Ruhet in Frieden, meine Seeräuber von Batavia!

Im Europapark Rust hat am Wochenende ein Feuer gewütet. Das Fahrgeschäft «Piraten in Batavia» wurde komplett zerstört. Die  Erinnerungen unserer Volontärin daran sind so lebendig wie nie. Ein Nachruf.

Sie wurden ein Raub der Flammen und der Europapark dadurch wieder etwas fürchterlicher: Die «Piraten in Batavia».

«Oh-oh, Norwegen und Holland brennen.»

Mutter und Schwester schauen mich mit aufgerissenen Augen an.

«Na, im Europapark, das hört ja gar nicht mehr auf – es brennt alles nieder!»

Grosses Gelächter. «Achsooo, ha-ha! Jetzt dachte ich schon, ha-ha!», prustet die Schwester.

Es ist Samstag, ein mückenschwangerer Sommerabend im Garten der Eltern. Wir sind gekommen, um zu sehen, wie Topstürmer Mohamed Salah in der 30. Minute weinend vom Rasen schlurft und Liverpool das Genick bricht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Oase im Grauen

Eine absolut unwichtige Geschichte. Denn ein Feuer wütet an jenem Abend durch den Europapark und lässt sich auch von Hunderten Feuerwehrmännern nicht zähmen. Die Flammen zerstören eine Lagerhalle. Sie fressen Norwegen. Und sie gieren nach mehr. Also nehmen sie sich das Einzige, was in diesem fürchterlichen Vergnügungspark für mich wirklich von Bedeutung ist: die «Piraten in Batavia». Die Seeräuber verbrennen in den Flammen. Meine Seeräuber.

Ich mag den Europapark in Rust nicht. Es hat zu viele Menschen, das Essen ist mies, die Paraden sind dämlich, die Warteschlangen endlos. Und wenn ich das künstliche Kolosseum sehe, will die Kunsthistorikerin in mir sterben. Trotzdem fahre ich alle paar Jahre wieder hin. So eine Fahrt auf einer Achterbahn mit Fliehkräften von bis zu 4 g – bei der man also das Vierfache seines Körpergewichts spürt – ist das Beste, um die Geister wachzurütteln. Und die Glücksgefühle danach: unbeschreiblich, muss man erlebt haben.

Es gibt jedoch immer den Moment, in dem die Geister finden: Jetzt mol duureschnuufe, Maitli. Dann ist es Zeit für einen Besuch bei meinen ungehobelten Freunden in Holland.

Das letzte bisschen Charme

Die Piraten in Batavia, eine Wasserbahn in einer Halle im Themenbereich Niederlande, wurde von der Europapark-Familie Mack gebaut und 1987 eröffnet. In wackeligen Booten schipperte man durch ein Niederländisch-Indien des 17. Jahrhunderts, das von rüpelhaften Piraten heimgesucht wurde. Sie kämpften gegen die Kolonialisten, plünderten, soffen und vergingen sich an den Frauen. Die Geschichte spielt im damaligen Batavia, dem heutigen Jakarta, die Figuren sind Puppen aus Stoff, die ein technisches Rückgrat lebendig werden liess.

Bei der Abfahrt des Wasserfalls schrie ich zu Beginn ein bisschen. Nicht, weil ich musste. Aber es gehörte einfach dazu.

Liess. Denn jetzt sind sie tot. Selten tat mir ein Präteritum mehr weh.
Im letzten Oktober stieg ich mit drei Freunden zum letzten Mal in ein Boot. Es hatte geregnet, wir fuhren mit 127 km/h auf der ungedeckten Silverstar und waren uns wortlos einig: jetzt ab nach Batavia.

Bei der Abfahrt des Wasserfalls schrie ich zu Beginn ein bisschen. Nicht, weil ich musste. Aber es gehörte einfach dazu. Auf der linken Seite pöbelten die Piraten auf ihrem Schiff und fuchtelten mit den Knarren. Wobei fuchteln nicht ganz das passende Wort ist. Es war doch eher ein knarriges Auf- und Abfahren der eingerosteten Puppengelenke. In Batavia ruhte eben noch das letzte bisschen Charme, das mit der Digitalisierung verloren ging. Das unvollendete Handwerk, das der Fantasie noch Raum lässt.

Und dann noch diese Details! «Pass auf, du Vogelscheuche – jetzt gibts holländisches Blei!», schrie der Kolonialherr mit prächtigem Hut von der Rechten. Kanonenkrachen donnerte durch die Halle. Irgendwo weiter hinten dröhnten Akkordeon und Rasseln. Von oben leerte ein Seeräuber lallend seine Karaffe aus, der Strahl streifte mich fast. Ein Tiger wurde vom Scheinwerfer beleuchtet und röhrte. Eine Frau im rosa Kleid schaukelte auf dem Schoss eines Piraten:

«Give me a kiss», raunt er.
«Erst musst du mich heiraten!»
«Oh shit, forget it.»

Das schafften nur meine Piraten

Künstliche Flammen loderten im Fenster eines Hauses. «Hilfe, Hilfe! Das ganze Haus steht in Flammen!», schrie eine Frauenstimme. Wie beeindruckend ich diese Effekte früher fand. Vielleicht fragte ich mich als Kind sogar, ob diese Flammen echt waren.

Am Samstagabend waren sie es. Und richteten einen Schaden in Millionenhöhe an. Über 500 Einsatzkräfte waren im Einsatz, sieben erlitten eine leichte Rauchvergiftung. Der Park wurde am Sonntag zwar wieder geöffnet, doch Norwegen und Holland und damit verschiedene Fahrgeschäfte bleiben erstmal gesperrt. Oder wurden, wie im Falle der Piraten, komplett zerstört. Was auf sie folgen wird, bleibt ungewiss. Für mich ist klar: Der Europapark wird nie wieder derselbe sein.

Zurück im Oktober. Nach sieben Minuten hielt das Boot wieder. Die Hosen waren nicht mehr ganz so nass wie direkt nach der Achterbahn. Und die Glücksgefühle, die waren auch ohne 4 G da. Die Fahrt war wie eine gute Komödie: Jedes Mal ein neuer Gag, ein neues Element, das man in den zehn Fahrten zuvor nicht bemerkt hatte. Jedes Mal ein neues Lächeln.

Das schafften nur meine Piraten in Batavia.

Das letzte Foto bei den Piraten. Sehen Sie dieses Glück? 

Für alle, die noch nie in Batavia waren: 

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