Für die Fahrenden hat das Warten nun ein Ende: Ab dem 1. April wird an der Entenweidstrasse ein temporärer Durchgangsplatz eingerichtet werden. Ein definitiver Standplatz soll nächstes Jahr folgen – ebenfalls im St. Johann.
Noch stehen hier bloss Auto-Occasionen. Bald schon aber wird mit Wohnwagen, mobilen Handwerksbetrieben und herumspringenden Kindern etwas Leben auf dem Areal einkehren. Was in Basel lange Zeit nur schleppend voranging, wird nämlich am 1. April konkret: Ab dann sollen Fahrende bei der Entenweidstrasse einen temporären Durchgangsplatz erhalten. Es handelt sich um den Ort, wo künftig das neue Naturhistorische Museum und das Staatsarchiv stehen sollen.
Das Areal umfasst 750 Quadratmeter und soll fünf Wohneinheiten Platz bieten. Je nach Familiengrösse werden also jeweils etwa zwanzig Personen auf dem Areal stationiert sein. Die Fläche zwischen der Entenweidstrasse, dem Luzernerring-Viadukt und den Bahngeleisen soll bis Ende Juli 2017 belegt werden. Falls der definitive Standplatz dann noch nicht bezugsbereit sein sollte, kann der Vertrag auch verlängert werden.
Eine Premiere für Basel: Mietvertrag statt Duldung
Der Kanton erschliesst den Platz beim Bahnhof St. Johann mit Wasser und Strom, ansonsten wird er von den Fahrenden bewirtschaftet und unterhalten. Einer von ihnen wird als Platzwart ständig vor Ort sein und als Ansprechperson dafür sorgen, dass alles reibungslos über die Bühne geht. Somit sieht die Situation anders aus als letztes Jahr auf dem Ex-Esso-Areal an der Uferstrasse. Dort lebten von April bis Dezember ebenfalls Fahrende mit fünf Wohneinheiten. «Diesmal handelt es sich nicht bloss um eine Duldung, sondern um eine Bewilligung», betont Regierungspräsident Guy Morin. Das bedeutet für Basel eine Premiere: Zum ersten Mal wird auf öffentlichem Grund ein Platz mit Mietvertrag für Fahrende eingerichtet.
Nach dem Provisorium an der Entenweidstrasse wird ein definitiver Standplatz folgen. Das Areal an der Friedrich Miescher-Strasse – gleich zwischen der Grenze zu Frankreich und den Universitären Psychiatrischen Kliniken – soll Mitte oder Ende 2017 in Betrieb genommen werden.
Handwerkerfamilien statt Gebrauchtwagen: Die sesshaften Santihanslemer werden bald nomadische Nachbarn bekommen. Bei einem «Tag des offenen Platzes» möchten die Fahrenden die Anwohner einladen. (Bild: Michel Schultheiss)
Der Richtplan soll ein jahrelanges Versäumnis wettmachen
Standplätze sind in der ganzen Schweiz Mangelware. Nun ist der Kanton Basel-Stadt einem Versprechen nachgekommen. Zwar sind in der Region – in Kaiseraugst, Liestal und Wittinsburg – Standplätze vorhanden, in der Stadt jedoch nicht. Das soll sich mit dem kantonalen Richtplan ändern. Dieser schreibt vor, dass bis 2019 ein Standplatz von 2000 Quadratmetern, mit zehn Wohneinheiten, geschaffen werden soll. Der Kanton hat das so mit dem Verband Roma und Sinti Schweiz (VSRS) und der Radgenossenschaft der Landstrasse vereinbart. Rechtliche Bundesbestimmungen erwarten nämlich, dass die Kantone sich um solche Lösungen bemühen: Das Kulturfördergesetz von 2009 schreibt vor, die Fahrenden in einer ihrer Kultur entsprechenden Lebensweise zu fördern.
Andreas Geringer vom VSRS ist zufrieden über die Einigung mit dem Kanton: «Das ist keine Selbstverständlichkeit – umso grösser ist die Freude», sagt er. Für Andreas Geringer und seine Leute hat das Jahr in und um Basel nämlich alles andere als gut begonnen: Auf Betreiben von Pro Natura musste seine Gruppe eine Wiese beim Rangierareal der Deutschen Bahn verlassen. Im Februar kam es in Allschwil zu einer Attacke auf Fahrende, bei der auch Leute angepöbelt und zusammengeschlagen wurden.
«Die Akzeptanz der Sesshaften ist uns wichtig»
Mit dem Durchgangsplatz im St. Johann gibt es endlich eine gute Nachricht für die Fahrenden. Der Standort birgt aber auch Risiken: Die Wohn- und Arbeitswagen werden gleich bei den Bahngleisen stehen. Zum Schutz der spielenden Kinder soll daher eine provisorische Abschrankung errichtet werden.
Andreas Geringer vermutet, dass die Zusammensetzung der Durchzügler im St. Johann wie auch schon bei der Uferstrasse kunterbunt sein wird: Sowohl Jenische wie auch Sinti und Roma waren dort anzutreffen. Diese stammten aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland, Frankreich und Norwegen. Die nomadischen Nachbarn möchten aber auch den Kontakt mit dem Quartier suchen: «Die Akzeptanz der Sesshaften ist uns wichtig», sagt Geringer. Daher soll am 16. April die Bevölkerung zu einem «Tag des offenen Platzes» eingeladen werden. Wie Geringer festhält, bleiben die meisten Fahrenden je nach Arbeitssituation meistens zwischen einem und zwei Monaten an einem Ort. Das hänge von Aufträgen, aber auch von der Verfügbarkeit des nächsten Ziels ab.
Seit 600 Jahren in Basel
Die Zahl der Jenischen, Sinti und Roma wird in der Schweiz auf 35’000 geschätzt. Davon sind nur noch zehn Prozent Fahrende. Hinzu kommen auch mehrere Tausend Roma aus Südosteuropa, von denen aber ein noch geringerer Prozentsatz in der Schweiz die nomadische Lebensweise pflegt. «Man sieht diese Minderheiten nicht nur dann, wenn der Scherenschleifer klingelt – statistisch gesehen gibt’s in jedem halbvollen Tram einen Jenischen», sagt Venanz Nobel. Wie der jenische Historiker festhält, wurden Fahrende bereits vor rund 600 Jahren in Basel erstmals erwähnt. Ihr Reiserhythmus wird vom Geschäft bestimmt: Nebst den traditionellen Berufen als Messer- und Scherenschleifer sind Fahrende auch als Spengler, Dachdecker, Monteure und Maler sowie im Handel tätig. «Ein altes Sprichwort von uns besagt, dass ein Jenischer mindestens zwanzig Berufe hat», sagt Venanz Nobel.