Wer in Basel eine Beiz eröffnen will, muss einen grossen bürokratischen Aufwand betreiben. Die Behörden ahnden noch den kleinsten Verstoss.
Die Kissen sind verstaut, das Radio ist verstummt. Im Paragrafen-Kosmos des Bau- und Gastgewerbeinspektorats hatten sie keinen Platz. Noch immer sitzt der Ärger tief bei den Betreibern der Bäckerei «Samstag» an der Kleinbasler Mattenstrasse. Wie wenig es braucht, um den Unmut dieser Amtsstelle auf sich zu ziehen, mussten neulich Leon Heinz und sein Geschäftspartner Samuel Erdmann erfahren. Nach einem unangekündigten Besuch eines Baukontrolleurs müssen sie nun für drei Sitzkissen auf der Fensterbank, ein Tischchen und Radiomusik eine Busse von 717 Franken bezahlen. «Der gesunde Menschenverstand fehlt diesem Amt. Man hätte uns ja vor der Busse auch erst eine Verwarnung aussprechen können», findet Heinz.
Ob die Betreiber der im Januar eröffneten Bäckerei gegen die kostenpflichtige Verfügung rekurrieren werden, wissen sie noch nicht. Derzeit versucht die Ombudsstelle zu schlichten. «Wir haben viele positive Reaktionen aus der Nachbarschaft erhalten. Sogar Geld für die Busse wurde gespendet», sagt Leon Heinz.
Die beiden Gastronomen wussten, dass sie sich mit der Hintergrundmusik und den Sitzkissen in der Verbotszone bewegen würden. Doch hätten sie keinen Weg gefunden, dafür eine Bewilligung zu erhalten, sagt Heinz. Um den Bewilligungsstempel für die Sitzkisssen zu bekommen, hätte «Samstag» entweder als Restaurationsbetrieb oder als Detailhandelsgeschäft eingetragen sein müssen. Das jedoch hätte weitere Auflagen bedeutet (beispielsweise den Einbau einer Gästetoilette), die für ein Zwischennutzungsprojekt, das voraussichtlich im März 2014 sein Ende findet, zu hohe Investitionen erfordert hätten.
An der Auflagenleine
800 Meter weiter entfernt, Feldbergstrasse 40: Julia Lauener, Geschäftsführerin der auf Deli-Sandwiches spezialisierten Bar «Frank», hat ihre roten Stühle am Schaufenster wieder eingepackt. Auch sie bekam Probleme mit dem Bau- und Gastgewerbeinspektorat. Bereits drei Wochen nach der Eröffnung am 8. April machte sie ihre Türen wieder zu. Eine sofortige Einstellungsverfügung flatterte ins Haus. Für die Stühle fehlte die Bewilligung.
Seit einem Monat ist «Frank» wieder geöffnet. Wer vor Ort jedoch ein Sandwich essen oder einen Milchkaffee trinken will, muss das im Stehen machen. Eine Kette von Auflagen hätte die Legalisierung der Stühle mit sich gezogen. «Das wäre für uns finanziell nicht tragbar gewesen. Dass ein Restaurant all diese Auflagen erfüllen muss, leuchtet mir ein. Aber für ein paar Sitzplätze den ganzen Prozess mitzumachen, empfinde ich als Verhältnisblödsinn», sagt Lauener. Nicht mal eine Sitzbank darf sie für ihre Kunden vor die Türe stellen, denn das wäre Boulevardbewirtschaftung. Lauener zeigt sich «enttäuscht». Für Kleinbetriebe sei es sehr schwierig, etwas auf die Beine zu stellen. Spontaneität werde erstickt.
Wer in Basel einen Gastrobetrieb eröffnen will, muss viel Ausdauer mitbringen. Der Bewilligungs-Marathon scheint endlos, der Weg voller Hindernisse – erst recht, wenn im Gebäude zuvor noch keine Beiz angesiedelt war. Dem Staatsapparat ist man ausgeliefert. Etliche Amtsstellen sitzen einem im Nacken – neben dem Bau- und Gastgewerbeinspektorat die Feuerpolizei, das Lufthygieneamt, die Lärmschutzstelle, der Lebensmittelkontrolleur und das Amt für Arbeit und Wirtschaft. Erhält man die Bewilligung, geschieht das mit Verweis auf Dutzende von Paragraphen, die einzuhalten sind. «Es ist unglaublich kompliziert. Es gibt viele tolle Ideen, aber wegen den etlichen Auflagen traut man sich schon gar nicht mehr, was schade ist», so Julia Lauener.
Eier für 40 000 Franken
Über den Amtsschimmel wundert sich auch Christian Mueller. Er wartet momentan auf die Bewilligung für sein Vereinslokal «Café Hammer» im Kleinbasel. «Es ist mühsam, dass man für jede Eventualität einen Gegenplan einreichen muss.» Unverständlich ist für ihn, dass das Lokal pro Woche nur sechs Stunden offen haben darf, maximal bis 22 Uhr. Dass Hygienevorschriften eingehalten werden müssen, sei klar, sagt Mueller. «Aber dass ich in meinem Vereinslokal die Gläser nicht auf einer unbehandelten Holzablage abstellen kann, verstehe ich nicht. Nur, weil vielleicht die Möglichkeit besteht, dass es mal schimmeln könnte?» Leider müsse die Verwaltung Gesetze anwenden, die «hirnrissig» seien.
Wie facettenreich das Bewilligungsverfahren sein kann, zeigt sich auch am Beispiel «Feldbergkiosk» auf dem Dreiecksplatz zwischen Feldbergstrasse und Claragraben. In den nächsten Wochen wird die Beiz eröffnet, neben Apéro-Getränken und Fingerfood-Häppchen soll im «Feldbergkiosk» bis 22 Uhr gefrühstückt werden. Doch gebruncht wird dort künftig ohne Spiegelei und Speck – das Angebot beschränkt sich auf die kalte Küche. «Um Eier zubereiten zu können, hätten wir rund 40 000 Franken investieren müssen. Denn das hätte geschlechtergetrennte Umkleidekabinen, eine Dusche und Abschliessfächer fürs Personal erfordert», sagt Glyn Herzog, einer der Mitinitianten der neuen Bar. Fast hätten seine Freunde deswegen den Bettel hingeworfen, inzwischen nehme man das Ganze aber gelassen. «Es bringt nichts, sich darüber zu nerven.» Den Weg bis zur Betriebsbewilligung empfindet auch Herzog verständlicherweise als «anstrengend».
Dass es nicht einfach ist, findet ebenfalls Michael Hänggi vom im Frühling eröffneten Café «St. Louis» im St. Johann – obwohl er keine Probleme mit dem Bau- und Gastgewerbeinspektorat hatte. «Wir hatten einen reibungslosen Ablauf, weil wir ständig mit den Behörden in Kontakt waren.» Hänggi rät allen, bei jeder kleinen Unklarheit sofort der Verwaltung anzurufen. So könnten unangenehme Überraschungen verhindert werden. Dies bestätigt auch Thomas Brunner, Mitinitiant der «Lady Bar» an der Feldbergstrasse und des Stadtmusik-Festivals. Er habe bis jetzt gute Erfahrungen mit dem Amt gemacht. «Wenn man das Gespräch im Vorhinein sucht, wird das sehr geschätzt. Wenn sie aber auf dich zukommen müssen, dann wird es schwieriger.»
Kein Platz für Wohltäter
In ihrem Büro beim Münsterplatz sitzt Luzia Wigger, Leiterin des Bau- und Gastgewerbeinspektorats. Unter ihr arbeiten sechs Kontrolleure, fünf davon sind für Baubewilligungen zuständig, eine Person für das Gastgewerbegesetz. Eine kleine Truppe eigentlich, gross genug aber, um den Ton in der Basler Gastroszene anzugeben. Wigger sagt auf ihre sympathische Art klar, dass es in ihrer Amtsstelle keinen Platz für Nachsicht hat. Sie denkt strikt in Paragrafen, Spielraum gibt es keinen. Das gehört sich in Wiggers Job nicht. «Wir haben nicht tolerant zu sein, sondern korrekt, rechtsgleich und willkürfrei.»
Drücke ein Kontrolleur mal ein Auge zu, mache er seinen Job nicht richtig. «Das erträgt es nicht. Ein einzelner Mitarbeiter darf sich nicht zum Wohltäter aufspielen.» Er müsse den Verstoss erkennen und Sanktionen erfolgen lassen. Wigger räumt jedoch ein, dass das Bewilligungsverfahren für ein Gastrounternehmen schon mal mit vielen Auflagen verbunden sein kann. «Eine Geheimwissenschaft ist das Verfahren aber nicht, es ist alles sehr transparent.» Die Amtsleiterin hält fest, dass bei einem Baubewilligungsverfahren eine Fachperson beigezogen werden müsse. «Leute, die ohne Fachperson ein solches Verfahren durchführen wollen, sind regelmässig überfordert.» Kritik am Bau- und Gastgewerbeinspektorat prallt an Luzia Wigger ab. Das gehöre dazu, sagt sie. «Genauso wenig wie die Polizei bei Schnellfahrern oder Falschparkierern wegschauen kann, dürfen wir Gesetzesverstösse dulden.»
Patrik Aellig von «Kulturstadt Jetzt»ist sich bewusst, dass sich die Verwaltung an Paragrafen halten muss. Dennoch sagt er: «Wenn man in dieser Stadt etwas anpacken will, wird es wahnsinnig schnell schwerfällig und formalistisch, auch wenn die Behörde immer das Gegenteil behauptet.» Aellig findet, es werde zu selten zugunsten der Belebung entschieden. Die Haltung der Verwaltung ist klar: «Das geht nicht.»
Ist das Gastgewerbeinspektorat zu streng?
In der Wochendebatte diskutiert FDP-Grossrat Elias Schäfer mit Marc Keller vom Basler Bau- und Verkehrsdepartement. Diskutieren Sie mit.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.07.13