Nano heisst auf Griechisch Zwerg, doch in der Welt der Nanotechnologie ist jeder Zwerg immer noch ein Riese. 1 Nanometer entspricht 1 Milliardstel Meter. Die Nanopartikel sind so winzig, dass wir Menschen sie uns kaum vorstellen können. Einfacher ist es mit einem Vergleich: Dem Apfel und der Erdkugel. So klein wie der Apfel im Verhältnis zur Erde, so klein ist ein durchschnittlicher Nanopartikel im Verhältnis zum Apfel.
Nanopartikel sind die Winzlinge unserer Welt, doch die Erwartungen, die auf ihnen lasten sind riesig. Sie gelten als Versprechen für die Zukunft, sie sollen Krankheiten heilen, die Umwelt retten, die Weltmeere reinigen. Und einige befürchten auch, sie könnten alles natürliche Leben auf der Erde beenden.
Eines der weltweit führenden Forschungszentren der Nanotechnologie betreibt die Universität Basel. Ein Teil davon befindet sich im Kleinbasel zwischen Messeplatz und Badischem Bahnhof inmitten eines Life-Science-Clusters, wo einige der führenden pharmazeutischen Firmen ihre Forschung betreiben. Der Weg in das Areal führt durch eine Sicherheitskontrolle, vorbei an hohen Gittern und Überwachungskameras. Nur angemeldete Besucher dürfen das Gelände betreten.
Hinter der Personenschleuse wartet Wolfgang Meier, Vizedirektor des Swiss Nanoscience Institute der Universität Basel und des Kantons Aargau. «Wir hoffen ständig, dass die Eingangskontrollen für unsere Leute erleichtert werden», sagt der promovierte Chemiker in schwarzer Lederjacke und geht mit grossen Schritten vorbei an dampfenden Stickstofftanks und den Fassaden von fensterlosen Forschungsgebäuden.
Die Disziplin befindet sich immer noch am Anfang und viele Fragen sind unbeantwortet.
Im hinteren Bereich des Areals befindet sich das Institut der Universität, eigentlich ein offener Ort. Promovierende treiben in den Labors ihre Forschung voran, Studierende sammeln erste Praxiserfahrung.
Das Interesse an der Forschung die hier betrieben wird, steigt stetig an. Einige der Forschungsprojekte am Institut werden von Unternehmen aus der Industrie finanziert, von welchen darf Meier nicht verraten. Und auch in der Öffentlichkeit und der Politik nimmt das Interesse zu. Die Disziplin befindet sich immer noch am Anfang und viele Fragen sind unbeantwortet. Etwa, wie sich die künstlichen Nanopartikel auf Mensch und Umwelt auswirken und welche Risiken damit verbunden sind.
Das Büro von Wolfgang Meier befindet sich im ersten Stock, er hängt die Lederjacke an den Haken, setzt sich an den kreisrunden Sitzungstisch. In zwei Sätzen bringt er die eigene Faszination für seinen Forschungsbereich auf den Punkt. «Mich interessiert das riesige Potenzial dieser kleinen Partikel.»
Nanopartikel finden sich etwa auf den Blättern der Lotusblume. Sie lassen das Wasser abperlen.
Als Wolfgang Meier vor 30 Jahren sein Chemie-Studium begann, waren die Nano-Wissenschaften noch nicht erfunden. Erst 15 Jahre später, er war gerade im Abschluss seiner Habilitation an der Universität Basel, hörte er erstmals von der neuartigen Forschungsdisziplin. Als Basel 2001 das weltweit erste Kompetenzzentrum für Nanowissenschaften gründete, war Wolfgang Meier von Anfang an mit dabei und gehört seither zu den führenden Forschern.
Die Nanowissenschaften befinden sich am Schnittpunkt von Medizin, Chemie, Biologie und Physik. Die Partikel mit denen sich die Nanowissenschaften unter anderem befassen, sind überall. Sie sind in der Luft, im Wasser, in unseren Lebensmitteln.
Nanopartikel sind ein natürlicher Bestandteil der Natur, kleinste Teile mit oft aussergewöhnlichen Eigenschaften. Das bekannteste Beispiel sind die Blätter der Lotusblume. Feine Strukturen sorgen dafür, dass das Wasser auf den Blättern abperlt und kein Schmutz haften bleibt.
Solche Mechanismen aus der Natur nehmen sich die Nanoforscher zum Vorbild, bilden nach und entwickeln weiter. Künstliche Nanopartikel sorgen dafür, dass das Ketchup schneller aus der Flasche fliesst, die Klimaanlage besser filtert oder das Wasser von Solarzellen abperlt.
Nano-Vehikel gegen Diabetes
Besonders grosses Potenzial sieht die Wissenschaft im Bereich der Medizin. Einer jener Bereiche, in denen auch Wolfgang Meier und sein Team ihre Forschung vorantreiben. Erst vor wenigen Monaten sorgten sie mit ihrer neusten Entdeckung international für Aufmerksamkeit.
Meier holt den Laptop von seinem Schreibtisch und klappt ihn auf. Auf dem Bildschirm zeigt er Illustrationen von kleinen Kugeln die aussehen wie bewohnte Planeten, Punkte bewegen sich über die Oberflächen, verschwinden auf einer Seite der Kugel und treten auf der anderen wieder aus. «Das sind Nano-Reaktoren», sagt Meier.
Die 100 Nanometer grossen Kugeln aus Polymeren können Medikamente durch unsere Blutbahnen transportieren und auf ein bestimmtes Signal hin an die Umgebung ausschütten. «In diesem ersten Projekt war das noch ganz primitiv», sagt Meier. Im Innern der Kugeln befanden sich Proteine: Stieg der PH-Wert in der Umgebung an, öffneten sich die Vehikel und gaben Reaktionsprodukte ab; sank der PH-Wert schlossen sie sich wieder.
In Zukunft könnten solche Vehikel den Blutzuckerspiegel von Diabetikern regulieren oder aus einem inaktiven Molekül ein Antibiotikum herstellen und dieses etwa nach Operationen gezielt und in kleinen Mengen an die entzündete Stelle abgeben. Meier meint, erste solche Nano-Reaktoren könnten bis in einigen Jahren marktreif sein. Vorausgesetzt, dass die Industrie daran Interesse hat und die Weiterentwicklung finanziert.
So weit lässt sich dem Wissenschafter folgen in jene Welt an der Grenze zwischen Science-Fiction und Realität. Dann taucht er tiefer ein in die Chemie, erzählt von Block-Copolymeren, sieht den fragenden Blick des Gegenübers und erklärt: «Das ist einfach eine lange Kette wasserlöslicher Polymere. In diesem Beispiel bauen wir etwas Chirales ein, normalerweise gibt es dann sogenannte R- oder S-Polymere, die mischen sich und binden aneinander.» Plötzlich spricht der freundliche Mann in seinem blauen Hemd in einer fremden Sprache.
Wie entfernte Planeten im All
Wir verlassen das Büro und machen uns auf die Suche nach den Nanopartikeln. Ein Stockwerk weiter oben arbeiten die Doktorierenden aus seinem Team an ihren Projekten. Sie stehen in verglasten Labors, füllen mit Pipetten Flüssigkeiten in kleine Fläschchen, schauen vor dem Computer dreidimensionale Modelle an.
In einem der Forschungslabors am Ende des Gangs sitzt eine Doktorandin vor einem Laser-Scanning-Mikroskop, daneben zeigt ein Bildschirm die Nano-Kraftwerke in Grossauflösung. Grün fluoreszierende Kugeln vor schwarzem Hintergrund. Doch selbst hier sehen sie immer noch so weit entfernt und rätselhaft aus wie entfernte Planeten im All.
Auf dem Rückweg zur Sicherheitsschleuse erzählt Wolfgang Meier von seiner nächsten grossen Idee. Er denke zurzeit viel über die Funktionsweise des Herzens nach, dieser mächtigen Pumpe die eine Flüssigkeit ansaugt und wieder ausgibt. «Irgendwann gelingt es uns vielleicht, diese Pumpe nachzubilden und sie beispielsweise in Nanoreaktoren einzubauen.» Je kleiner, um so besser.