Gebrochenes Deutsch, perfektes Portugiesisch, Kaffee und Gipfeli. Es ist Freitagmorgen um 9 Uhr, zwei Frauen und zwei Männer sitzen an einem Tisch, angeregt ins Gespräch vertieft. Es geht um den 1. Mai, den Tag der Arbeit. Für die vier Leute am Tisch – sie sind zwischen 20 und 60 Jahre alt – wird es ein spezieller Tag.
Alle vier sind Sans-Papiers aus Basel-Stadt. Über 5000 von ihnen, so die Schätzung, leben hier in der Region. Gemeinsam werden sie am Dienstag demonstrieren. Zwei Sans-Papiers werden zusammen eine Rede halten, einer von ihnen sitzt hier am Tisch.
Warum marschieren die Sans-Papiers am Tag der Arbeit? Was erwarten sie und was erleben sie in ihrem Alltag in Basel-Stadt? Wir haben uns hinzugesetzt und zugehört.
«Arbeit. Das ist nicht einfach. Einerseits ist der Markt riesig, die Nachfrage nach Arbeitskräften wie uns gross. Beispielsweise in der Pflege von alten Menschen. Aber: Ohne Bewilligung ist es schwierig, einen Arbeitgeber zu finden, der bereit ist, dir einen Job zu geben. Man braucht dich zwar unbedingt, sagt dir das auch, aber man kann dir oft keinen Job geben.»
«Das tägliche Leben ist geprägt von Angst und Arbeit. Klar erleben wir, wie alle Menschen, auch freudige Momente. Aber alles, was wir tun, findet unter einem Druck statt. Eine Situation, die die Gesundheit beeinträchtigt.»
«Viele von uns machen die schlimmste Art von Arbeit. Die, die andere nicht machen würden. Schleppen, putzen, waschen, pflegen. Auch Drogen und Prostitution. Nicht freiwillig. Die Not kann einen dazu zwingen.»
«Ich halte mich derzeit mit Handlangerarbeiten – für Zügelunternehmen –und mit Gartenarbeiten über Wasser. Man kann in Situationen geraten, wo man auf Zuwendungen von anderen angewiesen ist. Dann schläft man bei Bekannten auf dem Sofa, isst bei ihnen. Hütet dafür die Kinder, macht den Haushalt. Ein Tauschhandel.»
«Es gibt Sans-Papiers, die arbeiten für 10 Franken pro Stunde. Es ist nicht recht. Aber wir müssen auch diese Sachen machen.»
«Wir sind billige Arbeitskräfte fast ohne Rechte. Ich arbeite seit bald zehn Jahren bei der gleichen Firma. Harte Arbeit. Für 18 Franken pro Stunde. Die Schweizer dort verdienen auch nicht viel. 22 Franken pro Stunde. Trotzdem will ich Gott danken für meine Arbeit. Nur: Wehren wegen dem Lohn kann ich mich nicht. Das kann keiner von uns. Wir müssen alles mit uns machen lassen.»
«Es gibt Sans-Papiers in Basel, die arbeiten für 10 Franken pro Stunde. Es ist nicht recht. Aber wir müssen auch diese Sachen machen.»
«Wenn jemand dir nach einem Tag Arbeit nichts bezahlt, obwohl er dir Lohn versprochen hat: Das kennen wir alle. Da bist du ohnmächtig, kannst nichts machen. Wir sind eine Zielscheibe für Ausbeuter aller Art.»
«Ich verstehe einfach nicht, warum ich nicht nach ein paar Jahren Arbeit eine Bewilligung erhalten kann. Ich könnte natürlich heiraten. Dann gibt es Papiere, sogar bei einer Scheidung. Aber ohne das Familiending habe ich keine Chance, obwohl ich eine aktive, fleissige Bürgerin bin. Schon viele Jahre. Aber ich heirate nicht einfach so. Das kommt nicht infrage.»
«Man gilt als kriminell, nur aufgrund seiner Existenz. Dabei sind wir keine Kriminellen. Wir sind produktive, aktive Menschen. Und wir werden schnell ausgebeutet.»
«Der 1. Mai ist ein spezieller Tag. Weil er in der ganzen Welt begangen wird. Global stehen Menschen für mehr Freiheit ein, drücken ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus. Ein Protest, aber friedlich. Wir haben an der Vollversammlung entschieden, dass wir alle da auch mitmachen.»
«Unsere Forderung ist einfach. Wir möchten anerkannt werden. Regularisiert, wie es heisst. Wir hoffen, dass viele kommen.»
«Ich hoffe, dass viele Sans-Papiers kommen. Es braucht Mut. Die Angst, aufzufliegen, ist gross.»
«Es geht darum, auf die Realität unserer Existenz aufmerksam zu machen. Und dafür einzustehen, dass wir ein anerkannter Teil des sozioökonomischen, kulturellen und politischen Systems werden dürfen. Denn ein Teil sind wir. Aber kein anerkannter.»
«Ich hoffe schon, dass viele Sans-Papiers kommen. Es braucht Mut. Die Angst aufzufliegen, ist gross. Die Angst läuft immer mit. Es kann gut sein, dass einer denkt: Da gehe ich hin, da mache ich mit. Denn es ist eine gute Gelegenheit, als Gruppe aufzutreten, die Angst zu überwinden. Aber dann, am Tag selbst, wenn es darum geht, vor die Tür zu gehen: Das ist eine andere Geschichte. Nicht alle werden diesen Schritt wagen.»
«Ich werde meine Rede ohne Maske halten. Das bedeutet für mich persönlich, mich wirklich ausdrücken zu können. Mein Gesicht, meine Gefühle zu zeigen. Aber ich bin in einer speziellen Situation. Ich erfülle die Kriterien für das Bleiberecht. Andere können das nicht.»
«Ich würde ebenfalls gerne ohne Maske demonstrieren. Aber meine Situation erlaubt das nicht: Ich bin erst seit ein paar Jahren in der Schweiz.»
«Ich fühle mich hier zu Hause. Ja, hier bin ich daheim. Die Vorstellung, erwischt zu werden: unvorstellbar. Als würde man einen Fisch aus dem Wasser nehmen.»
«Ich würde nicht sagen, dass ich eine Depression habe. Aber es ist manchmal einfach alles zu viel.»
«‹Heimat› kann ich es nicht nennen. Denn ich habe hier weder Wurzeln noch Familie. Um dieses Wort zu benutzen, müsste ich mich hier frei und ohne Angst bewegen können. Dafür möchte ich kämpfen. Denn ich habe Basel schätzen gelernt. Es ist mein erster Kontakt mit der ‹Ersten Welt›, und die Organisation, das Funktionieren von allem – der Gesellschaft, dem Verkehr, einfach allem – das ist einfach toll.»
«Ja, es ist ein grosser psychologischer Druck. Es macht dich depressiv. Es macht dich krank. Einzig die Anlaufstelle für Sans-Papiers hilft manchmal etwas, von diesem Druck zu nehmen. Hier erhalten wir Hilfe.»
«Ich würde nicht sagen, dass ich eine Depression habe. Also im medizinischen Sinn. Aber es ist manchmal einfach alles zu viel. Es gab Phasen, wo ich den Druck so sehr spürte, dass ich mir Bier kaufte. Viel Bier. Das ist billig. Man muss nicht mehr an seine Sorgen denken. Ein schlechtes Medikament. Heute ist das Essen meine Medizin.»
«Die Angst ist ein ständiger Begleiter. Das Risiko einer Verhaftung mit anschliessender Ausschaffung ist real. Eine Katastrophe. Man würde alles verlieren, was man sich hier in jahrelanger Arbeit aufgebaut hat. Es geht täglich ums Überleben. Das ist ein Zustand, der für die Psyche und den Körper nicht gesund ist. Eine Misere. Wir müssen für ein Leben in Würde kämpfen.»