Ich bin ja kein Jugendlicher mehr. Mit 35 huscht öfters eine gewisse Skepsis über mein Gesicht, wenn ich mich im Spiegel mit diesem Cappy auf dem Kopf sehe. Aber das ist schon gut. Sollte ich bald eine Glatze kriegen, werde ich diesen Spleen umso mehr zelebrieren.
Meine Tendenz zum «Jugendstil», zum Kindlichen, manchmal vielleicht Kindischen ist in der nüchternen Schweizer Erwachsenenwelt oft ein Problem, erlaubt mir aber andererseits ein grösseres Verständnis für die Jugendkultur, als sie mancher aufbringt, der versehentlich meint, ein Teil davon zu sein.
Evolution und Urgesteine
Seit meinen eigenen Teenage-Jahren, als man noch «ins Internet ging», haben sich mehrere popkulturelle Revolutionen ereignet, die vielleicht erst retrospektiv als solche wahrgenommen werden. Während sich zum Beispiel nach wie vor ältere Musikinteressierte über Techno, Hip-Hop oder allgemein elektronische Musik mokieren, haben sich diese Genres längst hundertmal gepaart, verästelt und in sich selbst aufgelöst.
Wer Sachen sagt wie: «Ich mag halt das Handgemachte, die echten Instrumente, die Elektrogitarre», realisiert nicht, dass eine Laptop-Tastatur eine Gitarre sein kann, ein iPhone eine Band.
In der Hip-Hop-Szene gibt es Dogmatiker, die meinen, wer keine Breakdance-Moves, Graffiti- und DJ-Skillz habe, wer nicht doubletime-rappen kann, sei kein würdiger Vertreter der Szene. Dass sich die Szene aus den Ausdrucksformen der jeweiligen Zeit speist und die sich immer schneller ändern, vergessen sie dabei.
«Was ist das nur für 1 Text vong Zusammenhang her?»
Während sich also hängengebliebene Urgesteine die guten alten Zeiten zurückwünschen, in denen es noch um Aussage und Rapskillz ging, hat Money Boy schon 10 neue Tracks releast, 3 Groupies vernascht und sich 2-mal Crack gegönnt und damit vielleicht mehr für die Kultur getan als einige beleidigte Altvordere.
Besagter Money Boy hat zusammen mit Teddy Comedy (der Mann im Video oben) und den Nachdenklichen Sprüchen auch eine eigene Sprache entwickelt, die wohl etwa gleich viele Menschen erreicht wie damals Goethe oder Schiller. Wenn du dich nun fragst: «Was ist das nur für 1 Text vong Zusammenhang her?», oder weder Money Boy, die Nachdenklichen Sprüche noch diesen Teddy kennst – macht nix: Das ist alles schon am vorbei sein tun, obwohl es am nice been war.
Inzwischen hat Yung Hurn an der Fashion Week gespielt, was ihn irgendwie spiessig macht, denn wer «Vetements» verfolgt, der weiss, dass Fashion-Shows sowas von 2016 sind – was wiederum Hurns Alter Ego K. Ronaldo fast attraktiver macht als Hurn selbst.
Die Welt der Memes
Sollte das unverständlich klingen, ist die Meme-Kultur schuld. Die Jugend spricht (vor allem online, aber diese Differenzierung ist inzwischen überflüssig) in einer völlig neuen oder vielleicht uralten Zeichensprache. Da ist ein viraler Clip von einem lustigen Menschen, der sich noch lustiger ausdrückt. Dann gibt es Hunderte von Remixes dieser Szene, dann ein Still mit dem Spruch als Text, dann Gifs mit dem Gesichtsausdruck des lustigen Menschen, dann eine Strichmännliversion davon, dann wird das Strichmännli zum selbsterklärenden Kommentar unter Facebook-Posts, dann gibt es eine Reaktion darauf und auch diese hat Chancen, demselben Prozess zum Opfer zu fallen und selbst zum Meme zu werden.
Die neuen Ausdrücke sind wie Zip-Files oder verlinkte Schlagworte. Sie wirken nur plump oder gar degeneriert, wenn man ihren Anhang, ihre Herkunft, nicht kennt. Ausdrücke wie «lit» oder Abkürzungen wie «af» sind die Spitzen einer weltweiten Pflege von Humor, Ironie, Wissen und Verknüpfungen und somit das Gegenteil von einfältig.
Die Sprache ist also (wegen neuen Medien und Technologien) nicht am verkümmern tun, sondern entwickelt sich exponentiell weiter. Das Gleiche gilt für die Musik oder die Kultur an sich. Sie blüht. Wer was anderes behauptet, sollte vielleicht mal seine Höhle oder seinen Elfenbeinturm verlassen und sich mal kurz im Strom der Kunst/Kommunikation/Kultur 3.0 treiben lassen.
Selbst in der Hip-Hop-Kultur, die viele als rebellisch wahrnehmen, gibt es längst spiessige Strömungen.
Es macht süchtig, aber auch Hoffnung. Die Geschwindigkeit ist berauschend, manchmal beängstigend. Aber das ist sie im Flugzeug auch. Man hebt ab und fliegt zu neuen Ufern. Das Nörgeln über die Ausdrucksweise oder die Musik der neuen Generation war und bleibt ein Ausdruck einer gewissen Rückständigkeit und Ignoranz.
Inzwischen geht das so schnell, dass es eben selbst in der Hip-Hop-Kultur, die viele noch als modern und rebellisch wahrnehmen, längst spiessige und konservative Strömungen gibt. Ja, es kann wehtun, wenn man sieht, dass ein paar verpeilte Teenager mit metrosexuellen Frisuren und unverständlichen Stammel-Texten mehr Leute erreichen als dein Lieblingsrapper von damals, der die sozialen Missstände in seiner Hood so gut in hochstehend verschachtelte Reime packen konnte.
Nicht «künstlich» herzustellen
Aber Kunst ist eben nicht per se moralisch, sondern vielmehr ein Spiegel des Zeitgeistes. Eine Meta-Sprache. Ein Meme. Und momentan ist die Form, die Oberfläche, der vermeintliche Trash eben Mode. Der Inhalt wird dabei oft weggelassen oder angedeutet und man wird ihm dadurch vielleicht gerechter als durch das übertriebene Zelebrieren einer Bedeutsamkeit oder Moral.
Wer wissen will, wie Memes oder virale Videos nicht funktionieren, sehe sich beispielsweise die neuen Kampagnen von McDonald’s oder der Postfinance an. Diese zeigen schön auf, dass man Memes nicht «künstlich» herstellen kann. Während die Agenturen den Grosskunden hier eine mega coole jugendliche Kampagne verkauft haben, sind die Videos und Plakate einfach sinnentleert und lösen somit keine Assoziationen aus.
Bei guten Memes sprudelt es nur so von diesen. Wer gute Memes und diese neue Sprache kennenlernen will, besuche oben erwähnte Portale und Künstler oder bediene sich der Einstiegsdrogen «9gag», «fuckjerry» oder «Tank Sinatra».