Nur Bass, nur Melodie: Hip-Hop geht auch ohne Rap

Hip-Hop-Produzenten fristeten lange ein Schattendasein. Eine kleine, aktive Szene von Beat-Bastlern wagt nun den Schritt ins Rampenlicht. Der Wiener Brenk Sinatra demonstriert am Freitag in der Kaserne, wie gut die Beats auch ohne Rap klingen können.

Plattenspieler, Drumcomputer, Piano und Laptop sind Brenks Instrumente. (Bild: Matthias Oppliger)

Hip-Hop-Produzenten fristeten lange ein Schattendasein. Eine kleine, aktive Szene von Beat-Bastlern wagt nun den Schritt ins Rampenlicht. Der Wiener Brenk Sinatra demonstriert am Freitag in der Kaserne, wie gut die Beats auch ohne Rap klingen können.

Diesen Moment gibt es an jeder Hip-Hop-Party: Die ersten Takte von «Full Clip» erklingen. Der trockene Basslauf, die ikonische Sequenz, bringt jeden Kopf zum Nicken. Manch einer brüllt  «Gang Starr» in die euphorische Menge, um zu signalisieren, dass er sich mit Rap der späten Neunzigerjahre auskennt.

Ein Name, der bei diesem Lied nur den wenigsten durch den nickenden Kopf gehen dürfte, ist Cal Tjader. Er ist der Urheber dieser Klänge, die in der Szene flächendeckend Glücksgefühle auslösen. Eingeweihte kennen Tjader als Latin-Jazzer, die Geburt des Hip-Hop-Genres erlebte er nicht mehr.

Dass seine Melodie trotzdem gefeiert wird, ist einem Mann zu verdanken: DJ Premier. Er hat zwei Schnipsel – insgesamt etwa vier Sekunden – von Tjaders Stück genommen und daraus einen Sound gemacht, der um die Welt ging. Premier ist selbst eine Ikone. Er gilt als Überproduzent. Fans nennen ihn «Primo» oder «God». In seinem Schlepptau wurden Strassenrapper zu Rockstars, so etwa Nas oder Notorious B.I.G.

Premier ist eine Ausnahmen, denn Produzenten geniessen selten Weltruhm über Kennerkreise hinaus. Was erstaunlich ist, sind sie doch für den eigentlichen Sound verantwortlich. Für die Bässe, für die Rhythmen, für das Hip-Hop-Gefühl.

Doch in den letzten Jahren hat sich eine kleine Szene formiert: Beatmaker, die eigene Alben veröffentlichen, auf denen Rapper höchstens eine Nebenrolle spielen; Produzenten, die in Clubs live vor Publikum auftreten; Liebhaber von instrumentalem Hip-Hop (zahlreiche Hörbeispiele gibt es weiter unten).

In deutschen Städten stehen Beatpartys schon länger auf dem Programm und auch in der Schweiz macht sich die Szene allmählich bemerkbar. So etwa an der «Le Flah» in Zürich, an der «Oro Negro» im Hirscheneck und seit Kurzem mit der neuen Partyserie «Mind The Gap» in der Kaserne.

In der Kaserne tritt diese Woche (am Freitag, 21. November 2014) Brenk Sinatra auf, zusammen mit zwei Produzentenkollegen (Dexter und Suff Daddy) als Beat-Kollektiv «Betty Ford Boys».

Brenk wohnt in Wien, wo wir ihn getroffen haben. Seine Wohnung ist gleichzeitig sein Studio. Mit einem Glas Apfelsaft nehmen wir zwischen allerlei technischem Gerät, Regalen voller Schallplatten und Fotos bekannter Genregrössen Platz.

Brenk Sinatra, täuscht der Eindruck oder emanzipieren sich die Hip-Hop-Produzenten von den Rappern?

Auf jeden Fall, die Produzenten treten langsam aus dem Schatten. Wenn man seine Beats schön knackig macht und gut durchproduziert, braucht Hip-Hop keine Rapper.

Die Musik wurde seit jeher von den Produzenten definiert. Warum dauerte es so lange, bis sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat?

Der Beat und die Instrumentalisierung machen für mich Hip-Hop aus. Sie prägen die Stimmung. Ein guter Rapper reitet auf dieser musikalischen Stimmung oder verstärkt sie sogar noch. Trotzdem ist er das Gesicht und sein Auftritt greifbarer. Produzenten hingegen agieren meist im Hintergrund, ihren Namen kennen nur Eingeweihte. Indem Pioniere wie Madlib oder J Dilla reine Instrumentalalben herausgaben, legten sie das Fundament für diese Emanzipation der Produzenten. Sie machten vor, wie es funktioniert.

Was macht denn ein gutes Beat-Album aus?

Die Tracks sind kürzer, meist knapp zwei Minuten. Ein solches Album ist eine Art Sammlung von ausgereiften Beat-Skizzen, die Andeutung davon, was alles möglich ist.

Sie treten mit Ihren Beats auch live auf. Wie sieht das Publikum aus?

Früher kamen vor allem Leute aus der Szene, die selbst Beats produzierten. Heute ist das Publikum durchmischt. Es hat auffällig viele junge Leute. Und seit ein, zwei Jahren kommen viele Frauen. Das ist bei herkömmlichen Hip-Hop-Partys nicht so. Natürlich bleibt die Beat-Szene insgesamt eine Nische. Aber alleine die Tatsache, dass wir mit den Betty Ford Boys zum zweiten Mal innert zwei Jahren auf Tournee gehen, zeigt, wie gross die Nachfrage geworden ist. Es war für mich vor einigen Jahren unvorstellbar, mit meinen Beats auf Tour zu gehen.

Kommen mit diesem Schritt aus dem Schatten neue Aufgaben auf die Produzenten zu, mussten Sie sich beispielsweise Entertainerqualitäten aneignen?

Bei unseren Auftritten gibt es primär etwas zu hören und nicht etwas zu sehen. Aber natürlich reicht es nicht aus, kopfnickend hinter den Geräten zu stehen. Man muss die Zuschauer abholen. Inzwischen schenken wir Schnäpse aus, labern Blödsinn ins Mikro und lassen es generell krachen. Bei unserem ersten Auftritt kam die Polizei, das war legendär.

Brenk Sinatra macht seit Jahren Musik, lebt jedoch erst seit knapp zwei Jahren davon. Davor hat er parallel im Lager eines Turnschuhhändlers gearbeitet. Das war gut für seine Sneakersammlung und schlecht für seine Moral.

Seine internationale Karriere nimmt gerade Fahrt auf. Unlängst hat er einer Legende des West Coast Rap zum Comeback verholfen. Sämtliche Beats auf MC Eihts («Comptons Most Wanted») neuestem Album sind von Brenk. Von seinem Studiozimmer im Wiener Arbeiterquartier aus skypt er regelmässig mit DJ Premier, vor einigen Monaten zog er durch Los Angeles, einen USB-Stick voller Beats im Gepäck.

Dass sich Veranstaltungen, bei denen es um den Beat und nicht mehr um den Rapper geht, grosser Beliebtheit erfreuen, bestätigt auch Khaderbai. Der Zürcher Produzent lancierte zusammen mit drei Freunden vor gut einem Jahr die eingangs erwähnte Veranstaltungsreihe «Le Flah», wo neben den beiden Stamm-DJs auch jeweils ein Beatmaker live auftritt. «Die Partys sind ein Erfolg, unser Konzept hat glücklicherweise von Beginn an funktioniert.» Das Publikum lasse sich dabei grob in drei Gruppen unterteilen: die aktive Beat-Szene, Hip-Hop-Fans und viele junge, szenige Leute aus der Genreschnittmenge zwischen Hip-Hop und Electro.

Das Potenzial ist gross, trotz Missverständnissen.

Und auch bei «Le Flah» tanzen auffällig viele Frauen mit. «An normalen Hip-Hop-Veranstaltungen ist der Frauenanteil seit jeher konstant niedrig, bei uns liegt er deutlich höher.» Khaderbai ist überzeugt, dass sich Beatpartys weiter etablieren werden. «Als wir anfingen, waren wir in dieser Regelmässigkeit die Einzigen in Zürich. Heute finden Produzenten auch in grösseren Clubs immer öfter aufs Programm.»

Der Basler Musiker und Produzent Audiodope tourt derzeit durch Deutschland und die Schweiz. Die Chance auf den ganz grossen Durchbruch der Beat-Szene in der Schweiz schätzt er gering ein. «Dafür ist die Szene wohl einfach noch zu klein.» Ausserdem würden viele Menschen gar nicht genau verstehen, was der Produzent auf der Bühne hinter seinen Geräten genau macht. Das führt zu Missverständnissen: «Kürzlich wollten zwei junge Frauen bei mir Lieder wünschen. Sie hielten mich für den DJ.»

Im Sinne der Aufklärung deshalb hier ein sehenswertes Video, das zeigt, was ein Produzent eigentlich macht, wenn er einen Beat «bastelt» (ab Min. 0:43).

_
«Mind The Gap», Beatparty mit Samon Kawamura (Jp), Betty Ford Boys (De, Ö), Johny Holiday und Reezm. Kaserne, 21. November 2014, 23 Uhr.

Weitere Hörbeispiele:

Audiodope (Basel)

Funky Notes (Basel)

Khaderbai (Zürich)

J Dilla, für viele der absolute Übervater des Beatmaking.

Und zu guter Letzt: DJ Premier, weil an ihm kein Vorbeikommen ist, wenn man über Hip Hop-Beats spricht.

Nächster Artikel