Hilfe zur Selbsthilfe

Ganz so heil, wie es in den Schulbüchern geschildert wurde, war die Welt auch bei uns nie für alle.

Wenn Not am Mann ist, legt die Frau selbst Hand an: Fotografie aus dem Jahr 1982. (Bild: Kurt Wyss)

Ganz so heil, wie es in den Schulbüchern geschildert wurde, war die Welt auch bei uns nie für alle.

Das war der Lesestoff, aus dem die Schweizer Primarschüler noch bis weit in die Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts hinein ihr erstes Weltbild zu schöpfen hatten: Hart arbeitende, mit sich und ihrem Los jedoch grossmehrheitlich zufriedene Menschen inmitten einmaliger Landschaftskulissen, die die Natur einem ganz offensichtlich auserwählten Volk gratis und franko zur Verfügung gestellt hatte.

Majestätische Bergmassive, sanfte Hügelketten, liebliche Landschaften mit malerischen Seen und Flüssen – ein Ersatzparadies für Fleis­sige und Rechtschaffene. Mit einer Bauern­same, die sich aufs Ackern, Käsen und Metzgen verstand wie kaum eine zweite, und einer urbanen Gesellschaft, die die Errungenschaften der Industrialisierung für einen steigenden Wohlstand nutzte, der zwar kaum auf üppigen Rohstoffquellen basierte, sondern sich vielmehr auf geniales Erfindungspotenzial und sprichwörtliche Produktequalität abstützte. Oh du schöne, heile Welt in einem ansonsten von Kriegsgreueln, Armut und sozialen Auseinandersetzungen gebeutelten Europa.

Hilfsbedürftigkeit wird
von vielen Betroffenen noch immer als Schande empfunden.

Ganz so schönfärberisch, wie es den damaligen ABC-Schützen ausgemalt wurde, war das Bild der Schweiz bei allem Verständnis für die damit verbundenen, wohl eher patriotisch als pädagogisch motivierten Hintergedanken ganz bestimmt nicht. Zu keiner Zeit und für keine Generation. Zumindest längst nicht für alle, wie wir heute wissen, falls wir uns in diesem Punkt um Aufklärung bemühten. Auch bei uns gibt es unverschuldete Armut, existenzielle Bedrohung, soziale Ungerechtigkeit. In der Landwirtschaft genauso wie in der übrigen Arbeitswelt. Hilfsbedürftigkeit wird oft versteckt und deshalb kaum öffentlich wahrgenommen, weil sie von vielen der Betroffenen als persönlicher Makel oder gar Schande empfunden wird.

Gut, dass es neben den staatlichen Ergänzungsleistungen auch private Institutionen gibt, die sich gezielt und nach dem Prinzip «Hilfe zur Selbsthilfe» um solche Fälle kümmern. Zu diesen gehört seit mehr als 70 Jahren die «Coop Patenschaft für Berggebiete» mit ihren beispielhaften Projekten zur Erhaltung und Pflege der Berg- und Alpenwelt und damit nicht zuletzt auch gegen die Abwanderung der Bergbevölkerung. Solidarität in Form von technischem Know-how, freiwilligen Spenden und kostenloser Administrierung – effizienter und nachhaltiger kann solche Hilfe gar nicht sein. Und liefert damit den realistischen Lesestoff, der die angestaubte Schulbuch-Romantik durch glaubwürdigere Bilder ersetzte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 27.09.13

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