Leben etwa von Babette Sachser oder Balthasar Fischer zu rekonstruieren. Vor allem diejenigen Menschen, die als Dienstboten, Wäscherinnen oder Fabrikarbeiter tätig waren und normalerweise keinen Platz in den Geschichtsbüchern finden, liessen sich im Bürgerspital behandeln. «Die oberen Schichten hingegen bestellten den Arzt direkt nach Hause», sagt Lassau.


Die Ausstellung befindet sich im Aussenbereich und im Foyer des Pavillons im St. Johanns-Park und ist bis am 30. April von 11 bis 17 Uhr geöffnet. 

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