Es gibt sie noch, die versteckten, inoffiziellen oder zugemauerten Schleichwege und Trampelpfade in Basel. Ein paar dieser Gassen stellen wir Ihnen in einem kleinen Reiseführer vor.
Da wird selbst jedes Navigationssystem ratlos: Manche Strassennamen kennen nur Eingeweihte. Zwar hat Basel längst nicht so viele Geheimgänge wie etwa Lyon mit seinen berühmten Traboules zu bieten. Dennoch kommt auch hier hin und wieder die eine oder andere Abkürzung zum Vorschein. Zwischen der Rhein- und Utengasse wurde dieses Jahr etwa unter dem Motto «Gässli uff!» ein namenloser Privatweg zeitweise zugänglich gemacht.
Es gibt auch weniger bekannte Beispiele für versteckte Gassen in Basels Altstadt. Auch Quartiere mit Bauten aus dem 20. Jahrhundert haben den einen oder anderen Stichweg oder Trampelpfad zu bieten. Manche davon sind nur den Anwohnern geläufig. Bei der Sternengasse soll es vor der neueren Überbauung einmal ein Katzengässli gegeben haben. Bei anderen Wegen, die nirgends zu finden sind, handelt es sich hingegen um Planungsleichen: So gibt es auf dem Papier etwa eine Wachtelstrasse parallel zur Bruderholzallee, die aber nie realisiert wurde.
Weitere unbekannte Gassen sind heute noch sichtbar. Nicht alle können aber begangen werden. Wir stellen Ihnen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein paar davon vor.
Das Gansgässlein
Es ist ein Kuriosum in Basel: Selbst bei Google Maps ist das Gansgässlein eingezeichnet. Wer jedoch die Abkürzung vom Pfeffergässlein zum Spalenberg vor Ort sucht, stösst an Grenzen des Möglichen – ein Gitter versperrt den Zugang. Dennoch wurde die Gasse laut Basler Namenbuch 1978 amtlich benannt. Der Grund, wieso das Gansgässlein auf halbem Weg stehen geblieben ist: Als öffentlicher Durchgangsweg geplant, wurde es nie geöffnet. Trotzdem gibt es einmal pro Jahr die Gelegenheit, dieses Privatareal aufzusuchen: Während des Festivals «Em Bebbi sy Jazz». Dann spielen Bands im Innenhof.
Nur während des Festivals «Em Bebbi sy Jazz» kann das Gansgässlein begangen werden. Ansonsten ist es möglich, von der Galerie Stampa aus einen Blick auf den amtlich benannten, doch privaten Erschliessungsweg zu werfen. (Bild: Michel Schultheiss)
Ihren tierischen Namen verdankt die Gasse dem Gebäudekomplex «zer Gens» an der Schneidergasse: Wo heute die Galerie Stampa untergebracht ist, sieht man noch immer das Wappenrelief aus dem 14. Jahrhundert. Ein Gebäude beim Pfeffergässlein ist ebenfalls nach der Gans benannt. Es handelt sich um das Vorder- und Hinterhaus der gleichen Parzelle, die sich daher den Namen teilen. Das Gansgässlein ist somit einer der verbliebenen Erschliessungswege, die den Zugang zu den Hinterhäusern ermöglichten.
Wie Karl Bischoff im Basler Jahrbuch von 1921 schrieb, ist das Haus «zer Gens» seit dem 14. Jahrhundert urkundlich bezeugt. Um 1636 bewohnte es eine historische Persönlichkeit: kein Geringerer als Johann Rudolf Wettstein, der später als Bürgermeister von Basel und als Diplomat beim Westfälischen Frieden Karriere machte. Er war auch Besitzer des Hauses «zur Ente», gleich nebenan.
Das «Fyrgässli»
Sie ist die grosse Unbekannte unter den Basler Gassen. Belege dafür, wie der enge und heute versperrte Durchgang bei der Martinsgasse heisst, sind kaum zu finden. Hinweise dazu hat einzig Lukas Stoecklin, ein begeisterter Sammler historischer Stadtaufnahmen: Er ergatterte ein Foto dieser Gasse aus den Sechzigerjahren. Dort ist die Bezeichnung «Fyrgässli» als Bildlegende vermerkt. Die Bezeichnung für den Erschliessungsweg dürfte ein Kosename gewesen sein. Einer Anwohnerin, die seit über 35 Jahren dort lebt, ist dieser Name jedoch nicht geläufig. Ihr sei der Durchgang als Eulengasse bekannt. Über der Gasse wacht nämlich eine Skulptur des nachtaktiven Vogels.
Das heute private «Fyrgässli» führt beim Ehrenfelserhof vorbei. Weiter vorne trifft es auf eine kleine Treppe, doch dann hört der Weg vor einer grauen Tür abrupt auf. Theoretisch könnte man von dort aus zur Freien Strasse gelangen. Dazu müsste man aber das Gebäude mit dem Kleiderladen PKZ durchqueren. Ob das «Fyrgässli» vor diesem Bau tatsächlich einmal hinunter zur Freien Strasse führte, ist nicht bekannt.
Das St. Andreasgässlein
Ein Stück verborgenes Mittelalter schlummert zwischen zwei Bäckereien: Eine «geheime» Gasse und die Überreste zweier Türme sind bei der Liegenschaft an der Schneidergasse 12 und 14 versteckt. Das «Gässlein bei Sankt Andreas» ist heute überbaut. Einzig von der Holzofenbäckerei und durch ein Fenster des Cafés «Zum Roten Engel» kann man als Nicht-Anwohner noch einen Blick darauf erhaschen.
Die Gasse wurde gemäss Namenbuch bereits um 1300 schriftlich erwähnt. Zeitweise war es schon ein Parallelname des Imbergässleins. Der Name geht – wie auch der bekannte Platz mit dem Affenbrunnen – auf eine dem heiligen Andreas geweihte Kapelle zurück. Diese wurde im Hochmittelalter errichtet und 1792 abgerissen.
Einer von mehreren versteckten Erschliessungswegen: Das St. Andreasgässlein ist heute in ein Treppenhaus integriert. Einst diente der Trampelpfad dafür, in die Hinterhäuser der Talstadt zu gelangen. (Bild: Michel Schultheiss)
Nun aber zurück zu diesem geheimnisvollen Gässlein: Laut Angaben der Archäologischen Bodenforschung stand hier im 13. Jahrhundert ein Wehrturm. Davon ist nur noch das Fundament erhalten. Mehr zu sehen ist hingegen von einem Wohnturm der städtischen Oberschicht. Teile dieses mittelalterlichen Bauwerks, das als «Schalon Turm» zwischen 1200 und 1250 erbaut wurde, sind noch im heutigen Wohnhaus integriert. Dessen Mauern sind bis in den dritten Stock hinauf erhalten. Das St. Andreasgässlein führt unter diesem einstigen Wohnturm hindurch. Sinn und Zweck dieses «Geheimgangs» war es, die Hinterhäuser am Hangfuss zu erschliessen. Solche Hausgässlein waren damals nötig, als in der mittelalterlichen Talstadt vermehrt verdichtet gebaut wurde. Noch heute wird es benutzt, um in den Coiffeursalon zu gelangen.
Theobald Baerwarts Gässli
Zwischen der Matten- und Isteinerstrasse gibt es eine Abkürzung. «Theobald Baerwarts Gässli» steht dort geschrieben. Allerdings musste die Beschilderung in brauner statt in blauer Farbe geschehen, da es keine amtlich benannte Strasse ist. Wie ein Foto von Lukas Stoecklin aus dem Jahr 1961 aufzeigt, gab es schon bei der vorherigen Liegenschaft eine solche Gasse. Es ist dem Basler Mundart-Schriftsteller Theobald Baerwart (1872–1942) gewidmet. Dieser verbrachte den grössten Teil seiner Jugend gleich um die Ecke – an der heutigen Maulbeerstrasse, die damals noch als «Mulbeeriwäg» bekannt war.
Theobald Baerwart schwärmte einst in seinen Memoiren von einem wilden Gässlein seiner Kindertage. Ein inoffizielles Strassenschild im Rosentalquartier erinnert noch daran. (Bild: Michel Schultheiss)
Nun ist der unauffällige Durchgang eine Hommage an eben jene Kleinbasler Kindheitserinnerungen des Schriftstellers. Der Text «s Gässli» aus dem Erzählband «Plaudereie us der Juged» diente als Inspiration für das Strassenschild. In diesem Text beschreibt Baerwart eine Gasse, die aber verortet ist. Ein üppig bewachsener Weg, wo sich noch Hühner und Schweine tummelten, soll sich zwischen den Mietskasernen hindurchgeschlängelt haben. Es muss also ein idealer Spielplatz gewesen, ohne lästige Kontrolle durch Erwachsene. Nur ein paar wenige Male pro Jahr soll der Landjäger vorbeispaziert sein. Heimliches Rauchen und «Glepfe mit de Gaissle» war also auf diesem verborgenen Trampelpfad möglich.
Wie Michael Raith im Riehener Jahrbuch von 2001 festhielt, wurde die Erzählung Baerwarts 1957 von seinen Freunden an einem konkreten Ort in Basel festgemacht – genau bei diesem Servitutsweg an der Rückseite von Baerwarts Elternhaus. Eine offizielle Strasse, die den Namen des Dichters trägt, gibt es bis anhin nicht. Immerhin ist ein Schulhaus im Kleinbasel seit 1968 nach ihm benannt. Tatsächlich gab es aber auch einmal Pläne für eine Strasse: Laut Raith waren in den Achtzigerjahren eine Überbauung auf dem Bäumlihofareal, eine Baerwart-Strasse sowie ein gleichnamiges Weglein vorgesehen, was aber nie realisiert wurde.
Das Hexenweglein
Blicke auf die bekannte «Basel Line» lassen sich von hier aus erhaschen. Gesäumt von Graffitikunst führt dieser Veloweg von der ehemaligen Grosspeter-Garage ins Gellert-Quartier. Den Bahngeleisen entlang kann man sich so den Weg über die stark befahrenen Strassen ersparen. Eigentlich war diese Abkürzung auf alten Plänen als Verlängerung des St. Alban-Rings eingetragen. Unter den Anwohnern war er aber stets als «Häxewägli» bekannt. Laut Basler Namenbuch ist diese Bezeichnung geläufig für Trampelpfade an Wegkreuzungen. Der Kosename wurde 2010 dann offiziell: Das Hexenweglein ist heute amtlich benannt.
Die Entscheidung der Nomenklaturkommission mag durchaus erstaunen: Beim Riehener Wenkenhof gibt es nämlich einen englischen Garten, der bei der Bevölkerung als Hexenwäldchen bekannt ist. Dieser Name konnte sich jedoch nicht amtlich durchsetzen und wurde daher Wackernagel-Park genannt. Der Vorschlag «Bim Häxehüsli» wurde 2002 von der Kommission abgelehnt – zu sehr erinnere der Name an ein Kasperlitheater und verharmlose die Frauenschicksale während der Hexenverfolgung. Anders entschied man sich offenbar vor sechs Jahren im St. Alban-Quartier: Der verhexte Name ist dort offiziell. Ein Strassenschild fehlt aber noch immer.
Das obere Pfeffergässlein
Besonders den Fasnächtlern muss man wohl nicht erklären, wo der Pfeffer wächst. Kostümierte zwängen sich jeweils beim «Gässle» durch diesen Altstadtwinkel mit den vielen Cliquenkellern. Die Sackgasse, die einst zum Imbergässlein gehörte, wurde erst 1978 zum Pfeffergässlein umbenannt. Sie erinnert – analog zum Ingwer – an den Gewürzhandel in dieser Gegend.
Kaum besucht ist jedoch das zweite Wegstück mit dem gleichen Namen: Das «obere Pfeffergässlein» ist nur vom Nadelberg aus zugänglich. Es trägt den gleichen Namen wie der untere Teil. Wie im neuen Band der «Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt VIII» zu lesen ist, wurde der Durchgang hinter dem Spalenhof und den Nadelberg-Häusern 1978 ebenfalls zum Pfeffergässlein, obschon keine Verbindung zur anderen Gasse bestand. Die oberen Hausnummern sind dort zu finden. Faktisch gibt es also zwei Pfeffergässlein – ganz zur Verwirrung der Kuriere und Neulingen unter den Briefträgern, wie ein Anwohner erklärt.
Das Ueli-Gässli
Eigentlich ist der kleine Durchgang ziemlich bekannt: Der legendäre Kiosk von Trudi Hartmann und Erika Furrer befindet sich gleich dort. Schnell gelangt man durch diesen Mini-Tunnel von der Rheingasse zum Rheinbord. Diese Abkürzung hat auch einen Namen: Seit 1970 ist er als Ueli-Gässli aufgeführt. Davon gibt es aber keine Spuren mehr.
Der Grund dafür ist simpel: Wie ein Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements bestätigt, wurde das Strassenschild immer wieder geklaut. Ähnlich erging es übrigens auch immer wieder der Tafel beim Elftausendjungfern-Gässlein. Allerdings wurden Langfinger davon abgehalten, als man die Schilder höher hinauf hängte. Die Gasse, die nach der beliebten Fasnachtsfigur und dem Begleiter von Vogel Gryff benannt ist, blieb jedoch unbeschildert.
Immer wieder stibitzen Unbekannte das Strassenschild: Das Ueli-Gässli bleibt daher nur auf dem Papier benannt. (Bild: Michel Schultheiss)
Speziell ist auch, dass das Ueli-Gässli (zusammen mit dem Johann Jakob Spreng-Gässlein und der Sarnerstrasse) zu den wenigen Gassen gehört, die zu nächtlicher Stunde verriegelt werden können. Der Durchgang liegt nicht auf der Allmend, sondern auf der Privatparzelle des Hotel Krafft, es besteht aber ein öffentliches Wegrecht dafür. Als an der Rheingasse noch die offene Drogenszene herrschte, wurde das Ueli-Gässli vorübergehend ganz geschlossen. 1994 wurde es nach mehreren Wochen dieses Versuchs wieder geöffnet.
Auch 2007 sorgte es für Diskussionsstoff, wenn auch aus anderen Gründen: Das Hotel Krafft beschloss, fortan die dunkle Gasse nach Mitternacht zu schliessen, da sie immer wieder als öffentliches Pissoir herhalten musste.
Der Ueli hat übrigens seine Pendants unter den Strassen: Parallel zu dieser Gasse gibt es Wege, die nach den drei Kleinbasler Ehrenzeichen benannt sind. Das Wild Maa-Gässli gleich nebenan und die schon wesentlich ältere Leuengasse von 1878 führen ebenfalls zum Oberen beziehungsweise Unteren Rheinweg. Es gibt auch ein Vogel Gryff-Gässli, das jedoch nichts für grosse Menschen ist: Womöglich könnte das Ehrenzeichen gar nicht durch seine eigene Gasse hindurchtanzen, ohne sich den Kopf anzuschlagen.
Kennen Sie noch weitere unbekannte Gässlein und verborgene Trampelpfade in Basel? Gerne können Sie unseren kleinen Reiseführer im Kommentarbereich erweitern.