In San Francisco ist LSD wieder in aller Munde. Nicht als Filz zum Fliegen wie im Summer of Love. Die heutigen Hightech-Hipster wollen keine Halluzinationen. Ihre Faustregel für den Konsum ist: Wenn du es spürst, ist es zu stark. Diesem Microdosing werden positive Attribute wie Kreativität, Leistungsförderung und «Thinking out of the Box», also neue Sichtweisen, nachgesagt, die in modernen Jobprofilen stehen könnten. Das ist die heutige Vision des Silicon Valley. Die Liste bekennender LSD-Konsumenten, angefangen bei Bill Gates und Steve Jobs, liest sich wie das Who is Who der Techie-Szene.
Matthias Liechti verbindet etwas ganz anderes mit LSD. «Ich bin weder Hippie noch Hipster», kommentiert er dieses Revival als leistungsförderndes Wundermittel. «Nicht mal die Legalisierung von Drogen interessiert mich speziell.» Seit 2013 baut der stellvertretende Chefarzt Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel die LSD-Forschung aus und ist mit seinem Team weltweit an der Spitze dabei.
Eine erste Studie mit gesunden Versuchspersonen hat Liechti 2016 veröffentlicht. Nun erforscht sein Team gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) und dem Praxispsychiater Peter Gasser in Solothurn die angstmindernde Wirkung von LSD bei Krebspatienten.
Auf so einen Stoff wartet die Psychiatrie – seit es LSD gibt
Potenzial und Dringlichkeit dieser Studien sind gross, denn die moderne Psychiatrie hat ein Problem: «Es gibt zu wenig Behandlungsoptionen für psychisch Kranke», bringt es Liechti auf den Punkt. «Die letzten zwanzig Jahre gab es keine wirklichen Innovationen. Dabei herrscht definitiv ein Bedarf.» Liechtis Forschungs-Partner Stefan Borgwardt, Professor für Neuropsychiatrie der Universität Basel und stellvertretender Klinikleiter der Erwachsenen-Psychiatrie der UPK Basel, erklärt: «Für viele Erkrankungen gibt es derzeit keine befriedigende pharmakologischen Behandlungen. Bei Depression etwa respondieren nur etwa die Hälfte der Betroffenen wirklich gut auf Medikamente.»
Bevor LSD Ende der 1960er-Jahre erst in den USA und dann auch bei uns verboten wurde, kam es in verschiedenen Studien bei Depressionen und Angstzuständen zur Anwendung – und das mit Erfolg. Bis zu 70 Prozent der Behandelten fühlten sich nach sogenannt psycholytischen Behandlungen – bei denen das bewusstseinsverändernde LSD kombiniert mit Psychotherapie angewandt wurde – gut bis sehr gut. Körperliche Nebenwirkungen hatten die Patienten keine.
Derzeit gebe es keine vergleichbaren Stoffe, sagt Liechti: «Die heute verwendeten Benzodiazipine machen süchtig. Die Antidepressiva muss man täglich schlucken und sie haben viele Nebenwirkungen: Übelkeit, sexuelle Funktionsstörungen, Schlaflosigkeit, man wird dick und so weiter. Gleichzeitig wird die Wirksamkeit hinterfragt.» Ausserdem müssen täglich Medikamente eingenommen werden, während eine LSD-Therapie nur an zwei bis maximal drei Tagen pro Jahr erfolgen würde. Vermutlich habe sie weit weniger Nebenwirkungen und sei billiger als viele Medikamente.
Rund ein Viertel der Schweizerinnen und Schweizer leidet irgendwann an einer Depression. Die meisten nur leicht, rund ein Fünftel der Bevölkerung dagegen relevant. Die Kosten werden auf über zehn Milliarden Franken pro Jahr geschätzt.
Von der Pharmabranche ist keine Lösung in Form neuer Medikamente zu erwarten. Gemäss den Professoren Liechti und Borgwardt hat die Industrie die psychiatrische Forschung in den letzten Jahren reduziert bis gestoppt. Liechti sieht für den Innovations-Stopp aber auch andere Gründe: «Vielleicht gehen wir es behördlich falsch an, weil die regulatorischen Hürden für Forschung und neue Medikamente immer höher werden.»
Borgwardt ortet das grundlegende Problem in den psychichen Erkrankungen selbst: «Schizophrenie und Depression sind keine Krankheiten mit klarer Ursache, sondern ein Konstrukt aus verschiedenen Symptomen. Daher können dafür oft keine zielgerichteten Medikamente entwickelt werden, die ein klares Symptom behandeln oder heilen.» Viele Pharmafirmen hätten daher die Entwicklung neuer Wirkstoffe gestoppt. Schon in der Vergangenheit sei diese «oft nicht zielgerichtet, sondern zufällig» gewesen.
Hofmanns Horrortrip
Ein Zufall war auch die Entdeckung von LSD: Im Basler Sandoz-Labor wollte der junge Chemiker Albert Hofmann ein synthetisches Alkaloid aus Mutterkorn zur besseren Stillung von Nachgeburtsblutungen herstellen, was ihm mit dem Arzneimittel «Methergin» auch gelang. Auf der Suche nach weiteren pharmakologischen Wirkstoffen mit demselben Syntheseverfahren entstand 1938 erstmals das Lysergsäurediäthylamid, kurz: LSD.
Dessen erhoffte Wirkung als Kreislaufstimulans blieb aus. Erst fünf Jahre später, beim ersten Selbstversuch Hofmanns am 19. April 1943, offenbarte die Substanz ihre wahre Qualität. Hofmann verabreichte sich 250 Mikrogramm LSD, was in etwa der kleinsten wirksamen Menge aller bis dato bekannten Mutterkornalkaloide entsprach.
Aus dem Protokoll Hofmanns:
16.20 Einnahme der Substanz – 17.00 Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz. Mit Velo nach Hause. – Von 18 bis ca. 20 Uhr schwerste Krise, siehe Spezialbericht: Ich konnte nur noch mit grösster Anstrengung verständlich sprechen, und bat meine Laborantin, die über den Selbstversuch informiert war, mich nach Hause zu begleiten. Schon auf dem Heimweg mit dem Fahrrad […] nahm mein Zustand bedrohliche Formen an. Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. […] Zu Hause angelangt wurden Schwindel und Ohnmachtsgefühl zeitweise so stark, dass ich mich nicht mehr aufrecht halten konnte und mich auf ein Sofa hinlegen musste. Meine Umgebung hatte sich nun in beängstigender Weise verwandelt. […] die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Die Nachbarsfrau […] war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze. etc. etc.
Ein echter Horrortrip. Vor allem, da Hofmann ja keine Ahnung hatte, worauf er sich da eingelassen hatte, ob und wie es enden würde. Wissenschaftler aus anderen Disziplinen waren an den Folgen ihrer Selbstversuche gestorben.
Doch statt dem Jenseits eröffnete der Trip Hofmann ein neues Universum.
Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu geniessen, das hinter meinen geschlossenen Augen andauerte. Kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schliessend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss. Besonders merkwürdig war, wie alle akustischen Wahrnehmungen […] sich in optische Empfindungen verwandelten. Jeder Laut erzeugte ein in Form und Farbe entsprechendes, lebendig wechselndes Bild.
Wegen der schönen Seite von Hofmanns Velo-Trip steht der 19. April 1943 seit den 1960er-Jahren auf der Agenda der Popkultur. LSD prägte ein Zeitalter der Psychedelik in Musik, Kunst und Kultur. Der 75. Jahrestag des «Bicycle Day» wird ab Donnerstag im Holzpark am Basler Hafen mit einem viertägigen Festival zelebriert.
In Münchenstein treffen sich am Donnerstag Forscher zum (ausverkauften) internationalen Symposium «75 Jahre LSD – wohin führt die Reise?» Ihr Fokus auf die Substanz ist ein anderer. Denn vor allem in den USA wurde LSD zur Triebfeder neuer Ideen, die weit über den Horizont der Sonnentänze verstrahlt-seliger Blumenkinder hinausreichte. Der Beipackzettel von LSD (damals ein zugelassenes Medikament) propagierte wie Hofmann selbst, dass Psychiater LSD nehmen sollten, um die Effekte der Psychosen ihrer Patienten zu verstehen. LSD wurde breitflächig eingesetzt, um das Bewusstsein zu erweitern oder Angst zu reduzieren.
Erst durch den zunehmenden Freizeitkonsum, etwa in der Hippie-Bewegung, geriet die Substanz in Verruf und stand plötzlich in der schmuddeligen Ecke. 1966 wurde LSD im Zuge des Krieges gegen Drogen von den USA gebannt und verboten. Die Schweiz zog 1973 nach.
LSD ist kein Gift für den Körper
Matthias Liechti hat dafür historisches, aber kein wissenschaftliches Verständnis: «Es wurde schlicht verboten, weil LSD assoziiert wurde mit der Anti-Vietnam oder Anti-Establishment Bewegung – es galt als zu gefährlich für die Gesellschaft.» Rückblickend lasse sich sagen, dass man damals total überreagiert habe. «Alle Substanzen, die irgendwie mit den Bewegungen in Verbindung gebracht wurden, wurden in einen Topf geworfen und verboten.»
LSD wurde als Stoff klassiert, der ohne jegliche medizinische Verwendung hochgradig suchtauslösend sei. «Dabei ist der Stoff körperlich kein Gift, sondern physisch harmlos», sagt Liechti. Natürlich berge er auch Risiken: «Psychisch kann es unkontrolliert geschluckt gefährlich werden, aber es macht dem Körper rein gar nichts und schon gar nicht abhängig. Man kann es vielleicht missbrauchen, also anders als rein medizinisch nutzen, aber es ist kein Kokain, kein Suchtmittel.»
Wegen der gesellschaftlichen Ächtung konnte LSD lange weder für medizinische Zwecke noch für die Forschung genutzt werden. Obwohl das pragmatische Schweizer Drogengesetz gemäss Liechti medizinische Forschung wohl schon früher erlaubt hätte: «Die Gesetzgebung hat sich seit dem Verbot nicht gross verändert, aber die gesellschaftliche Akzeptanz.» Heute sei man eher geneigt, der Substanz eine heilende Wirkung zu attestieren oder sie zumindest zu untersuchen.
«Vor zehn bis zwanzig Jahren hatte man einfach Schiss», sagt Liechti. Wäre er bei seinen Anfängen in Basel mit einer LSD-Studie zur Ethikkommission gegangen, hätte er wohl gleich wieder einpacken können.
«LSD ist körperlich harmlos. Aspirin oder Schmerzmittel sind um ein Vielfaches gefährlicher für den Körper.»
Matthias Liechti, was musste denn geschehen, bis es so weit war?
Erst als wir MDMA, Amphetamine und alle anderen psychoaktiven Stoffe untersucht hatten, konnten wir sagen: «Wir sind Spezialisten, wir können nun auch LSD untersuchen.» Und selbst dann mussten wir lange argumentieren und erklären. Die Ethikkommission meinte: «Wie können Sie garantieren, dass die Probanden nach dem Experiment normal bleiben? Es braucht eine psychiatrische Untersuchung einen Tag nach dem Experiment, damit Sie die Versuchspersonen wieder entlassen können.»
Bei den anderen Stoffen wurde das nicht gefordert?
Nein. Dabei ist MDMA (Ecstasy) als Amphetamin, das den Blutdruck hochjagt, viel gefährlicher als LSD. Bei MDMA kann es hypertensive Blutdruckkrisen geben oder Hitzeschocks. Da kommen jedes Jahr Leute um. Nicht viele, aber es kommt vor. LSD dagegen ist körperlich harmlos. Aspirin oder Schmerzmittel sind um ein Vielfaches gefährlicher für den Körper.
Woher denn der Irrglaube?
Die Risikowahrnehmung bei LSD ist komplett verschoben, weil jeder einmal einen Film gesehen hat, wo einer mit LSD durchdreht und aus dem Fenster springt.
Hat sogar die Ethikkommission im Kino eine Gehirnwäsche erlitten?
Selbst viele Psychiater! Unter ihnen gibt es wohl eine Déformation professionnelle, weil sie dauernd Leute sehen, die an psychischen Störungen leiden. Schizophrenie betrifft etwa ein Prozent der Gesellschaft, LSD haben bei uns mindestens ein Prozent der Erwachsenen schon konsumiert, in den USA sind es über zehn Prozent. Psychiater sehen die Fälle, in denen beides zusammentrifft.
Niemand bleibt «auf LSD hängen»
Stefan Borgwardt kennt als stellvertretender Leiter der Erwachsenen-Psychiatrie der UPK Basel keine Patienten, die, wie es im Volksmund heisst, «auf LSD hängen geblieben sind»: «Psychisch gesunde Menschen, die einmal LSD nehmen und dann eine dauerhafte Psychose haben, habe ich noch nie gesehen.»
Für ihre erste Studie suchten Liechti und Borgwardt deshalb Studenten, die aus psychiatrischer Sicht super gesund sind. Wer selbst oder bei Verwandten ersten Grades je eine psychische Erkrankung hatte, wurde nicht in die Studie eingeschlossen. Die Probanden wurden mit einer therapeutischen Dosis LSD in einen Magnetresonanztomographen gesteckt und die Wissenschaftler untersuchten den Blutfluss im Gehirn und «schauten damit den Gehirnen live bei der Arbeit zu».
Die beengende Röhre wäre eigentlich die perfekte Umgebung für einen Horrortrip. Aber Borgwardt winkt ab: «Die Untersuchungen mussten nie abgebrochen werden.» Davon seien sie aber schon im Vorfeld ausgegangen: «Sonst hätten wir die Studie aus ethischen Gründen nicht gemacht. In den 50er- und 60er-Jahren gab es schon sehr viele Studien zur Sicherheit. Da waren ja schon viele Pharmakologen dran.»
«Je positiver oder mystischer der Zustand auf dem Trip, desto stärker ist später die antidepressive Wirkung.»
Wenn es schon Studien gab, warum begannen Sie dann mit neuen, Herr Liechti?
Die Initialzündung war 2008 die LSD-Studie von Psychiater Peter Gasser in Solothurn mit einer kleinen Gruppe von Patienten mit Krebserkrankung, die sich vor dem Tod fürchteten. Gasser hatte noch die praktische Erfahrung von früher und keine Angst vor einem Renommee-Schaden. Nachdem ich einen Vortrag von ihm zu der Studie gehört hatte, dachte ich, das kann ja nicht sein: Ein Praxis-Psychiater macht eine klinische Studie bei Patienten, ob LSD wirkt – aber die wichtigsten Grundlagendaten zur Verträglichkeit und zur Pharmakologie, wie man sie zuerst in klinischen Phase-1-Studien an gesunden Versuchspersonen untersucht, existieren nicht!
Aber LSD wurde ja schon ausgiebig an gesunden Menschen getestet, angefangen beim Entdecker selbst.
Ja, aber interessanterweise wurde etwa der Plasmakonzentrationsverlauf im Blut nie untersucht. Früher fehlten auch die technischen Mittel, um die Mikromengen, in denen LSD wirkt, nach unseren heutigen Qualitätskriterien zu messen. Als Medikamentenspezialist und Psychopharmakologe, der bereits MDMA und Amphetamine untersucht hatte, war für mich klar: Ich forsche nun mit LSD.
Nun ist die Grundlagenforschung abgeschlossen und klinisch bewiesen: Körperlich schadet LSD nicht. Was für Erkenntnisse wurden noch gewonnen?
In der 1. Phase haben wir den Stoff charakterisiert. Wir verabreichten gesunden Probanden eine therapeutische Dosis von 200 Mikrogramm – also der doppelten Menge, die normale Strassenfilze enthalten, keine Mikrodosis. Die Versuchspersonen waren bis zu 16 Stunden auf einem Trip. So sehen wir, was im Blut und im Kopf passiert. Da geht es rein um Mechanismen wie, was ist im Hirn verändert, wenn du Halluzinationen hast oder solche Zustände erlebst – egal, ob für den privaten Konsum oder als Medikament. Die gesunden Probanden hatten auch ein Jahr später kein Flashback und auch sonst keine Wahrnehmungsstörungen. Doch nannten es alle eines ihrer wichtigsten Erlebnisse, eine positive Erfahrung, die einen positiven Effekt auf ihr Leben und Befinden hatte.
Gab es auch negative Feedbacks?
Nein.
Was nehmen Sie daraus mit für die jetzige Studie?
Derzeit wiederholen wir die Studie, die der Psychiater Peter Gasser gemacht hat, einfach mit einer grösseren Gruppe von 40 Patienten mit Angst und einer ebenso grossen Placebogruppe, über einen längeren Zeitraum von einem Jahr. Die Studie dauert insgesamt fünf Jahre. Zudem untersuchen wir, ob die akute Wirkung von LSD bei Gesunden und Patienten vergleichbar ist.
Ist das erwünscht?
Aufgrund von Studiendaten zu Psilocybin kann man davon ausgehen, dass das akute Erlebnis unter LSD eine Heilwirkung hat. Je positiver und intensiver das Erlebnis, umso stärker ist die depressions- und angstmindernde Wirkung.
Was ist ein akutes Erlebnis?
Wenn sich der Patient auf dem Trip glückselig fühlt, vereint mit sich und der Welt und Einsicht gewinnt, zum Beispiel in seine Krankheit. Das korreliert mit der antidepressiven und angstmindernden Wirkung von Psilocybin fünf Wochen später. Das ist vermutlich ein psychodynamischer Effekt, nicht etwas rein Pharmakologisches. Je positiver oder mystischer der Zustand ist, den man auch Gipfelerlebnis nennt, desto stärker ist später die antidepressive Wirkung.
«LSD ist schon mehr als der reine Wirkstoff. Die meisten, die sich dafür interessieren, sind ja nicht Ärzte oder Psychiater.»
Sie haben LSD im wissenschaftlichen Kontext selbst ausprobiert. Was macht es so spannend für die Forschung?
LSD ist schon mehr als der reine Wirkstoff. Die meisten Leute, die sich für die Substanz interessieren, sind ja nicht Ärzte oder Psychiater. Schauen sie nur die ganze Literatur an über den Stoff und dessen gesellschaftliche Relevanz. Betrachtet man den kulturellen Impact, ist LSD neben der Pille wohl das wichtigste Medikament oder die wichtigste Substanz des 20. Jahrhunderts.
Wie wirkt sich das auf die klinischen Studien aus?
Bei den meisten Medikamenten, die wir erforschen, passiert psychisch gar nichts. Ein paar Probanden wird es schlecht, der Blutdruck steigt oder sackt ab. Aber die Leute spüren nichts. Sie langweilen sich und geben nach zwölf Stunden Urin oder Blut ab – das war es. Die LSD-Versuchspersonen schwärmen hingegen von einem Erlebnis, dass sie höchst interessant finden. Die Forschung ist klar lebendiger.
Sie sprechen am Jubiläumskongress in Münchenstein, einer Fachveranstaltung für Forschende. Dort bekommen auch die Nachfahren von Albert Hofmann eine Plattform. Wird der Entdecker so nicht spirituell überhöht?
Es freut mich persönlich, die Forschung in Basel machen zu können. Hier hat Hofmann LSD entdeckt und probiert. Das Symposium in Münchenstein ist von der Schweizerischen Ärztegesellschaft für psycholytische Therapie mitorganisiert. Das ist ein recht seriöses Setting. Ich war auch schon an Anlässen, wo für meinen Geschmack zu viel Batik rumlief. Natürlich gibt es bei LSD-Symposien immer ein paar Blümchen. Der Club ist farbiger als klassische Psychiatrie-Gesellschaften. Das Interdisziplinäre mit Künstlern und Psychologen macht es aber auch spannend.
Wann denken Sie, kommt LSD als Medikament zurück?
Die politischen und gesellschaftlichen Hürden waren lange unüberwindbar, wurden ab dem Jahr 2000 jedoch immer kleiner. Heute sind zumindest in der Schweiz die gesetzlichen Hürden praktisch weg. Die heutigen Hürden sind regulatorisch und finanziell. Die Abklärungen und Studien für die Einführung eines Medikaments – selbst wenn es wie LSD schon mal auf dem Markt war – kosten noch immer bis zu 50 Millionen Franken. Wer zahlt das? Die Industrie momentan eher nicht, also müsste die öffentliche Hand zahlen, wenn sie es denn will.
Das heisst, die Einführung halluzinogener Substanzen in der psychiatrischen Behandlung ist mittlerweile wissenschaftlich, politisch und ökonomisch denkbar oder erwünscht. Und wie steht die Pharma-Branche dazu?
Es wäre mir nicht bekannt, dass die was dagegen hätte. Beim Cannabis, das mittlerweile auch auf dem Arzneimarkt kommerziell sehr erfolgreich wurde, konnte man ja sehen, dass man damit Geld verdienen kann. Ich denke, bei psychoaktiven Stoffen ist der Markt kleiner. Aber es gibt einige Non- und Semi-Profit-Organisationen, die Psilocybin als innovatives Medikament auf den Markt bringen wollen. Die haben bereits mit der Europäischen Arzneimittelkommission gesprochen.
Und was sagte diese?
«Machen Sie das für Depression und nicht für die Angstzustände von Krebskranken.» Denn Depression ist das grössere Problem. Darum wählte man nun die behandlungsresistente Depression als Indikation für eine Multicenter-Studie in Europa. Das kostet wohl rund zehn Millionen – das macht man nicht mehr nur aus Forschungsgründen und Wissensdurst.
Und wie sieht es mit der Langzeitkontrolle aus? Wie sieht die Heilungs- oder Rückfallquote nach fünf oder zehn Jahren aus?
Dazu fehlen die Daten. Heute gibt es erst drei Psilocybin-Studien mit Placebogruppen. Psilocybin wirkt wahrscheinlich genau gleich wie LSD, aber selbst das muss noch untersucht werden. Unser Vorteil ist, dass wir viele historische Daten zu LSD haben. Und es würde das Spektrum der Therapien natürlich um einen Wirkstoff erweitern. Ich denke ja, es geht weniger um einen Wirkstoff, sondern eher um ein Wirkprinzip.
Sie kontrollieren nun einfach wissenschaftlich, ob es stimmt, was früher schon gesagt wurde?
Ja. Das ist übrigens ein sehr erfolgreicher Weg, um Medikamente zu entwickeln. Warum soll ich eine neue Substanz generieren, die noch nie einem Menschen verabreicht wurde? Bis zur Markteinführung müssen möglicherweise Milliarden investiert weren, doch unterwegs lauern an allen Orten Gefahren und man muss den Stoff wieder zurückziehen. LSD und MDMA sind dagegen sicher. Diese Substanzen haben schon Millionen Menschen unkontrolliert konsumiert.
Wird LSD die Psychiatrie revolutionieren?
Ich weiss ja nicht, ob die Substanz am Ende wirklich wirkt. Aber ich mache gerne Forschung in dem Bereich. Aber ich bin nicht a priori ein Advokat für diese Behandlung. Für meine Forschung ist es gut, finden parallel schon Behandlungen und auch Patienten-Befragungen statt.