Einmal den Rousseau, Monsieur Boillat!

Wie schmeckt Kunst? Der «Stucki»-Koch Thierry Boillat hat sich für die TagesWoche an ein Experiment gewagt: Er hat Rousseaus Dschungelszene kulinarisch umgesetzt. Entstanden ist ein Meisterwerk zum Schlemmen – und Nachkochen.

Fertig ist das Meisterwerk. Erkennen Sie die Dschungel-Szene? (Bild: Basile Bornand)

Wie schmeckt Kunst? Der Spitzenkoch Thierry Boillat hat sich für die TagesWoche an ein Experiment gewagt: Er hat Rousseaus Dschungelszene kulinarisch umgesetzt. Entstanden ist ein Meisterwerk zum Schlemmen – und Nachkochen.

Nur der Koch Thierry Boillat steht in der Küche des Restaurant Stucki auf dem Bruderholz. Der Chromstahl glänzt, während Boillat auf der Ablage das Mise en Place richtet. Das ist seine Farbpalette für das Gemälde, welches er auf den Teller bringen will: Tamarillos, Schwarzwurzel-Chips, Kalbsnierstück und eine Handvoll Kräuter. «Die Kräuter habe ich vorher auf der Wiese hinter dem Haus gepflückt», sagt Boillat ganz nebenbei. 

Der Koch hat sich ein Meisterwerk vorgenommen: Boillat setzt einen grossen Künstler kulinarisch um. Genauer gesagt Henri Rousseaus berühmte Dschungelszene, in der sich ein hungriger Löwe über eine Antilope hermacht. Vor 110 Jahren gelang Rousseau damit der Durchbruch. Das Gemälde befindet sich heute in der Fondation Beyeler in Riehen.

Der geheimnisvolle Geschmack von Kunst

In Riehen ist Boillat aufgewachsen, hat das Dschungelbild schon oft im Museum bewundert. «Auch neben dem Teller interessiere ich mich sehr für Kunst», sagt er. Dem Rousseau echten Geschmack verleihen? Es scheint, als hätte der junge Spitzenkoch schon lange auf diese Gelegenheit gewartet. 

Neues Projekt der Basler Museen: Rezepte erfinden
Wurden Sie inspiriert von Thierry Boillats Dschungel-Bild? Die Basler Museen haben ein Projekt lanciert, in dem es darum geht, Kochbares zu ausgewählten Museumsobjekten zu kreieren. Mitmachen darf jeder und jede; der Einsendeschluss der Rezepte ist am 15. März. Bis dahin bieten die Museen auch Führungen zu den ausgesuchten Werken an. Eine Auswahl von originellen Rezepten erscheint im Mai in einem kleinen Heft. Alle wichtigen Infos finden Sie auf der Homepage der Museen Basel.

Boillat reicht einen Schwarzwurzel-Chip zum Probieren – ein Baumstamm im Dschungel. Die bittere Geschmacksnote sei ganz zentral: «Für mich liegt Bitterkeit in dieser Szene: Der Löwe, der die Antilope beisst und dabei lacht.» Das Gericht wirke optisch fröhlicher als das Original. «Die Bitterkeit liegt dafür im Geschmack», erklärt Boillat. «Der Geschmack hat immer Priorität, erst dann kommt das Visuelle.»

Ein Gericht und sein fast nicht blauer Teller

Boillat sammelte auch bei seinen Mitarbeitern Ideen, wie er die Dschungelszene umsetzen könnte. Chefin Tanja Grandits liess für das Gericht extra einen Teller herstellen: Mit einem fast nicht erkennbaren Blauton für den Himmel. Die exotischen Tamarillos hat Boillat püriert und zur Sonne verarbeitet. Er erzählt zufrieden: «Als ich das Gericht fertig entwickelt habe, ist ein Lehrling daran vorbeigelaufen und hat das Bild sofort erkannt». Er habe gemeint, eine solche Sonne gäbe es ja nur einmal.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Boillat von ungewöhnlichen Themen für ein Gericht inspirieren lässt. Einmal habe er für einen Kochwettbewerb ein Menu zu verschiedenen Katastrophen kreiert. Er setzte mit der Vorspeise «Ein gestrandeter Steinbutt» die Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko kulinarisch um. Die Waldbrände im Wallis inspirierten ihn zum Hauptgang mit dem Namen «Walliser Waldbrand»: «Ich möchte auch zum Denken anregen und etwas machen, das einen Sinn hat».



Thierry Boillat schneidet das Kalbsfleisch in feine Tranchen. Innen ist es noch roh, ganz nach Tataki-Art.

Thierry Boillat schneidet das Kalbsfleisch in feine Tranchen. Innen ist es noch roh, ganz nach Tataki-Art. (Bild: Basile Bornand)

Vom Kochlehrling zum Weltmeister

Boillat konnte mit seinen 26 Jahren bereits viele Erfolge feiern. Doch dafür brauchte es eisernen Willen: «Die Schulzeit war für mich nicht gerade glorreich», sagt er. Erst mit der Kochlehre im Basler Bethesda-Spital kam die grosse Wende: «Meine Lehrmeister haben mich sehr stark gefördert, dadurch bin ich richtig aufgeblüht».

Sein erstes Kochbuch mit dem Namen «Thierrys Gusto» erschien, als er 17 Jahre alt war. Darauf folgten Jahre in verschiedenen Küchen und an internationalen Kochwettbewerben. «Ich habe die Wettkämpfe gebraucht, um meine schwierige Schulzeit zu kompensieren und Selbstbewusstsein aufzubauen.» 2010 dann der Höhepunkt: Boillat führte die Junioren-Kochnationalmannschaft an der Weltmeisterschaft an. «Ein ganzes Jahr habe ich mich nur auf die Weltmeisterschaft vorbereitet. Wir wollten unbedingt gewinnen.» Boillat und sein Team holten Doppel-Gold und wurden Weltmeister.

Vom Weltmeistergipfel auf das Bruderholz

Jetzt ist es deutlich ruhiger um den jungen Spitzenkoch. «Mit den Wettkämpfen ist Schluss, ich stehe jetzt mehr im Leben», sagt Boillat. Seit April ist er im renommierten Restaurant Stucki für die Vorspeisen und deren Entwicklung zuständig. «Ich wollte schon immer hier hin, habe mich aber nie getraut», sagt er. Von Zurückhaltung ist längst nichts mehr zu spüren. Boillat ist auf dem Bruderholz angekommen. Hier bildet er jetzt auch selbst Lehrlinge aus: «Das Wissen weiterzugeben, empfinde ich als etwas vom Besten».

Boillat kocht mit Lockerheit, das kommt auch auf dem Teller gut an. «Dauergestresst sein, das wäre nichts für mich», entgegnet er und macht sich an die Wildkräuter. Immerhin gibt es noch einen Rousseau zu vollenden. Mit einer grossen Pinzette fasst er jedes Kräutchen einzeln, tunkt es in das Dressing und platziert es auf einem Schwarzwurzel-Chip: Rousseaus Dschungeldach nimmt mehr und mehr Gestalt an.



Die zwei Holzbalken sollen keinen Bilderrahmen darstellen, sondern helfen Boillat dabei, das Gericht in einem genauen Rechteck anzurichten.

Die zwei Holzbalken sollen keinen Bilderrahmen darstellen, sondern helfen Boillat dabei, das Gericht in einem genauen Rechteck anzurichten. (Bild: Basile Bornand)

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Rezept: Kalbs-Tataki mit Tamarillo-Sauce, dazu Wildkräutersalat, schwarzer Sesam und Schwarzwurzel-Chips

Tataki
400g Kalbfleisch
4 El Dukkasalz
2 El braune Butter
etwas Fleur de sel

Das parierte Fleisch in dicke Scheiben schneiden. Mit dem Ducca-Salz von allen Seiten würzen. In brauner Butter scharf anbraten und anschliessend in feine Tranchen schneiden. Mit dem Dressing bestreichen.

Tamarillo-Sauce
4 Tamarillos (gibts bei Globus)
3 Schalotten
2 Kartoffeln, mehlig kochend
80g Preiselbeeressig
1 Flasche Preiselbeersaft (z.B. von Biotta)
etwas Sonnenblumenöl
etwas Salz

Alle festen Zutaten in etwas Öl andünsten. Anschliessend mit dem Essig ablöschen, mit dem Saft auffüllen und 15 Minuten köcheln lassen.  Das Ganze mixen und durch ein Sieb passieren. Mit Salz abschmecken und eher kühl servieren.

Dressing
40g Limettensaft
40g Sesamöl (geröstet und aus schwarzem Sesam)
etwas Salz

Saft und Öl mischen und mit Salz abschmecken.

Wildkräuter-Salat
für 4 Personen Wildkräuter im Garten sammeln (da kann ein Kräuter-Lexikon helfen)
evtl. zusätzlich glatte Petersilie
1 El schwarzer Sesam

Die gewaschenen und gezupften Kräuter mit dem Dressing anmachen und den Sesam darüber streuen.

Schwarzwurzel-Chips
2 dünnere Schwarzwurzeln, gewaschen nicht geschält.
etwas Salz

Die Wurzeln dünn und längs hobeln. In 175° Grad heissem Öl frittieren. Sobald die Streifen goldgelb sind, abtropfen lassen. Die Wurzeln mit Salz würzen.

Dukka-Salz
8 El Sesam geröstet
4 El Koriandersamen
2 El Kreuzkümmel
1Tl schwarzer Pfeffer
6 El Erdnüsse
2 El Meersalz

Alle Zutaten im Mörser leicht vermahlen

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