Darf man Zellen aus Embryonen oder gentechnisch veränderte Tiere und Pflanzen patentieren lassen? Mit diesen kniffligen Rechtsfragen beschäftigt sich künftig Herbert Zech – der erste Professor für Life-Sciences-Recht in Basel.
In der Bio- und Gentechnologie herrscht eine Art Goldgräberstimmung. Fast täglich beschreiben Forscher neue Genabschnitte und ihren Einfluss bei der Entstehung von Krankheiten. Sie isolieren aus Embryonen «Alleskönner-Zellen», die als Wunderwaffe gegen viele ernste Erkrankungen gelten. Dank biotechnologischer Methoden selektionieren sie effizienter als je zuvor Nutzpflanzen und -tiere. Diese Errungenschaften lassen sie patentieren, damit nicht andere von den Früchten ihrer Arbeit profitieren.
In der Öffentlichkeit kommen diese Besitzansprüche schlecht an. Der erste Impuls ist oft, «keine Patente auf Leben» zu fordern. Dürfen Tiere, Pflanzen oder gar menschliche Körperteile nach gleichen Massstäben beurteilt werden wie zum Beispiel ein Toaster? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Herbert Zech, der demnächst der erste Professor für Life-Sciences-Recht in Basel wird.
Erfindergeist wird angestachelt
Ein generelles Patentverbot für Lebewesen zu fordern, schiesse übers Ziel hinaus, sagt er. «Das Patentrecht hat sich als nützlich und wichtig für Forschung und Entwicklung erwiesen. Es dient dazu, den Erfindergeist anzustacheln.»
Ein Patent schützt geistiges Eigentum. Es garantiert einem Erfinder für einige Zeit das alleinige Nutzungsrecht an seiner Kreation und deren Anwendungen. Dazu muss diese lediglich neu, eine erfinderische Leistung und gewerblich nutzbar sein. Wer das Produkt kommerziell herstellen oder weiterentwickeln will, muss Lizenzgebühren zahlen.
Verstösse gegen die guten Sitten
Auch Pflanzen und Tiere können Eigentum sein und somit grundsätzlich patentiert werden. Ob die Erfindung moralisch richtig oder ihre Anwendung erlaubt ist, ist nicht Sache des Patentrechts, das grundsätzlich «wertneutral» ist. Es schliesst lediglich Eigentumsrechte aus, die gegen die Menschenwürde oder die guten Sitten verstossen, also in der breiten Öffentlichkeit als unethisch gelten – zum Beispiel das Klonen von Menschen.
Doch der Fortschritt der Forschung stellt das Patentrecht vor Probleme, auf die es nicht vorbereitet ist. Der Europäische Gerichtshof erklärte unlängst ein Patent eines Forschers der Universität Bonn auf menschliche Stammzellen für ungültig. Das Argument: Das Zerstören von befruchteten Eizellen zu ihrer Herstellung verstosse gegen die guten Sitten. Aber ob und wann die Stammzellgewinnung erlaubt ist oder nicht, wird in vielen Ländern völlig unterschiedlich beurteilt. Der Fall zeigt, wie problematisch es ist, ethische Entscheide übers Patentrecht zu fällen.
Auch die Gentechnologie wirft neue Fragen auf. Zwar können isolierte natürliche Substanzen patentiert werden, etwa der Wirkstoff von Aspirin als Kopfwehmittel, samt allen weiteren Anwendungen. Das Erbmolekül DNA ist jedoch mehr als eine Chemikalie, sie ist ein Code, der viele Produkte herstellen kann. Ein Brustkrebsgen könnte zum Beispiel auch ein Transportmolekül für eine Alzheimer-Therapie hervorbringen.
Seit das Humangenomprojekt 2001 die rund 20 000 Gene des Menschen entschlüsselt hat, wurde bereits etwa ein Fünftel der Erbsubstanz mit Patenten belegt. Bisher galt dieser Schutz für sämtliche Produkte des Codes. «Das klassische Patent, das alle Anwendungsbereiche schützt, führt bei Gensequenzen sehr weit», sagt Zech. «In diesem Bereich sind Patente immer öfter kontraproduktiv und hemmen die Forschung.»
Entdecken allein genügt nicht
In einem bekannten Beispiel besass die US-Firma Myriad ein umfassendes Patent auf zwei mit Brustkrebs assoziierte Gene. Etliche unabhängige Forscher stellten ihre Arbeit mit den Genen ein. Keiner ihrer Funde hätte je eine Chance gehabt, zum Patienten auf den Markt zu gelangen. Myriad verbot zudem anderen Firmen und Spitälern, eigene Brustkrebs-Gentests anzubieten, die bis zu viermal günstiger waren als der Test von Myriad.
Inzwischen wurde das Myriad-Patent in Europa stark eingeschränkt. Das Gleiche wird wohl bald auch in den USA der Fall sein. Denn ein Gen zu sequenzieren ist heute eine Standardprozedur, keine erfinderische Leistung. «Entdecken allein genügt nicht für einen Patentschutz», sagt Zech. Gene bleiben aber grundsätzlich patentierbar, wenn ihnen eine konkrete Funktion zugeschrieben wird.
Derzeit tobt ein Streit darüber, ob für die Saatgut- und Tierzucht ähnliche Ansprüche gelten sollen. Dank neuer, molekularbiologischer Auswahltechniken lassen sich gewünschte Eigenschaften viel effizienter selektionieren als durch klassische Züchtung. Dies führt zu einer Flut von Patenten auf mehr oder weniger konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere.
Patentierte Basler Melonen
Der neuste Fall stammt aus Basel: Der Saatgutkonzern Syngenta liess Melonen patentieren, deren besonderer Geschmack auf einer bestimmten Kombination von Inhaltsstoffen beruht. Die Melonen waren nicht biotechnologisch hergestellt, sondern lediglich mit indischen Melonen gekreuzt worden.
Das Patent gilt für Samen und Früchte aller Melonen, bei denen gezielt diese Eigenschaften ausgewählt werden. Ähnlich weit gefasst sind weitere umstrittene Patente, etwa auf Brokkoli mit besonders hohem Gehalt einer vermutlich krebsvorbeugenden Substanz oder auf besonders rasch wachsende Schweine.
Konzentration auf wenige Konzerne
Laut Syngenta ähnelt das Melonen-Patent neuen Kochrezepten oder Lebensmitteln, die auch patentiert werden dürfen. «Das Patent umfasst keine bereits in der Natur oder auf dem Markt befindlichen Melonen und schränkt daher die bisherige landwirtschaftliche Praxis in keiner Weise ein», erklärt ein Syngenta-Sprecher.
Allerdings dürfen Züchter das geschützte Saatgut oder Tier nicht weiterentwickeln. Deshalb verurteilen Züchterverbände und Nichtregierungsorganisationen wie die Erklärung von Bern (EvB) Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere. Sie führten zum Verlust der Nutzpflanzenvielfalt und zu einer gefährlichen Konzentration des Nahrungsmittelmarkts auf wenige Konzerne. «Wir haben das Level für optimalen Schutz überschritten», sagt Patentexperte François Meienberg von der EvB. «Er ist so stark, dass Innovationen sogar verhindert werden.»
Je mehr Leute an einer Lösung arbeiten könnten, desto besser stünden die Chancen auf ein besseres Produkt. Die Forderung der Kritiker lautet deshalb: Konventionell gezüchtete Pflanzen sollen als Sorten gelten, nicht als patentierbare Erfindungen.
Eine Sorte ist eine einzige, genau definierte Pflanzenlinie, die zum Sortenschutz angemeldet werden kann. Der Inhaber darf sie dann als Einziger vermehren und verkaufen, doch andere können beliebig damit weiterzüchten. Knebelwirkungen von Patenten auf die Weiterentwicklung von Produkten stehen ihrem ursprünglichen Zweck diagonal entgegen. Genpatente etwa müssten künftig geprüft werden, sagt Herbert Zech. «Lieber weniger Patente, dafür solche mit höherer Qualität.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.02.12