Herren der Ringe

Mit dem technischen Wandel hat die Börse zwar viel von ihrer Lautstärke verloren, nicht aber an Hektik.

Geschäftiges Treiben im alten Börsengebäude an der Schifflände: Im Kreis die Händler und Käufer, in der Mitte die Protokollanten. Das Bild entstand im Oktober 1962. (Bild: Kurt Wyss)

Mit dem technischen Wandel hat die Börse zwar viel von ihrer Lautstärke verloren, nicht aber an Hektik.

Wer sich als (zumindest pekuniäres) Fliegengewicht seinen kärglichen Lebens­unterhalt durch harte Arbeit verdienen muss, dem bleibt im Umgang mit den Banken und deren geschäftlichen Gepflogenheiten wenig Spielraum. Herr Ospel und mit ihm alle nachfolgenden und – bis auf den jüngsten – auch schon wieder verflossenen UBS-Bigbosse mögen es dem tumben Schreiberling verzeihen, dass dieser Wikipedia bemühen muss, wenn er sich in Ergänzung zur obigen Fotografie von Kurt Wyss ein eigenes Bild über Wesen und Funktionsweise der Börse machen soll.

Doch bekanntlich übernimmt auch Wikipedia keine Defizitgarantie für das fehlende Wissen eines leider nicht nur finanziell eher Unterbemittelten. Und so liest der von seinem eigenen Bildungsnotstand ins Internet entsandte TagesWoche-Mitarbeiter im Abschnitt «Hintergründe» folgenden Einleitungssatz: «Eine Börse dient der zeitlichen und örtlichen Konzentration des Handels von fungiblen Gütern unter beaufsichtigter Preisbildung.»

Fungibel, fungibel!

Natürlich wissen Sie als Leserin oder Leser haargenau, was «fungibel» bedeutet. Falls Sie jedoch die Regel als Ausnahme bestätigen möchten, sei Ihnen hiermit gerne geholfen. Bei duden.de finden Sie folgende Bedeutungsdefinition: «1. (Rechtssprache) austauschbar, ersetzbar» und «2. (bildungssprachlich, häufig abwertend) in beliebiger Funktion einsetzbar, auf verschiedene Weise verwendbar». Als Synonyme zu «fungibel» werden nachstehende Adjektive genannt: austauschbar, auswechselbar, ersetzbar, konvertibel, vertauschbar; (Fachsprache) kommutabel, kommutativ, permutabel; (Wirtschaft) konvertierbar. Damit ist wohl alles erklärt.

Der durch diese (notabene unbezahlte) Zusatzrecherche ausgelöste Verzweiflungsschrei sei dem Verfasser (und selbstverständlich auch dem treuen Leser) vergeben. Immerhin bewirkt ein solcher Schrei manchmal auch etwas Gutes. Er schärft den Blick für das Wesentliche. Nur deshalb stiess das gequälte Auge im erwähnten Wikipedia-Beitrag auch noch auf den Börsenbegriff «à la criée – die Kaufs- und Verkaufsaufträge werden durch gegenseitige Zurufe getätigt». Voilà.

À fonds bis à la criée

Nichts also einmal mehr, woraus nicht doch noch etwas zu lernen wäre. Zum Beispiel dies: Jeder, der sich in diesem fungiblen Geschäft à fonds und bis zum à la criée auskennt – mithin natürlich nur die allerhöchsten Chargen – hat seinen jährlichen Bonus fraglos und nach oben völlig offen verdient. Es sei denn, dank seiner eigenen Fungibilität würde sich die Auszahlung erübrigen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12

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