Geschäftsmodell statt Role Model – Knackeboul zum Ende von Joiz

Joiz war schon lange vor seinem Begräbnis tot. Wer Inhalte nur produziert, um sie gewinnbringend zu vermarkten, wird scheitern. Wer Menschen begeistern will, muss mit Herz, Hirn und Haltung antreten.

«Je mehr Sponsoren an Bord kamen, desto mehr litten Inhalt und Glaubwürdigkeit.» Knackeboul über seinen ehemaligen Arbeitgeber Joiz.

(Bild: Hansjörg Walter)

Joiz war schon lange vor seinem Begräbnis tot. Wer Inhalte nur produziert, um sie gewinnbringend zu vermarkten, wird scheitern. Wer Menschen begeistern will, muss mit Herz, Hirn und Haltung antreten.

Joiz ist tot. Meine Timeline blutet. In den Kommentarspalten tummeln sich bereits die Aasgeier, die auch den Tod eines privaten Jugendsenders irgendwie mit dem ominösen Leutschenbach in Verbindung bringen und meinen, sie hätten Billag für ein links-versifftes Medium bezahlt.

Und ich sitze hier, unfähig zu trauern. Denn zum einen hab ich als ehemaliger Mitarbeiter selbst viel von Joiz profitiert und fühle mit den hoffnungsvollen jungen Menschen, die jetzt ihren Job verlieren. Zum anderen war das Ende von Joiz absehbar.

Was ich als rebellisches Konzept zur Aufmischung der hiesigen Medienwelt wähnte, verkam kontinuierlich zu einer Sponsoren-Befriedigungs-Maschine, die über Soziale Medien Verbreitung und Einnahmen suchte – ein Geschäftsmodell statt ein Role Model. Die Authentizität der Protagonisten färbte dabei nicht auf die beworbenen Produkte ab. Vielmehr verlieh das ständige Mitmischen irgendwelcher Marketing-Abteilungen von Sponsoren bei Sendungsinhalten dem Sender einen faden Beigeschmack, der auf die Moderatoren abfärbte.

Joiz war nicht schlecht – es war in einem Dilemma.

Auf der Flucht vor dieser Stinkbombe trieb es mich vor zwei Jahren in die Arme von «watson», wo ich seither ein Trash-Video-Format namens «world of watson» mitpräge. Und es trieb mich in den schützenden Hafen der TagesWoche, wo ich zum Ausgleich meine sozial-kritischen Betrachtungen einer aufgeklärten Leserschaft unterbreiten darf.

Joiz war nicht schlecht – es war in einem Dilemma: Authentisch jugendlicher Inhalt sollte gewinnbringend vermarktet werden, aber je mehr Sponsoren an Bord kamen, desto mehr litten Inhalt und Glaubwürdigkeit. Ein Dilemma, das die gesamte Medienbranche kennt. Verkaufszahlen brechen ein, alles ist online, alle stürzen sich ins Netz und zerfleischen sich selbst.

So hat «20min» kürzlich die viralen Jungs um Bendrit Bajra in einen Mixer gesteckt und den Knopf gedrückt. Herauskam das Format «Swissmix», das aus all diesen jungen Internet-Berühmtheiten das Schlechteste herausholte. Ein ungeniessbarer Matsch, keine Spur mehr von Bendrits ursprünglicher Originalität. Momentan suchen alle Schweizer Medienportale verzweifelt Anschluss an die Ära der Sozialen Medien und scheitern eines nach dem anderen kläglich.

Wir haben kein einziges Medium, das die Jugend bildet, sie kritisch denken lässt und ihre Themen gebührend behandelt.

Dabei wäre das bestmögliche Joiz wichtig gewesen für die Schweiz. Denn wir haben kein einziges Medium, das die Jugend bildet, sie kritisch denken lässt und ihre Themen gebührend behandelt. Natürlich kann sich der junge Mensch von heute sein Wissen und seine Unterhaltung selbst online zusammensaugen, aber eine Plattform, die diesen Overkill an Informationen vernünftig filtert oder gar eigene Inhalte mit Mehrwert herstellt, gibt es nicht.

Joiz war schon lange vor seinem Begräbnis tot, kaum ein Privatsender macht viel mehr als Mainstream-Konserven-Musik spielen und Belanglosigkeiten wälzen. Die grossen Medienhäuser sind heute mehr damit beschäftigt, branchenfremde Firmen aufzukaufen, um Profit zu machen, als dass sie sich um die Qualität ihres Journalismus kümmern würden.

Die SRG könnte unabhängig von Sponsoren und Gewinn-Maximierungs-Gedanken Formate entwickeln, die Spass machen.

Man mag mich für einen altmodischen Moralapostel halten, aber ich finde, in turbulenten Zeiten brauchen wir eine kritisch denkende Jugend, die nicht alles glaubt, was man ihr auftischt. Dazu bräuchte man eine Plattform, die intelligente, kreative Inhalte schafft, die der Jugend gut bekommt, sie aber gleichzeitig zu Diskussionen, Recherche und Meinungsbildung animiert.

Diese Rolle könnte die SRG übernehmen. Unabhängig von Sponsoren und Gewinnmaximierungs-Gedanken könnten Formate entwickelt werden, die Spass machen, die an die Grenze gehen und das Gehirn stimulieren. Aber die SRG ist gehemmt. Sie kämpft gegen einen Mob von Wutbürgern, die meinen, mit ihren Billag-Gebühren würde rot-grünes Schindluder getrieben (während die Anführerin des Mobs die Werbefenster von ausländischen Trash-TV-Formaten vermarktet). Und sie hat Angst vor ihrem Alterssegment 65+ und verbannt alles Jugendliche, Schräge, Innovative in Randsendezeiten oder auf SRF «Virus», den Radiosender, der nur online oder über DAB (Digital Audio Broadcasting) zu empfangen ist.

Herz und Hirn können Viralität erzeugen und somit auch Einnahmen generieren.

Ein Lösungsansatz aus dieser Misere: Man muss das ganze System, ich meine das Wirtschafts-, Polit-, Mediensystem, neu denken – und zwar vom Herz her. Online-Medien könnten vorausgehen. Einige tun das schon, weil sie funktionieren. Oder besser gesagt, sie funktionieren, weil sie es tun. Was tun sie? Sie erschaffen Inhalte mit Kopf und Herz, weil sie an der Sache interessiert sind, weil sie eine Haltung haben, weil sie recherchieren, weil sie ihre Welt(sicht), ihren Humor und ihr Wissen teilen wollen.

Das ist der Schlüssel zum Erfolg: Ehrlichkeit, Haltung, Herz, Hirn und Humor. Wenn du etwas der Viralität wegen produzierst – also um deine Inhalte über Soziale Medien zu verbreiten –, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es wenig Likes generiert, sehr gross! Wenn du etwas produzieren und teilen willst, weil es dir wichtig ist, dich interessiert und dir Freude macht, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass es neben dir viele weitere Menschen gibt, die sich für deine Sache interessieren und begeistern und deine Arbeit gerne teilen.

Klar, wir kriegen nichts geschenkt. Wie soll man also mit Hippie-Gequatsche, wie ich es hier absondere, Geld verdienen? Ganz einfach: Wenn etwas von Herzen kommt oder von einem wachen Kopf, hat es virales Potenzial. Virales Potenzial ist ein kostbares Gut, wer es hat, wird auch Geld verdienen. Herz und Kopf können also Viralität erzeugen und somit auch Einnahmen generieren.

Dumm ist es, mit finanziellen Mitteln Viralität herstellen zu wollen. Das klappt selten bis nie. Trotzdem machen fast alle Medienhäuser diesen Fehler. Joiz hat ihn auch gemacht und ist daran zugrunde gegangen. Aber wenn alles in Scherben liegt, ist die Zeit reif, etwas Neues aufzubauen. Etwas mit Herz, Hirn und Haltung. Ein neuer Sender, eine neue Plattform, wer weiss. Es fehlt nur noch ein Sponsor…

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