Es sind ziemlich alte Neuigkeiten, von denen diese Geschichte handelt: Vor 130 Millionen Jahren sind in einer anderen Galaxie zwei Sterne verschmolzen. Bämm! Es gab einen sehr grossen Knall, doch bis die Menschheit davon Notiz nahm, sollte es noch eine ganze Weile dauern.
Erst im August 2017 registrierten Forscher in den USA und in Italien die Erschütterung, die diese Sternenexplosion verursachte. Diese Erschütterung bewegt sich seit der Verschmelzung der beiden Sterne mit Lichtgeschwindigkeit durchs Universum fort und traf am 17. August in Form einer Gravitationswelle auf die Erde.
130 Millionen Jahre, nachdem zwei Neutronensterne ineinanderkrachten, liess Thielemann die Korken knallen.
Diese Nachricht wurde weltweit als grosser Meilenstein der Wissenschaft gefeiert, als Auftakt zu einer neuen Ära der Astronomie. Sternverschmelzung klingt spektakulär, doch um das Ausmass dieser Entdeckung besser zu verstehen, musste ich eine Reise unternehmen.
Nicht Äonen, aber doch eine längere Autofahrt durch garstiges Winterwetter später, parkiere ich den Wagen in einer verschneiten Einfahrt vor einem renovierten Bauernhaus in den westlichen Ausläufern der Vogesen. Vom warm erleuchteten Hauseingang winkt mir bereits Friedrich-Karl Thielemann zu. Der emeritierte Physikprofessor der Uni Basel verbringt hier seinen Ruhestand damit, am Laufmeter wissenschaftliche Aufsätze zu verfassen. «Endlich habe ich Zeit für die Forschung.»
Thielemann, der vor seiner Anstellung in Basel schon in Darmstadt und in Harvard theoretische Physik gelehrt hat, ist genau der Richtige, um die Sternverschmelzung einzuordnen. Er hat vieles, das erst jetzt gemessen und beobachtet werden konnte, schon in den 90er-Jahren theoretisch vorausgesagt und zusammen mit seinen Doktoranden berechnet. Der Tag, an dem die «neue Ära der Astronomie» eingeläutet wurde, war für ihn ein Tag der Genugtuung. 130 Millionen Jahre, nachdem diese zwei Sterne ineinanderkrachten, liess Thielemann die Korken knallen.
Bahnbrechendes geschieht selten aus heiterem Himmel, sondern ist Ergebnis langwieriger Vorbereitung und vieler missglückter Experimente. Der Entdeckung im August gingen Jahrzehnte theoretischer und praktischer Aufbauarbeit voraus. Komplexeste Mathematik, Tüfteleien, die Entwicklung sensibelster Messtechnologie. Wie ich da so erwartungsfroh vor ihm sitze, sagt Thielemann denn auch als Erstes: «Ich muss etwas ausholen.»
Der Knall muss also noch etwas warten. Zuerst die Grundlagen, zuerst ein bisschen Gravitationslehre:
«Jedes Objekt übt eine Anziehungskraft aus. Diese Kraft ist sehr schwach, nimmt jedoch zu, je grösser die Masse eines Objektes ist. Wir Physiker sprechen im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie auch von einer Krümmung des Raumes. Man kann sich ein gespanntes Leintuch vorstellen, welches von einer darauf liegenden Kugel eingedrückt wird. Eine Bleikugel vom gleichen Volumen wird das Leintuch stärker verziehen als ein Volleyball. Legt man nun eine kleine Murmel auf dieses Leintuch, wird sie in diese Mulde rollen. Sie folgt der Anziehungskraft des Objektes.»
Dasselbe geschieht im Weltall, etwa in einem Doppelsternsystem. Die beiden Sterne üben eine gegenseitige Anziehungskraft aus, diese drückt sich darin aus, dass die beiden Objekte einander umkreisen (meist allerdings nicht kreisförmig, sondern elliptisch).
Da sich die beiden Sterne also bewegen, anders als die Kugel auf dem Leintuch, bleibt die Krümmung des Raumes nicht statisch, sie bewegt sich durch den Raum. Diese Krümmung wandert nun als Gravitationswelle durchs Universum und staucht oder verzerrt den Raum während der Ausbreitung. Ähnlich, wie die Wellen auf der Wasseroberfläche, wenn man einen Stein ins Becken wirft. Diese Gravitationswelle wirkt aber unendlich schwach und kann mit heutigen Mitteln kaum gemessen werden.
Gemessen wird schliesslich ein viel dramatischeres Ereignis – wir nähern uns mit Professor Thielemann dem Knall.
«Bei dieser Kreisbewegung geht laufend ein kleines bisschen Energie verloren. Die Bewegung wird immer schneller, die beiden Sterne nähern sich einander an und die ausgesandten Gravitationswellen sowie der Energieverlust werden immer stärker. Bis es zum Zusammenstoss kommt.»
Kurz vor der Kollision verursachen die beiden Sterne eine Gravitationswelle, die so stark ist, dass sie die Forscher auf der Erde messen können. Trotz Riesenknall ist die auf der Erde gemessene räumliche Krümmung minim. Erst durch die Entwicklung enormer Messinstrumente, sogenannter Laser-Interferometer wurde deren Beobachtung möglich.
Der Ligo-Detektor in Hanford (Washington).
Ligo heisst eines dieser Systeme, das aus zwei Anlagen besteht. Beide stehen sie in den USA, eins in Louisiana, das andere im Bundesstaat Washington. Darin wird ein Laserstrahl im Hochvakuum so aufgeteilt, dass er in einem rechten Winkel in zwei Richtungen strahlt und zurück reflektiert. Beide Arme sind exakt gleich lang (4 Kilometer), sodass die beiden Strahlen zur genau gleichen Zeit wieder auf den Sensor auftreffen.
Kleiner als ein Atomkern
Wird der Raum nun gekrümmt, sind die Arme nicht mehr gleich lang und die Laserstrahlen legen nicht mehr die genau gleiche Strecke zurück. Der Sensor registriert eine winzige Verschiebung. Ligo verfügt über eine Genauigkeit von einem Tausendstel Protonendurchmesser. Das ist kleiner als ein Atomkern. Ein ähnliches System steht auch in Italien (Virgo), weitere in Japan und Indien sollen bald folgen.
Im September 2015 hatten die Ligo-Forscher die Verschmelzung zweier schwarzer Löcher beobachten können. Es war die Entdeckung der Gravitationswellen, die bis dahin nur als Theorie existierten. Eine Leistung, die Anfang Dezember mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Bisher wurden vier solche Ereignisse verzeichnet.
Und so hört sich eine Gravitationswelle an, wenn sie vom Laser Interferometer erfasst wird:
An dieser Stelle müssen wir im Gespräch mit Professor Thielemann noch einmal einen kleinen Exkurs unternehmen. Zurück zur Gravitation, zurück in die Weiten des Weltalls.
«Man kann die Stärke der Gravitation eines Objektes auch über die Fluchtgeschwindigkeit ausdrücken. Das ist die Geschwindigkeit, bei der es einem von der Oberfläche abgeschossenen Körper gelingt, die Anziehung durch dieses Objekt zu überwinden. Also die Geschwindigkeit, mit der man einen Ball so in die Luft werfen müsste, damit er nie mehr zurückkommt. Je massereicher und weniger ausgedehnt ein Objekt, desto höher ist diese Fluchtgeschwindigkeit. Wir unterscheiden deshalb gewisse Klassen von Sternen anhand ihrer Masse und Ausdehnung. Ein sogenannter weisser Zwerg ist bei vergleichbarer Masse grösser als etwa ein Neutronenstern, welcher deswegen eine grössere Fluchtgeschwindigkeit besitzt. Von einem schwarzen Loch spricht man, wenn die Fluchtgeschwindigkeit grösser als die Lichtgeschwindigkeit ist. Das heisst, nicht einmal mehr Licht kann der Gravitation dieses Objektes entfliehen. Wir sehen nichts, ein schwarzes Loch.»
Dieser Unterschied ist deshalb wichtig, weil es sich bei unserem bahnbrechenden Ereignis vor 130 Millionen Jahren um die Kollision zweier Neutronensterne handelte. Die Gravitationswellen, die dabei entstehen, sind kleiner als bei der Verschmelzung schwarzer Löcher. Dafür gibt es etwas zu sehen. «Da passiert viel mehr Physik», erklärt Thielemann mit funkelnden Augen. Wir haben nun sein Spezialgebiet betreten. Es geht unter anderem um Gold. Um sehr viel Gold.
Beim Verschmelzen zweier schwarzer Löcher bleibt ein grosses schwarzes Loch zurück. Verschmelzen zwei Neutronensterne, entsteht zwar auch ein schwarzes Loch, doch durch die Kollision wird zuerst eine grosse Menge an «Sternmaterial» weggeschleudert. Damit geschehen verschiedene Dinge, das ist es, was Thielemann mit «mehr Physik» meint. Das alles ist bei schwarzen Löchern nicht möglich, weil dort die hohe Fluchtgeschwindigkeit ein solches Wegschleudern nicht zulässt.
30 Erdmassen Gold
Wir haben also eine Sternenkollision und eine grosse Wolke an neutronenreichem Material. Dessen Bestandteile beginnen untereinander zu reagieren. Protonen binden Neutronen, es entstehen und zerfallen in rasender Geschwindigkeit viele verschiedene Elemente. Diese chemischen Reaktionen erzeugen Licht, das auf der Erde wiederum durch Teleskope und andere optische Geräte erfasst werden kann. Nachdem Ligo im August die Gravitationswelle erfasste, beobachteten nacheinander viele Astronomen verschiedene Lichteffekte.
«Ein Tag nach der Verschmelzung sahen wir zuerst blaues Licht, nach drei Tagen dann infrarotes Licht. Diese Lichteffekte hielten etwa eine Woche an. Die Wellenlänge lässt Rückschlüsse darauf zu, welche Elemente dort in welcher Menge entstanden sind. Unseren Schätzungen zufolge sind unter anderem ungefähr 30 Erdmassen Gold und zehn Erdmassen Uran entstanden. Damit können wir erstmals erklären, woher Uran kommt. Dieses viele Gold fliegt nun als Staub durchs Universum. Auch das Gold, das sich auf der Erde befindet, ist wohl das Ergebnis einer Neutronensternverschmelzung.»
Thielemann führte 1994 mit drei Kollegen die ersten Computersimulationen durch, die voraussagten, dass bei einer solchen Verschmelzung ein Teil der Sternmaterie hinaus ins Universum geschleudert würde. Auch die Zusammensetzung der Elemente, welche auf diese Weise entstehen, hat er zusammen mit seinen Doktoranden schon früh berechnen können. Die Beobachtungen vom 17. August und den Tagen danach bestätigen, wovon er schon lange überzeugt gewesen war.
Eine späte Genugtuung? «Ja klar. Aber es kam ja nicht direkt als Überraschung. Seit Ligo in Betrieb ist, haben wir damit gerechnet, dass bald eine solche Beobachtung möglich sein wird.» Thielemann soll nun für verschiedene Wissenschaftspreise vorgeschlagen werden.
Doch der Professor bleibt bescheiden, er wird nun wohl einfach noch mehr wissenschaftliche Aufsätze schreiben. In seinem schönen Haus in den Vogesen, fern vom städtischen Trubel, dafür nahe an den Sternen.
Wer jetzt noch nicht genug von explodierenden Sternen und glitzerndem Goldstaub hat, kann in diesem Video noch eine hübsche Hochglanzvisualisierung der Nasa geniessen. Viel Spass!