Die kleine jüdische Glaubensgemeinschaft der Samaritaner feiert Pessach noch, wie es Moses einst befahl.
Zu den Reichen und Mächtigen gehörten sie nie, die Anhänger der israelitischen Glaubensgemeinschaft der Samaritaner. Vom Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem um 520 vor Christus blieben sie ausgeschlossen, da sie wegen ihres erzwungenen Zusammenlebens mit heidnischen Völkern als «unrein» galten. Enttäuscht von diesem Entscheid, vertraten die Samaritaner fortan den Standpunkt, dass nicht Jersusalem der richtige Ort für die Verehrung Gottes sei, sondern der in der Nähe des heutigen Nablus gelegene 881 Meter hohe Berg Garizim im Westjordanland.
In den fünf Büchern Moses wird der Garizim als erhabene Stätte und Ort der Anbetung bezeichnet. Während Jerusalem im sogenannten Pentateuch als religiöses Zentrum keinerlei Erwähnung findet, wird der heilige Berg von den Samaritanern als jene Stelle verherrlicht, von der aus das Volk Israel gesegnet worden sei. Moses ist für die Samaritaner denn auch der einzige Prophet, nach dessen Lehre sie sich richten und dessen Schriften sie anerkennen. Schon lange vor der Zeit Jesu waren Samaritaner und Juden damit religiös getrennt, Respekt und gegenseitige Achtung entsprechend gering.
Im «Gleichnis vom barmherzigen Samariter», wie es im Neuen Testament aufgezeichnet ist, wird die Geringschätzung der Juden für die Angehörigen der religiösen Abweichler drastisch vor Augen geführt. Während ein jüdischer Priester und ein hochgestellter Levit achtlos an einem Schwerverletzten vorübergehen – so erzählt Jesus – kümmert sich der Samaritaner vorbildlich um den Verwundeten und bringt ihn zu einer Herberge, wo er gepflegt werden kann. Nicht die Hochnäsigen haben damit ihre Menschlichkeit bewiesen, sondern ein Randständiger, von dem man das nie erwartet hätte. Das Gleichnis aus der Bibel machte das Volk der Samaritaner zum Inbegriff tätiger Hilfe.
Auf dem Garizim errichtete die kleine, auf nur noch fünf Familienzweige beschränkte Glaubensgemeinschaft ihr eigenes, im Lauf der Jahrhunderte mehrfach zerstörtes Heiligtum, das noch heute von einem eigenen Hohepriester geleitet und in dem die in einer eigenen samaritanischen Schrift verfasste Thora aufbewahrt wird. Und wie in vorchristlicher Zeit werden auf dem Garizim nach den uralten Regeln und Opferungsvorschriften die rituellen Feiertage begangen, die im Falle des Pessachfests mit der christlichen Ostertradition verbunden sind, da Jesus in der jüdischen Pessachwoche zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 29.03.13