Der Wertewandel als Wäschewandel

Der Nationalfonds finanziert ein Forschungsprojekt, welches die Archivbestände des Liestaler Textil-Unternehmens Hanro untersuchen soll. Kulturwissenschaftler und Designforscher spüren so der wechselvollen Geschichte der Unterwäsche nach.

Hanro ist zwar für Unterwäsche bekannt, produziert aber auch Abendkleider. (Bild: Museum Baselland)

Der Nationalfonds finanziert ein Forschungsprojekt, welches die Archivbestände des Liestaler Textil-Unternehmens Hanro untersuchen soll. Kulturwissenschaftler und Designforscher spüren so der wechselvollen Geschichte der Unterwäsche nach.

Provokative Werbeplakate mit reichlich nackter Haut wie etwa diejenigen des Modelabels Sloggi gehören heute zum Strassenbild. Vor hundert Jahren wurden hingegen die Unterhosen noch voller Scham als «Unaussprechliche» bezeichnet: Kleider sagen somit viel über die jeweilige Kultur aus, die sie hervorbringt.

Um Themen wie dieses soll sich ein Forschungsprojekt zur Textilgeschichte bewegen. Der Schweizerische Nationalfonds hat dafür kürzlich Gelder zugesprochen. Dabei soll der reichhaltige und zum Teil noch brachliegende Fundus des Liestaler Luxuswäsche-Herstellers Hanro unter die Lupe genommen werden.

Die Produktion zog zwar 2001 nach dem Verkauf an die österreichische Huber Holding ab, doch das «Gedächtnis» der renommierten Firma blieb in Liestal. Es umfasst rund 20’000 Kleidungsstücke sowie das Betriebsarchiv mit Werbeplakaten, Entwurfszeichnungen, Stoffproben und Katalogen. Diese wichtigen Zeugnisse der Baselbieter Industriegeschichte befinden sich in den ehemaligen Hanro-Fabrikhallen am Benzburweg und werden vom Verein Textilpiazza betreut.

20’000 Kleidungsstücke müssen inventarisiert werden

Die Inventarisierung der Materialien ist bereits im Gange. Bis im nächsten Jahr sollen die Musterstücke erschlossen und systematisch erfasst sein. Damit soll der Zugriff auf das Archiv für die Forschung erleichtert werden. «Noch ist die Sammlung ein Rohdiamant», meint Reto Marti, Leiter Archäologie und Museum Baselland. «Damit der Edelstein funkelt, muss er noch bearbeitet werden», hält er fest.

Dem steht nun nichts mehr im Wege. Für die Erforschung der Hanro-Sammlung ziehen das Seminar für Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie der Uni Basel, Archäologie und Museum Baselland und die Hochschule für Gestaltung und Kunst der FHNW am gleichen Strick. Sie haben ein interdisziplinäres Projekt auf die Beine gestellt. Sowohl Kulturwissenschaftler und Designforscher nehmen sich gemeinsam mit den Sammlungs- und Textilspezialisten des Hanro-Vermächtnisses an. Das SNF-Projekt ist für drei Jahre angelegt und umfasst eine Postdoc- wie auch eine Doktorandenstelle.

Die Forscher interessiert auch, wer die Hanro-Leibchen gekauft hat

Das Forschungsvorhaben besteht aus drei Teilen. Bekanntlich machen Kleider Leute – daher soll sich das erste Projekt um die Frage drehen, für wen die Textilindustrie produzierte und inwiefern sie den Körper mitgestaltete. Das Geschlecht und Milieu der Kunden soll interessieren; ebenso die Rolle, welche dabei die «Swissness» der Prestige-Marke Hanro spielte.

Das zweite Projekt fragt nach den Normen und Körperidealen, welche die Unterwäsche hervorbringt und was denn überhaupt als intim gilt. «Über Wäsche witzelt man gerne», sagt Walter Leimgruber, Professor am Seminar für Kulturwissenschaften und Europäische Ethnologie. «Gerade dies zeigt aber das Spannungsfeld auf – es ist einerseits Intimes, andererseits etwas sexuell Konnotiertes, wenn es an die Oberfläche kommt», stellt er fest.

Daher wird sich die Lehrbeauftragte Ulrike Langbein der Entwicklung dieser Tabus annehmen: «Wertewandel heisst Wäschewandel», stellt die Forscherin fest. Von den nüchternen Techniken der alten Damenunterwäsche bis hin zum erotischen Lockstoff der jüngeren Zeit habe sich einiges verändert. Die zunehmende Sexualisierung des Körpers kenne auch geschlechtsspezifische Unterschiede. So seien Männer durch die Unterwäsche weit weniger und viel später sexualisiert worden als die Frauen, wie Langbein feststellt.

Die Designer von Alltagsobjekten bleiben oft anonym

Das dritte Teilprojekt widmet sich den Entwurfsprozessen in der Liestaler Textilproduktion. «Kreativ sein unter industriellen Bedinungen – das klingt zunächst wie ein Widerspruch», meint Claudia Mareis, Leiterin des Instituts Design- und Kunstforschung Hochschule für Gestaltung und Kunst der FHNW Basel. Genau das aber sei das Interessante daran. Obschon sich heutzutage viel um das Design drehe, werde den industriell angefertigten Konsumgütern noch relativ wenig Beachtung geschenkt. Im Gegensatz zur Haute Couture bleiben deren Schöpfer weitgehend anonym.

Die Forschenden haben nun die Möglichkeit, anhand der Hanro-Bestände ein gutes Jahrhundert Kulturgeschichte der Kleider zu analysieren. Das 1884 gegründete Unternehmen Handschin+Ronus prägte mit seinen Trikot-Stoffen die Entwicklung in der Textilindustrie mit. Das Unternehmen ist für seine Unterwäsche bekannt, produzierte aber ebenso Abendkleider. Hanro eroberte sukzessive den internationalen Markt. Das Unternehmen eröffnete Fabriken im Ausland und Filialen in mehreren Weltstädten wie London und New York. Der Hauptsitz blieb aber stets an der Frenke. Die Handschrift des Liestaler Unternehmens reicht bis in Stanley Kubricks Streifen «Eyes Wide Shut» aus dem Jahr 1999: Die Schauspielerin Nicole Kidman trägt ein Leibchen der Textilmarke Hanro.

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