Nicht nur die Schweizer Medien sind derzeit ökologisch sensibilisiert, auch das amerikanische Kino macht sich so seine Gedanken zu Ressourcen und Nachhaltigkeit. Allerdings mit unterschiedlichem Budget und ganz unterschiedlichem Personal.
Nehmen wir zuerst Josh in «Night Moves». Er meint es furchtbar gut, wenn er auf einem Spaziergang ein Vogelnest aufhebt und zurück auf eine Astgabel legt. Dass der sentimentale Naturbursche von Jesse Eisenberg, dem Netzwerk-Nerd aus «The Social Network», verkörpert wird, ist dabei die kleinere Ironie. Denn das Nest ist leer, genau wie Joshs Geste auch.
Josh lebt in einer Kooperative inmitten biodynamischer Kohl- und Wirrköpfe, seine platonische Freundin Dena (Dakota Fanning) arbeitet in einem alternativen Spa, und Harmon (Peter Sarsgaard) ist ein Veteran aus dem Irakkrieg, der Gefallen an Explosionen gefunden hat. Zusammen wollen sie die Welt retten, indem sie den Staudamm eines lokalen Wasserkraftwerks sprengen. Warum? Weil der Damm Lachsfischen den Weg zu ihren Laichgründen versperrt und freies Wasser besser ist als uneingeschränkter Saft für den iPod.
Der Damm bricht
Ersatzhandlung nennt man das wohl, und Kelly Reichardts kleiner, aber widerborstiger Öko-Thriller «Night Moves» zeigt, in was sich ein Aktivismus verrennt, wenn er vor lauter Bäumen den Menschen nicht mehr sieht. Josh und seine Mitstreiter verstehen sich als Rebellen, die gegen kapitalistische Exzesse ankämpfen, dabei weisen sie ihre Sehnsucht nach unberührter Natur und ihre Methoden selbst als Teil der von ihnen verachteten Konsumgesellschaft aus.
Den Grossteil von «Night Moves» widmet Reichardt den Vorbereitungen der angehenden Ökoterroristen, und es ist ihr nüchternes, unspektakuläres Prozedere, das den Film nervenzerrend spannend macht. Kriegen die drei genügend Dünger für einen Sprengsatz zusammen? Passt die Bombe ins Boot? Und kommen die Attentäter mit der Tatsache klar, dass die grösste Nachhaltigkeit nicht in ihren guten Absichten, sondern in einer fatalen Fehleinschätzung steckt?
Unendliche Weiten
Dass Naturschwärmer ihre eigene Agenda radikal über die Bedürfnisse einer breiteren Bevölkerung stellen, hat Tradition. Die älteste Naturschutzorganisation der USA, der Sierra Club, erregte zu Beginn des 20 Jahrhunderts Aufsehen, als sie gegen ein Staudammprojekt zur Wasserversorgung von San Francisco protestierte. 1906 hatte ein Erdbeben die Metropole am Pazifik durchgeschüttelt: Feuer brach aus, und weil das nötige Löschwasser fehlte, brannte ein Grossteil der Stadt ab. Gebaut wurde der Damm trotz der Proteste im kalifornischen Yosemite Valley, dem ersten von der Bundesregierung der Vereinigten Staaten eingerichteten Nationalpark.
Entstanden waren diese Parks für stadtmüde Besucher als Ersatz für die authentische Naturerfahrung der «Frontier». Dieses sagenhafte Grenzland, an dessen Demarkationslinie sich die Bestimmung einer Nation im Widerstreit mit den Naturgewalten erfüllt, prägt das Selbstverständnis der USA bis heute. Dabei hatte die «Manifest Destiny», die US-Doktrin der ewigen Expansion nach Westen, die Wildnis bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschöpft; die Indianer waren besiegt, die Büffel ausgerottet, die Eisenbahnschienen verlegt. Der Cowboy, der dem Sonnenuntergang entgegenreitet, überlebte nur dank dem Western.
Liebe als Physik
Diese widersprüchliche Kombination von Pioniergeist und Zivilisationsflucht prägt auch «Interstellar», das lang erwartete und fast drei Stunden lange SciFi-Epos, mit dem sich Christopher Nolan («The Dark Knight Rises», «Inception») an die Final Frontier, die Eroberung des Weltraums, macht. Allerdings ist es zunächst weniger der Pionier- als vielmehr ein Poltergeist, der die Geschichte anstösst. Da purzeln im Kinderzimmer der zehnjährigen Murph Bücher von alleine aus dem Gestell, dabei hat ihr Vater ganz andere Sorgen: Der ehemalige Nasa-Pilot und alleinerziehende Vater Cooper (Matthew McConaughey) sitzt auf einer Farm fest, die kaum mehr das Nötigste zum Leben abwirft.
In naher Zukunft hat sich das Erdklima so weit verschlechtert, dass nur noch Mais wächst, und selbst der kränkelt. Die Menschen hungern und hoffen auf die nächste Ernte, doch alle wissen: Es geht zu Ende. Da liefert der gutmütige Klopfgeist Cooper die Koordinaten zu einem geheimen Nasa-Stützpunkt, an dem Forscher die Evakuierung der Menschheit vorantreiben: Wer auf der Erde geboren wird, muss nicht zwingend darauf sterben, erklärt der Projektleiter (Michael Caine).
Cooper wird angeheuert, ein Raumschiff durch ein nahegelegenes Wurmloch in eine fremde Galaxie zu steuern, um dort einen Erd-Ersatz zu finden. Der Pilot willigt ein, im Wissen, seinen Sohn und besonders seine Tochter Murph wahrscheinlich nie wieder zu sehen. Was ihn auf seiner Reise durch den Malstrom aus Raum und Zeit zusammenhält, ist die Liebe, die der Regisseur wie eine physikalische Konstante behandelt.
Das wirkt überraschend sentimental für einen so nüchternen Konstrukteur wie Christopher Nolan, doch wurde das Drehbuch zu «Interstellar» ursprünglich für Steven Spielberg entwickelt. Die 160 bildprächtigen Minuten vergehen angenehm zügig, und das ist schon einmal ein schöner Beweis für die Relativität von Zeit.
Baseball im Schwarzen Loch
«Night Moves» und «Interstellar» haben beide den Weltuntergang vor Augen, die Endlichkeit natürlicher Ressourcen. Und auch wenn sich das Motorboot der Bombenleger nicht mit der Lichtgeschwindigkeit eines Raumschiffs bewegt, reisen die Protagonisten beider Filme doch zu derselben Grenze, wo Utopie und Realität miteinander verwirbeln.
Dabei wird die Flucht nach vorn von einer nostalgischen Sehnsucht getrieben, die sich ganz unschuldig gibt – die Ökoterroristen wollen in eine Welt vor dem Sündenfall zurückkehren, während die Space-Odyssey «Interstellar» den beschaulichen «American way of life» im Kosmos zu implementieren versucht, samt Baseballspiel und Schaukelstuhl auf der Veranda. Praktikabel ist keine der beiden Lösungen, aber wo «Night Moves» den Eskapismus seiner Figuren als Ideologie hinterfragt, inszeniert «Interstellar» die Weltflucht als idealistisches Weltraum-Märchen.
In Kelly Reichardts Thriller wird einmal die Frage gestellt, was mit Zuschauern passiert, die ständig Untergangsszenarien ausgesetzt sind. Für die anstehende Abstimmung über eine Volksinitiative zur «Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» ist der Schweizer Start der beiden Filme jedenfalls denkbar günstig: Das Publikum kann sich entspannt die Differenz zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit vor Augen führen – und muss sich dabei nicht einmal entscheiden.