Nehmen und Geben

Die Christoph Merian Stiftung hat zwei Gesichter. Sie ist vielgelobte Wohltäterin und zugleich konsequent renditeorientiert.

Ob der grosse Gönner Christoph Merian, die Immobilienstrategie gutheissen würde, wird infrage gestellt.

Die Christoph Merian Stiftung hat zwei Gesichter. Sie ist vielgelobte Wohltäterin und zugleich konsequent renditeorientiert.

Mächtig ist, über den nur Gutes gesagt wird. Um ein kritisches Wort über die Christoph Merian Stiftung (CMS) zu hören, muss man lange fragen. Keine andere Institution in Basel geniesst so viel Wohlwollen und Anerkennung. Keine ist zugleich so eng verflochten mit der Stadt. Keine so bestimmend für deren Zukunft.

Das ist ganz im Süden von Basel sichtbar. Auf dem Dreispitz sind die Bagger aufgefahren. Nach zehnjähriger Vorbereitung wird die Umwandlung des 500 000 Quadratmeter grossen Areals, das der CMS gehört, vorangetrieben. Es ist eine eigentliche Verwandlung im Gang. Aus Werkstätten, Lagerhallen und kleinen Handwerkerbuden soll bis 2035 ein urbanes Vorzeigequartier entstehen. Eine Mischung aus Kulturbetrieben, Gewerbe und Wohnraum, ­zusammengehalten von der Hochschule für Gestaltung und Kunst, an der auch schon gebaut wird.

Am Ende, so der Plan, sind alle zufrieden. Die Stadt hat ein neues Trendviertel gewonnen, die Kulturszene erhält Ateliers und Ausstellungsräume, und die Stiftung hat Gutes getan und dabei noch den Ertrag abgeschöpft. Das ist das System CMS: Alle gewinnen, garantiert aber die Stiftung.

Geldmaschine Dreispitz

Christian Felber, seit 1994 Direktor der CMS, räumt im Interview (Seite 9) unumwunden ein, dass die Entwicklung des Dreispitz-Areals aus Sicht der CMS wichtig ist, damit sie die Wertschöpfung steigern kann. Gewaltige 900 Hektar Land sind in ihrem Besitz, 2000 Mietobjekte gehören ihr. Einen Drittel des Umsatzes erwirtschaftet die Stiftung aber allein auf dem Dreispitz.

Damit mehr Geld reinkommt, sollen Wohnungen für 2000 Menschen entstehen. Das Gewerbe fürchtet, verdrängt zu werden. Im ehemaligen Transit­lager sowie in einem Neubau von Herzog & de Meuron sind die Wohnungen bereits im Entstehen begriffen. Es sind Unterkünfte für Gutverdiener. Es sind für die CMS, die den Grossteil ihrer Einkünfte mit Liegenschaften erzielt, typische Immobilienprojekte: renditeorientiert.

Kritik an der Geschäftspolitik

Ins Bild der CMS als generöse Gönnerin zum Wohle der Stadt mag sich das nicht so recht fügen. So sieht das Grossrätin Patrizia Bernasconi vom Grünen Bündnis. Bernasconi ist auch Geschäftsführerin des Basler Mieterverbandes. Sie sagt: «Die CMS bewirtschaftet ihre Liegenschaften klar renditeorientiert. Ihre Liegenschaften sind kaum auf die Bedürfnisse der Ärmeren ausgerichtet, mit der Rendite finanziert sie aber wiederum Projekte im sozialen Bereich.» Für Bernasconi ist das widersprüchlich. Schliesslich hatte Christoph Merian sein Vermögen zur «Linderung der Noth und des Unglückes» und zur «Förderung des Wohles der Menschen» in Basel gestiftet.

Den Widerspruch nimmt CMS-Direktor Felber gerne in Kauf. Die Stiftung unter Felber kalkuliert alles dreimal durch, bevor sie das Portemonnaie zückt. Wenn es hart auf hart kommt, heisst es aus der Geschäftsleitung, gewinnt immer die Rendite. Oder anders ausgedrückt: Die Immobilliensparte entscheidet, wenn es zum Konflikt mit der Kulturförderung kommt.

Seltsame Förderpolitik

Als der Kanton Baselland seinen Beitrag am Haus der Elektronischen Künste (HEK) strich, sprang die CMS nicht ein, obwohl das Medienmuseum eines der Vorzeigeprojekte der Stiftung im kulturellen Bereich ist. 373 000 Franken schoss die CMS 2011 ins HEK ein. Nun muss das angegliederte Musik- und Kunstfestival «Shift» bis 2014 pausieren. Dann soll es dank neuen Mitteln des Bundes für das HEK wieder stattfinden.

Dass das 2007 gegründete Festival auf dem Dreispitz eine Zukunft hat, ist unwahrscheinlich. Die neuen Bewohner dürften am lärmigen Event keine Freude haben. So streicht die CMS lieber dem potenziellen Störfaktor Shift, das als Festival weit über die Region ausstrahlte, die Mittel, als dem unscheinbaren HEK, das an normalen Tagen zwei bis vier Besucher anlockt, wenn nicht gerade eine Schulklasse in den Genuss einer Führung kommt.

Der Leiter der Kultursparte der CMS, Beat von Wartburg, sieht in dieser Prioritätensetzung kein Problem: «Das HEK wird sich entwickeln, sobald die ­Hochschule für Gestaltung und Kunst 2014 ­eröffnet ist. Das Shift-Festival kann auch an einem anderen Ort stattfinden, wenn es auf dem Dreispitz nicht mehr geht.»

Kultur als Übergangslösung

Das Schicksal des Shift-Festivals dürfte vielen Kulturbetrieben blühen, um deren Ansiedlung auf dem Dreispitz sich die CMS bemüht. Das Engagement der Stiftung ist eigennützig: Die Künstler sollen das tote Gewerbegebiet beleben, es aufwerten und für die späteren zahlkräftigen Bewohner attraktiv machen. Später, wenn die Mieten steigen, verschwindet die Nischenkultur von alleine.

«Der Vorwurf der Gentrifizierung lässt sich nicht ganz von der Hand weisen», räumt von Wartburg ein. Problematisch findet er das nicht: «Die Zeit der Zwischennutzungen von Industriearealen geht vorbei. In Zukunft werden es die Bauten aus den 1960er- und 1970er-Jahren sein, die für die Alternativkultur interessant sind.»

Villa Wettstein musste weichen

Dem Vorwurf, sich wie ein auf Profit ausgerichtetes Unternehmen zu gebärden, sieht sich die CMS nicht nur auf dem Dreispitz-Areal ausgesetzt. Auch als die Stiftung 2010 die ihr gehörende Wettstein-Villa, eine Wohn- und Werkgemeinschaft von Künstlern, aus dem Kulturportfolio strich, ging es ums Geld. Nach dem Abriss wurden Altersresidenzen im gehobenen Bereich gebaut. Nettomiete: bis zu 2800 Franken für 92 Quadratmeter Wohnfläche. Alterswohnungen sind ein wichtiger Einkommenszweig. Jede fünfte in Basel gehört der CMS.

Die Bewohner wehrten sich mit einer Petition und dem Gang vor die staatliche Schlichtungsstelle gegen das jähe Ende der Wettstein-Villa. Unterstützung, etwa von linker Seite, kam keine. Die CMS ist aufgrund ihrer zahlreichen Sozialprojekte kaum angreifbar. Bei SP-Grossrat Tobit Schäfer tönt das so: «Die CMS ist bedeutend für Basel. Sie erfüllt wertvolle Aufgaben.»

Zweite Staatskasse

Mit der CMS will sich niemand anlegen. Überall dort, wo der Kanton nicht alleine zahlen kann oder will, springt die wohlgesinnte CMS ein. Sie finanziert Umgestaltungen von Pausenplätzen in staatlichen Schulhäusern im St. Johann, Mittagstische, eine Studie über Expats in Basel, baut und subventioniert Quartiertreffpunkte und, und, und. Die CMS funktioniert als zweite Staatskasse.

Manchmal trägt die vor 126 Jahren gegründete Stiftung auch Projekte, die umstritten sind – etwa eine Anlaufstelle für Sans-Papiers in Basel. Für rechte Kreise ist das zu viel des Guten. Kritik übt allen voran SVP-Chef Sebastian Frehner. «Das ist total daneben. Wenn Christoph Merian wüsste, dass seine Stiftung eine Anlaufstelle für Sans-­Papiers unterstützt, würde er sich im Grab um­drehen», sagt der Nationalrat.

Darauf angesprochen, zuckt CMS-Direktor Christian Felber mit den Schultern. Er begründet den finanziellen Zustupf an Sans-Papiers mit dem Engagement der Stiftung zur «Linderung der Armut und Not». Kritik aus der Politik perlt an der Stiftung ab. Umgekehrt agiert sie gegen aussen bescheiden und zurückhaltend. Nie mischt sie sich in politische Diskussionen ein oder macht sich für Regierungs­räte stark. Die CMS macht vieles, nur keine Könige. Vielmehr gefällt sie sich in der Königsrolle.

Grosse Selbstsicherheit

Aus Regierungskreisen heisst es, dass die Stiftung zwar zurückhaltend auftrete, sie sich ihrer Macht aber durchaus bewusst sei. Die CMS sei ein fairer, aber auch sehr selbstbewusster Partner. «Die Stiftung hat das Gefühl, dass all ihre Projekte von Natur aus gut sein müssen, weil sie dahintersteht. Zudem stürzt sie sich auf Sachen, die sie gut dastehen lässt», sagt ein Mitglied der Regierung. Mit dem Namen hinstehen mag die Person aber nicht. Denn ohne die CMS wäre vieles in Basel nicht möglich.

Für Markus Lehmann, National- und Grossrat der CVP, ist die Stiftung ganz einfach «ein Segen für die Stadt». Lehmann sitzt in der Stiftungskommission der CMS und sagt: «Projekte, die der Kanton nicht finanziert, unterstützt die CMS. Manchmal bekommt man schon den Eindruck, die Verwaltung rechne nonchalant damit, dass die Stiftung schon zahlen wird.»

Nur Gutes über die CMS hört man von Rolf Maegli­. Bis Ende 2010 war er Leiter der Basler Sozial­hilfe, heute ist er Direktor der Stiftung für Schwerbehinderte in Luzern. «Die Zusammenarbeit mit der Christoph Merian Stiftung war ein Highlight meiner elfjährigen Arbeit für die Sozialhilfe. Die CMS ist eine Bereicherung für Basel, nicht nur im sozialen Bereich. Meine Nichtbasler Kollegen beneideten mich um diese CMS», sagt er.

Herausragende Rolle

Die CMS sticht in der Stiftungshauptstadt heraus. Nicht nur dank ihrem Gewicht. Sie unterscheidet sich von den unzähligen Bedienungen von Partikularinteressen aus dem Basler Gutbürgertum. Etwa dadurch, dass sie sich eng mit Regierung und Bürgergemeinde abspricht, dass sie jeden Franken öffentlich ausweist, den sie spricht.

Diese Transparenz und die vielfach bestätigte gute Projektarbeit macht sie für viele verträglich. Der Basler Historiker Robert Labhardt hat zum 125-Jahr-Jubiläum eine Biografie des Grosskaufmanns Christoph Merian vorgelegt. Labhardt sagt, was auch Linke sagen. Sie hätten es mit ihrem demokratischen Verständnis lieber, wenn Gelder, die der Öffentlichkeit zugute kommen, über die Staatskasse verteilt werden. Der CMS aber sind sie bereit, eine Ausnahme von der Regel zuzugestehen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

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