Das Wettstein-Quartier erhält als erstes Basler Quartier eine eigene App. Ausgerechnet: Denn hier, wo es kaum ein Zentrum, aber bald noch mehr Roche-Mitarbeiter gibt, hat ein enges Einwohner-Netzwerk Potenzial.
Sie kennen das. Da ist mal wieder die Katze entlaufen, einfach hoffnungslos, die kleine Mietzi, irgendwo im Quartier verschwunden. Sie schreiten also zum Computer, beginnen zu schreiben, in ganz grossen Lettern: «VERMISST!!!», und Sie drucken das Ganze im Format DIN-A4 aus, darauf das Bild der Mietzi. Dann los, das Quartier bekleben.
Aber das muss nicht sein. Genauso wenig wie der unangenehme Klingelzug, wenn Sie mal wieder dringend eine Stichsäge benötigen, um den Türrahmen zurechtzustutzen. Oder auf Hilfe beim Einkaufen angewiesen sind. Oder überhaupt etwas brauchen, wobei Ihnen die Nachbarn behilflich sein können. Und seien es nur Informationen.
Denn dafür gibt es bald eine App, zumindest im Basler Wettstein-Quartier. Das Programm heisst «wettsteinapp» und geht in den kommenden Tagen fürs ganze Quartier online. Dahinter verbirgt sich das Konzept von «local social networks», also lokalen sozialen Netzwerken. Ein Teil-Facebook im Kleinen, wenn man so will. Zielgerichtet auf die Bewohner eines Quartiers zugeschnitten, auf deren Bedürfnisse und noch viel wichtiger: auf deren Potenzial.
Ausgerechnet im «Schlafquartier»
Hinter der App steht die Basler Entwicklerfirma qipp, ausgesprochen: kwipp. Die Firma hat Erfahrung mit solchen Netzwerken. Das Team um Stefan Zanetti hat bereits für Siedlungen wie die Basler Erlenmatt solche Applikationen entwickelt, freilich nicht im öffentlichen Dienst, sondern im Auftrag der Siedlungsverwaltung.
Mit der «wettsteinapp» geht die Firma jetzt weiter. Die Applikation wird gezielt auf Öffentlichkeit getrimmt, «es ist ein Pilotprojekt», sagt qipp-Chef Zanetti. Die Firma erhielt bereits Anfragen von Quartieren und Gemeinden, ob eine solche «local network»-Plattform für die jeweiligen Bedürfnisse möglich sein. Zum Handkuss fürs Pilotprojekt kommt jetzt das Wettstein-Quartier.
Ausgerechnet: Denn das Quartier ist weitgehend eine Wohnoase, durchbrochen vom Industrieriegel der Pharmafirma Roche, und es verfügt kaum über einen eigentlichen Treffpunkt. Selbst der Basler Kantons- und Stadtentwickler Thomas Kessler bezeichnet das Wettstein-Quartier als «Gastro- und Detailhandelswüste». Und genau hier liegt das Potenzial der App.
Die Funktionsweise ist simpel. Die Quartierbewohner loggen sich ein, erhalten einen Benutzeraccount auf der Plattform und können vom Smartphone oder vom Computer aus darauf zugreifen. Die Leistungen: Ein direkter Kommunikationskanal, also ein Newsfeed, dazu mehrere Verzeichnisse wie ein Veranstaltungskalender, Nachschlagewerke, Kontaktaufnahmen. Ein kleiner Dorfplatz 2.0. Und je mehr die Menschen zusammenrücken, desto mehr Dynamik entfalten ihre Anliegen. Ob virtuell oder im Vereinslokal.
Der Kanton mischt mit
Denn qipp bringt die App nicht alleine ins Quartier. Die «wettsteinapp» ist eine Zusammenarbeit mit dem Verein Wettstein21, der sich für nachhaltige Projekte im Quartier einsetzt, besonders im Bereich Energieeffizienz. Beteiligt sind zudem weitere Institutionen und Vereine aus dem Wettstein-Quartier.
Verkuppelt wurden qipp und Wettstein21 durch das Basler Amt für Umwelt und Energie (AUE). Da Wettstein21 seit 2012 in regelmässigem Austausch mit dem AUE steht, musste der Kanton nur noch App-Entwickler und Quartieraktivisten zusammenschliessen. Der Rest war Arbeit und natürlich Geld: Insgesamt stand laut Wettstein21-Präsident Christoph Keller ein Budget von 50’000 Franken zur Verfügung, an dem sich der Kanton via Fördertopf beteiligte.
Grösse ist noch nicht entscheidend
Ähnliche Applikationen wie die «wettsteinapp» gibt es schon, so die Anwendung «nextdoor» der amerikanischen Firma Nextdoor.com, Inc. Allerdings soll die «wettsteinapp» einfacher im Unterhalt sein, aber auch nicht die Quartiergrösse überschreiten. «Wir wollen bewusst Netzwerke im Kleinen ins Auge fassen», sagt Zanetti von qipp.
Interessiert ist qipp derzeit nicht an der schieren Masse. «Wir beobachten mit dem Pilotprojekt vor allem die qualitativen Aspekte», sagt Zanetti. Also die Nutzungsintensität und die Interaktionen zwischen den Benutzern. Derzeit testen rund 200 Personen aus dem Quartier die Applikation. Wenn sie der breiteren Quartierbevölkerung zur Verfügung steht, soll eine deutlich höhere Nutzerzahl anfallen.
Dorfplatz im Hosensack
Das Pilotprojekt läuft noch bis im Sommer 2016, dazwischen wird der Dorfplatz im Hosensack regelmässig ausgewertet. Schafft es die Applikation, im eher verschlafenen Wettsteinquartier anzukommen, dann stehen allenfalls auch weiteren Quartieren die Türen offen, um mitzumachen.
Reisst Mietzi also wieder einmal aus, wäre die App der Ort, um die Vermisstmeldung einzustellen. Vorausgesetzt, die Nutzer nehmen das lokale Netzwerk an. Das gilt dann nicht nur für Mietzi, sondern auch für die Suche nach einer helfenden Hand, für dringende Mitteilungen über Carsharing und aufgelöste Parkplätze oder die Debatte über den nächsten Roche-Turm. Wenn die App vorerst dem Wettstein-Quartier vorbehalten ist, so soll sie ruhig widerspiegeln, was die Einwohner bewegt.