Der bekannte amerikanische Soziologe Richard Sennett sprach gestern an der Uni Basel mit Soziologin und Ehefrau Saskia Sassen über die «offene Stadt». Er plädierte für mehr Aufmerksamkeit beim Städtebau und für eine bessere Durchmischung der Quartiere. Der Auftritt liess jedoch Fragen offen.
Grosse Namen grosser Denker bürgen nicht unbedingt für grosse Vortragskunst. Das mussten die Organisatoren eines Vortrags des renommierten amerikanischen Soziologen-Paars Richard Sennett (71) und Saskia Sassen (65) erfahren, das gestern an der Universität Basel für einen regen Publikumsaufmarsch sorgte. Es handelte sich um eine Begleitveranstaltung zum 500-Jahr-Jubiläum des Basler Rathauses, die Wissenschaftler um den Basler Historiker Lucas Burkart organisiert hatten. Mehrere Basler Regierungsräte, sowie die Ständerätin Anita Fetz und der Grossratspräsident Christian Egeler waren gekommen. Und der Rektor der Uni Basel, Antonio Loprieno, liess es sich nicht nehmen, die Gäste aus den USA persönlich vorzustellen.
Sennett lehrt an der New York University und ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Soziologen überhaupt. Mit «Der flexible Mensch – die Kultur des neuen Kapitalismus» (1998) hat er einen veritablen Bestseller verfasst, der noch immer zu lesen lohnt. Darin kritisiert er fundiert und unter Anführung vieler Beispiele, dass der globale Kapitalismus immer mehr auf Kurzfristigkeit und Elastizität ausgerichtet sei. Während früher ein Arbeiter 40 Jahre bei der gleichen Firma beschäftigt war, wechselt heute ein Arbeitnehmer in seiner Karriere vielleicht 12 bis 15 mal die Stelle, und damit verbunden häufig auch den Wohnort. Dies widerstrebe dem menschlichen Charakter, der mehr auf Langfristigkeit und stabile Beziehungen ausgerichtet sei, lautet Sennetts Argument. Seine Werke zeichnen sich aus durch eine einfache Sprache und eine geschickte Verknüpfung von persönlichen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Fakten.
Die «offene Stadt»: Ein soziologisches Postulat gegen De-Urbanisierung
In seinem neusten Projekt hat sich Sennett nun der «offenen Stadt» (open city) verschrieben. Über dieses Thema referierten er und Saskia Sassen, Soziologieprofessorin an der Columbia University, in Basel. Ehefrau Sassen, gebürtige Niederländerin, sprach von Städten als «komplexen, aber inkompletten» Konglomeraten, die durch verschiedene Gefahren bedroht würden. Grosse Bürokomplexe führten beispielsweise zu einer De-Urbanisierung, da sie die Städte nicht mit Leben füllten. Verkehrsadern und technische Einrichtungen trennen urbane Flächen mehr, als dass sie diese verbinden, und schliesslich stelle auch die Migration für Städte eine Herausforderung dar.
Als Rezept, um diese Herausforderungen zu meistern, postulierte Sennett das Konzept der «offenen Stadt». Diese weist durchlässige Grenzen zwischen den Vierteln auf. Er empfahl zum Beispiel, Schulen nicht ins Zentrum eines Quartiers, sondern an den Rand zu stellen, um die soziale Durchmischung zu fördern. Zudem plädierte er dafür, einen Teil von Neubauten unvollendet zu lassen, um sie flexibel nutzen zu können.
«Offene Stadt» hinterlässt offene Fragen
Der Meisterdenker sprach mit dünner Stimme, er wirkte bei seinen Ausführungen oft fahrig und liess einige Fragen offen. So pries er grossherzig Basel als Beispiel einer «offenen Stadt», obschon auch hier die Vermögen und der Anteil ausländischer Bürger sehr ungleich über die Bevölkerung und die Quartiere verteilt seien. Ein echter Dialog (die Veranstaltung war als Dialogvortrag angekündigt worden) kam auch beim anschliessenden Zwiegespräch mit Saskia Sassen nicht zustande. Da fehlte schlicht ein Moderator, der den Referenten ein paar clevere Fragen gestellt hätte.
Bis zum Jahr 2015 will Sennett seine Gedanken zur «offenen Stadt» in einem Buch verarbeiten. Sein Interesse an Städtebau rührt auch aus persönlicher Erfahrung. Er wuchs in den vierziger Jahren im Armenviertel Cabrini Green in Chicago auf, also der Stadt, in der Barack Obama Jahrzehnte später als Gemeindearbeiter tätig war und schliesslich seine politische Karriere begann. Die monotone Architektur des Armenviertels führe zu einer Verarmung der Wahrnehmung seiner Bewohner, räumte Sennett später einmal ein. Der Aufstieg aus diesen Verhältnissen gelang ihm zunächst nicht über eine wissenschaftliche Karriere, sondern über die Musik. Er war ein erfolgreicher Cellospieler und komponierte eigene Stücke. Eine missratene Operation an der linken Hand zwang ihn dann aber, die Musik aufzugeben. In der Folge begann er, Soziologie zu studieren.
Sennetts Rezept gegen Ungleichheit: Kooperation und Austausch
Die Erfahrung sozialer Ungleichheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Sennett glaubt nicht daran, dass sich die sozialen Unterschiede mit der Zeit von selber nivellieren. Vielmehr hätten sich diese vielerorts verstärkt, wie er am Vortrag in Basel ausführte. In seinem vor zwei Jahren bei Hanser erschienenen Buch «Zusammenarbeit – was unsere Gesellschaft zusammenhält», empfiehlt er als Rezept gegen zunehmende Ungleichheit und Ausgrenzung die Kooperation – einen «Austausch, von dem alle Beteiligten profitieren». Solches Verhalten sei schon bei Schimpansen zu beobachten, die sich gegenseitig lausen, oder bei Kindern, die eine Sandburg bauen. Im Reich der Erwachsenen sei Kooperation zwar manchmal mühsam und schwierig. Es lohnt sich aber dennoch, sich daran zu versuchen, lautet das Credo von Richard Sennett.