Die beste Tarnung am Grill

Ein Blick ins Kühlregal beweist: Nicht nur Tiere betreiben Mimikry. Und nichts geschieht ohne Grund.

Schön bunt: «Grill Mix Cornatur», vier täuschend echte Cipollatas und drei Plätzchen, Fr. 8.90, bei der Migros. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Ein Blick ins Kühlregal beweist: Nicht nur Tiere betreiben Mimikry. Und nichts geschieht ohne Grund.

Es gibt Tiere, die tun sehr erfolgreich so, als wären sie etwas ande-res: ein Stöckchen, zum Beispiel, ein Blatt – oder ein sehr gefährliches Tier. Diese Mimikry wird betrieben, damit die Tiere nicht gefressen werden.

Auch in der Kühltheke im Supermarkt begegnet einem ein solches ­Verhalten. Dinge aus Tofu, Getreide oder Pilzen tun so, als wären sie ­Würste, Schnitzel oder Cordon bleus. Sie sind damit in gewisser Hinsicht ­erfolgreich, wie die Verkaufszahlen ­beweisen. Andererseits aber natürlich auch nicht, da sie ja gefressen werden.

Warum sich Tofu & Co. also ihren fleischlichen Verwandten optisch ­dermassen angleichen, ist unklar. Könnten Sie doch jede denkbare, ­überaus aparte Form verliehen be­kommen – Kreise, Sterne, Herzen…

Niemand antwortet auf die Frage, was denn seine Lieblingsform sei, mit «Wurst!» oder «Schnitzel!». Trotzdem werfen auch Menschen, die gar nichts Tierisches zu sich ­nehmen, sich solche Formen auf den Grill. ­Natürlich, in gewissen Kreisen ist Fleischessen schlimmer als das Rauchen, einzig ein verschämtes «Es ist bio!» kann in einer solchen Runde das Ansehen noch retten.

Wie wunderbar, wenn niemand so recht weiss, ob der Spiess nun böse und CO2-verursachend ist oder nicht!

In anderer Gesellschaft wiederum werden die Vegetarier belächelt, und dort kann man dank Mimikry getrost eine Tofu-Cipollata über dem Feuer rösten, ohne sich als Körnerfresser ­outen zu müssen.

Die Mimikry des ­Tofus dient ­demzufolge einzig und allein dazu, einen allgemeinen Zustand der Harmonie herbeizuführen. Und das kann man ja wirklich nur ­begrüssen!

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12

Nächster Artikel