Das 1902 entwickelte System Ochsner war auch international wegweisend für die Abfallentsorgung.
Kübel in allen Formen und Grössen gibt es schon seit Menschengedenken. Doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat es nur der Ochsnerkübel zu Weltruhm und Kultstatus gebracht. Erfunden wurde er in einem Schweizer Unternehmen, der J. Ochsner AG in Zürich. Noch heute sorgt die Firma mit ihren Produkten immer wieder erfolgreich für neue Massstäbe in der Kehrichtabfuhrtechnologie.
Damals, als sich der Staat noch nicht darauf kaprizierte, uns Abfallsammler neben der Grundgebühr mit einer zusätzlichen volumenabhängigen Lenkungsabgabe zu belasten, war der Ochsnerkübel eine patente Sache. Die normierten, feuerverzinkten Blecheimer verfügten alle über einen Klappdeckel, dessen Öffnungslasche mit einem Loch versehen war. Wo die Abfallentsorgung nach dem System Ochsner organisiert wurde, was bis in die Sechziger- und Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts fast überall der Fall war, sorgten eigens dafür geschaffene Vorschriften und Reglemente dafür, dass der Abfall ausschliesslich in Ochsnerkübeln vor die Haustüren gestellt werden durfte.
Jeder Kübel musste mit Zeitungspapier ausgekleidet sein – was ist daraus zu lernen?
Die rigorosen Vorschriften hatten ihren Grund: Das System Ochsner garantierte neben grösstmöglicher Hygiene für die Benutzer nämlich auch optimalen Komfort bei der Leerung der Kübel. Unter dem Stichwort «Ochsner (Entsorgungssystem)» beschreibt Wikipedia im Internet den raffinierten Mechanismus, der die Kehrichtabfuhr nicht nur sauberer, sondern auch einfacher und zeitsparender machte: «Die Kehrichtwagen des Systems besassen Schiebedeckel. Der Müllarbeiter hängte die Deckellasche des Ochsnereimers an einen Haken am Schiebedeckel. Bei der anschliessenden Hebelbetätigung öffnete sich der Eimer, kippte und entleerte seinen Inhalt in den Kehrichtwagen. In einem Arbeitsgang konnten so mehrere Eimer (einer pro Schieber) geleert werden.»
Die ebenso einfache wie geniale Erfindung wird im Bild von Kurt Wyss eindrücklich dargestellt. Und noch etwas könnte dem Betrachter dabei auffallen. Jeder Ochsnerkübel, der zur Leerung bereitsteht, ist mit Zeitungspapier ausgekleidet. Auch das war früher aus Hygienegründen Vorschrift. Beim modernen Bebbisack und allen anderen Einweg-Kehrichtsäcken erübrigt sich das natürlich. Daraus etwas zu lernen, dürfte nicht leicht sein. Ob ein direkter Zusammenhang zwischen dem Auflageschwund der Printmedien und dem Verschwinden der Ochsnerkübel besteht, lässt sich kaum wissenschaftlich erhärten. Zu denken gibt es trotzdem. Wer liest denn noch eine Zeitung, wenn er diese nach der Lektüre keiner sinnvollen Zweitverwendung mehr zuführen kann?
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.02.13