«Gott ist kein überdimensionierter Kaugummiautomat»

Raphael Fabry, Jugendpastor bei der evangelischen Freikirche ICF, erklärt, weshalb die Kirche zum Thema Sexualität nicht schweigen soll und wann es in Ordnung ist, für einen Porsche zu beten.

Der 28-jährige Raphael Fabry ist in einem religiösen Haushalt aufgewachsen, hat lange die Landeskirche besucht und erst vor einigen Jahren zum ICF gefunden. (Bild: Basile Bornand)

Raphael Fabry, Jugendpastor bei der evangelischen Freikirche ICF, erklärt, weshalb die Kirche zum Thema Sexualität nicht schweigen soll und wann es in Ordnung ist, für einen Porsche zu beten.

Auf dem ehemaligen Haefely-Areal an der Lehenmattstrasse, in Nachbarschaft eines Musikclubs (Kaschemme) und eines Muskelclubs (Indoor Fitness Parcour), steht die Lehenmatthalle. Hier feiern die Anhänger des Basler Ablegers der evangelischen Freikirche ICF (International Christian Fellowship) ihren Herrn. Den industriellen Charme der Räume haben die Kirchen-Architekten mit Möbeln aus Holzpaletten und Stücken aus der Brockenstube ergänzt. An einer Bar gibt es Getränke und in der «Actionhalle» stehen dicke Matten zum Rumhüpfen parat.

An einer Wand hängt ein Zettelkasten. Wer ein Anliegen hat, kann es aufschreiben und in einen Briefkasten werfen. Dann wird in der Gemeinde dafür gebetet.

Der ICF ist der Inbegriff einer Jugendkirche. Wir trafen den Jugendpastor Raphael Fabry zum Gespräch. Er spricht zuerst zögerlich und bemüht sich sichtlich um passende Antworten. Leidenschaftlich werden seine Antworten erst, wenn es um die Bibel und um Jesus geht.

Raphael Fabry, wie viele Jugendliche besuchen die Jugendgottesdienste beim ICF Basel?

Wir führen kein eigentliches Mitgliederregister, deshalb ist es auch schwierig, konkrete Zahlen zu nennen. Ausserdem besuchen manche Leute verschiedene unserer Gottesdienste. Also neben dem eigentlichen Jugendgottesdienst «NextGen» für 16- bis 22-Jährige am Freitagabend beispielsweise auch denjenigen am Sonntagabend. Ins NextGen kommen jeweils ungefähr 50 Leute. Im erweiterten Kreis sind wir wohl zwischen 80 und 100 Leute. Es gibt aber auch Jugendliche, die jeweils nur am Sonntagabend erscheinen. Wir haben generell ein eher junges Publikum.

Was macht eine Kirche wie ICF attraktiv für Jugendliche und junge Erwachsene?

Die Gründer von ICF wollten damals eine Kirche nach ihrem Geschmack gestalten. Sie waren jung und wollten den Glauben so leben, wie es ihnen gefällt. Ich lese immer wieder die Behauptung, dass wir unsere Kirche mit der Absicht gestalten, junge Leute anzuziehen. Dabei ist es umgekehrt.

Mal abgesehen von Sprache, Stil und Musik beim ICF. Was macht Ihre Kirche inhaltlich aus?

Ich kann da vor allem für mich selbst sprechen. Sehr lange hatte ich eine sehr ambivalente Vorstellung von Gott. Es war stets auch ein Gefühl der Angst dabei, Zweifel daran, ihm zu genügen. Als ich dann älter wurde, habe ich mir viele Podcasts angehört von Kirchen aus aller Welt. Dadurch und durch die Predigten im ICF hat sich meine Vorstellung von Gott verändert. Ich definiere Gott für mich heute ausschliesslich durch Jesus. Er ist ein liebender Gott, der sich für mich geopfert hat. Das gab mir eine Freiheit, einen neuen Zugang zu Gott.



Wenn Raphael Fabry auf Jesus zu sprechen kommt, kennt er kein Halten mehr. Bibelzitate interpretiert er so, dass sie ihm in seinem Alltag eine Stütze sind.

Wenn Raphael Fabry auf Jesus zu sprechen kommt, kennt er kein Halten mehr. Bibelzitate interpretiert er so, dass sie ihm in seinem Alltag eine Stütze sind. (Bild: Basile Bornand)

Und dieses Bild von Gott ist für Jugendliche attraktiv?

Ein totalitäres Gottesbild ist sicher ein Faktor, der auf viele Menschen eher abschreckend wirkt. Und das erlebe ich hier nicht. Ausserdem legen wir viel Wert auf die Gemeinschaft. Der Gottesdienst am Freitagabend ist das eine, was danach passiert, ist aber mindestens so wichtig. Wir sitzen zusammen, sprechen, diskutieren, gamen. Mir selbst gefällt am ICF jedoch auch, dass es keine Doktrin, keine eigentliche ICF-Theologie gibt.

Trotzdem gilt der ICF als sehr konservativ, welche Werte vermitteln Sie den Jugendlichen?

Das Image vom ICF als konservative Freikirche ist sicher auch von den Medien geschaffen. Mein wichtigster Wert ist mein Bild von Gott, das Bild eines Gottes, der sich selbst aufopfert. Aus diesem Bild versuche ich Schlüsse für mein eigenes Leben zu ziehen. Gott gibt sein Leben für die Menschen. Das will ich auch, ich will für andere Menschen da sein, ihre Interessen über meine stellen.

Beim Thema Sexualität, das gerade für Jugendliche sehr wichtig ist, vertritt der ICF dezidiert konservative Positionen. Wie gehen Sie in der Jugendarbeit mit diesem Thema um?

In diesem Punkt unterscheiden sich die einzelnen ICF-Kirchen stark, weil es eben keine Doktrin gibt. Die Sexualität war schon immer ein Thema, das von der Kirche beurteilt wurde. Ich orientiere mich in der Arbeit mit den Jugendlichen bei diesem Thema an genau der gleichen Frage: Wie kann ich meine Sexualität ausleben, ohne dass es dabei nur um meine Bedürfnisse geht?

Früher war Fabry Primarlehrer, seit einigen Monaten arbeitet er nur noch als Pastor im ICF Basel.

Jede Gemeinschaft hat Regeln, die es zu befolgen gilt. Erst dadurch entsteht eine Verbindlichkeit. Welche Regeln hat der ICF?

Wir haben keine Regeln, wir haben Werte. Bei mir ist es das Ideal der Selbstaufopferung. Wenn das dann auf die anderen Leute in der Gemeinschaft überspringt, dann begrüsse ich das natürlich. Es gibt auch Leute, die mit dieser Gemeinschaft nichts anfangen können, die ein paar Mal vorbeikommen und sich dann dagegen entscheiden. Was beweist, dass unsere Gemeinschaft nichts Abgeschlossenes ist.

Gleichzeitig predigen Sie, dass Jesus sich für uns geopfert hat. Damit impfen Sie Ihren jugendlichen Zuhörern doch ein schlechtes Gewissen ein.

Ein Gott, der sich für mich opfert und gleichzeitig sagt, dass ich nun alle seine Regeln befolgen soll, wäre nicht glaubwürdig. Ein Opfer, um andere zu knechten, ist kein Opfer mehr. Ich bin überzeugt, dass nur ein freier Glaube ein guter und wirksamer Glaube ist. Gott offenbart seine Macht und seine Stärke dadurch, dass er Schwäche zulässt. Die Kreuzigung ist das ultimative Zeichen der Stärke, viel eindrücklicher als Gewalt und Repression.

Sie bezeichnen sich in einer Predigt als «Kämpfer für das Königreich Gottes». Das klingt ziemlich brachial. Wozu braucht es diese Symbolik?

Sie ist letztlich ein rhetorisches Mittel, das die Autoren der Bibel angewendet haben. Diese Überzeichnung dient dazu, eine Botschaft zu vermitteln. Wenn ich also vom Königreich Gottes spreche, dann meine ich einen Ort, wo alle nach dem Grundsatz der Selbstaufopferung leben. In meinen Augen ist ein «Kämpfer für das Königreich» jemand, der eben genau nicht so ist, wie ein Kämpfer dieser Welt. Ich möchte auf Gewalt und Unterdrückung verzichten.

In der gleichen Predigt sagen Sie auch, dass es legitim sei, Gott um materielle Dinge zu bitten. Um ein iPad etwa oder einen Porsche. Schüren Sie damit nicht falsche Hoffnungen bei den Jugendlichen?

Ich glaube, Gott wird auch meine materiellen Nöte lösen, wenn meine Haltung stimmt. Wenn ich also nicht mein persönliches Gut zuvorderst sehe. Wenn jemand also argumentieren kann, dass er einen Porsche braucht, um das Reich Gottes zu bauen, wieso nicht? Ich rate aber sicher niemandem, für einen Porsche zu beten.

Wenn ein materieller Wunsch nicht in Erfüllung geht, habe ich dann nicht innig genug gebetet?

Viele Leute denken so und sind dann enttäuscht, wenn sie nicht das «kriegen», was sie wollen. Wenn jemand so denkt, steckt wohl eine verdrehte Vorstellung von Gott dahinter. Entweder glauben sie an einen Gott, der selbstverliebt genau das und jenes hören will, bevor er hilft. Oder sie glauben an einen überdimensionalen Kaugummiautomaten. Beides glaube ich nicht. Für mich kann ein unerhörtes Gebet viele Gründe haben. Auch ein guter Freund gibt mir nicht immer das, was ich will.

Zur Person: Das sagt Raphael Fabry über sich selber

«Seit ich vor 28 Jahren im Baselbiet auf die Welt gekommen bin, interessiere ich mich sehr für das, was um mich herum passiert. Christlich aufgewachsen besuchte ich die ‹Jungschi Lausen›. Das weckte in mir den Wunsch, Primarlehrer zu werden. Nach abgeschlossener Ausbildung verbrachte ich meine Zivi-Zeit beim CVJM Basel, wo ich auch als Jugendarbeiter tätig war. Nach einem Kurzaufenthalt in der christlichen Schule Prisma ergab sich die super Möglichkeit, beim ICF Basel Youthpastor zu werden. Ich ringe immer wieder mit Gott und Fragen aus der Bibel und kann jedem theologisch Interessierten den Theologen Greg Boyd und die Website ‹reknew› wärmstens empfehlen. Ich liebe meine Freundin, meine Wohnung in Allschwil und meine Kornnatter.»



«Am ICF gefällt mir besonders, dass es keine Doktrin, keine eigentliche ICF-Theologie gibt.» Raphael Fabry, Jugendpastor ICF Basel.

«Am ICF gefällt mir besonders, dass es keine Doktrin, keine eigentliche ICF-Theologie gibt.» Raphael Fabry, Jugendpastor ICF Basel. (Bild: Basile Bornand)

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