Carlos Reyes sorgte in den Dreissiger- und Vierzigerjahren in Basel für Wirbel. Seine Weinlokale waren auch als Bordelle bekannt. Diese Geschichte aus der Unterwelt ist eine von 32 Biografien, die in der Ausstellung «Magnet Basel» gezeigt werden.
«Ich hatte dort geschlechtlichen Verkehr mit der Serviertochter und wurde krank (Tripper).» Diese ungewöhnliche Beschwerde ging 1939 bei der Polizei ein. Ziemlich unverblümt schilderte darin ein Herr S. seinen Besuch in der «Sonne». Der Schuldige war in den Augen des Freiers schnell gefunden: Carlos Reyes, der Wirt dieses Lokals an der Rheingasse.
Doch der Reihe nach: Lange vor dieser Tripper-Klage begann Reyes seine Gastrokarriere wie ein Musterschüler. Als Jugendlicher lernte er in Barcelona den Beruf des Glasgraveurs – bis es ihn mit 17 anno 1921 in die Schweiz zog. Zunächst lebte der junge Einwanderer in Solothurn, dann in Schönenwerd, wo er sich als Kellner in einer Weinstube seine Sporen abverdiente.
Zusammen mit seiner Ehefrau Margarita wollte er später in Basel auf eigenen Füssen stehen. Mit 28 bewarb er sich hier um ein Wirtschaftspatent. Um saubere Referenzen war er stets bemüht. So legte etwa der Gemeindeammann von Schönenwerd ein gutes Wort für ihn ein: Sein tadelloser Ruf erlaube es ihm, eine «ordentliche, ehrbare Wirtschaft» zu führen. Reyes mietete sich sich 1932 beim Barfüsserplatz ein und führte dort die «Spanische Weinstube» – gleich bei der heutigen «Bodega zum Strauss».
Raufbold versus Zechpreller
So weit, so unspektakulär. Nur zwei Jahre später aber geriet Carlos Reyes ins Visier der Behörden. Das belegen die Einträge im Strafregister. 1934 geriet er wegen einfacher Körperverletzung in Konflikt mit dem Gesetz, zudem meldete er mehrmals Angestellte seiner Beiz nicht an.
Manche Anschuldigungen gegen ihn – nicht selten mit einem fremdenfeindlichen Unterton – bewegten sich jedoch auf dünnem Eis. So beschwerte sich ein Gast namens Eglin bei der Polizei, Carlos Reyes habe ihn der Zechprellerei beschuldigt – und ihm dies mit einem Faustschlag klargemacht. Eglin verlangte, dass Reyes schnurstracks ausgewiesen werden müsse. Es könne ja nicht sein, dass er sich von einem Ausländer «ohne Grund von hinten» zusammenschlagen müsse.
Der Polizeirapport ist nüchterner: «Wer von den beiden recht hat, konnte nicht ermittelt werden.» Im Rapport steht nämlich, dass der Gast «nicht der harmlose Mensch» sei, wie er in seiner Beschwerde vorgab. Wegen Beschimpfung und übler Nachrede war Eglin nämlich bereits verurteilt worden. Er gab auch zu, in der Weinstube schon mehrmals Streit gesucht zu haben. Die anderen von der Polizei befragten Gäste waren der Meinung, dass Carlos Reyes ein anständiger Wirt sei. Mangels Beweisen biss Eglin bei der Staatsanwaltschaft auf Granit.
Als ein Gast aussagte, er hätte sein Geld «mit Weibern verbraucht», verwarnten die Behörden den Wirt.
Später wurde es dennoch brenzlig für Reyes, wenn auch aus anderen Gründen: Die neuen Kellnerinnen am Barfi wurden von einer ehemaligen Angestellten als «bekannte Dirnen» beschrieben. Sie sollen die männliche Kundschaft zum Alkoholkonsum animiert haben. Das gab Anlass zu sogenannten Erhebungen, sprich die Fremdenpolizei konnte sich auf Verdacht hin bei Nachbarn und Vermietern zum Lebenswandel des Ausländers erkundigen. Als ein Gast aussagte, er hätte sein Geld «mit Weibern verbraucht», verwarnten die Behörden den Wirt.
Obschon mit einem Bein im Rotlichtmilieu, gelang es Reyes, 1934 ein neues Lokal an der Rheingasse zu eröffnen. Eines mit einem heute noch bekannten Namen: das «Hotel zur Sonne» mit der dazugehörigen Beiz. Auch hier waren die Kellnerinnen dafür zuständig, die Kunden zu animieren – und tranken mit. Damals kam es auch zur Klage des besagten Herrn S., der sich in der «Sonne» einen Tripper holte. Wie könne es sein, dass der Spanier einfach so Bordelle unterhalten dürfe, fragte sich der Erkrankte. Erneut kam Reyes aber glimpflich davon, da es kaum weitere belastende Aussagen gegen ihn gab.
«Nicht einwandfrei scheinende Gäste»
Den Behörden war trotzdem bestens bekannt, was an der Rheingasse getrieben wurde. 1942 beobachtete der Detektiv Hossmann, dass Lokale wie der «Rheinkeller», «Zum Schwarzen Bären» und «Brauerzunft» und eben die «Sonne» Sexarbeiterinnen als «Lockvögel für den Umsatz» einsetzten: «Ein Gast, welcher eine solche Weinstube aufsucht, tut dies in wenigsten Fällen des Weines wegen, sondern, um etwas zu erleben», schrieb der Detektiv.
Dabei sah er keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen – ausser mit Bewilligungsentzug. Ein solcher wurde Reyes immer wieder angedroht, doch nie umgesetzt. In den Akten wird der Spanier als «entgegenkommend» bezeichnet. So gestand er ein, dass er «nicht einwandfrei scheinende Gäste» anlocke.
Die Anekdote mit dem Tripper machte anscheinend die Runde: Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als in Basel Truppen einquartiert wurden, verbot ein Major seinen Soldaten ausdrücklich, in der «Sonne» und im «Schwarzen Bären» zu verkehren. Wer bereits einmal in einem dieser Lokale war, sollte sich beim Arzt melden.
Der Geschlechtsverkehr koste dort zehn Franken und 1.50 Franken extra mit einem «Pariserstrumpf».
Die Polizei ging der Sache erneut nach und befragte Armeeangehörige. Im Rapport spart sie nicht mit Details: Der Geschlechtsverkehr koste dort zehn Franken und 1.50 Franken extra mit einem «Pariserstrumpf». Sexuelle Kontakte mussten aber im Restaurant selbst, hinter einer Zwischenwand, stattfinden, da die befragte Kellnerin kein Zimmer im Haus zur Verfügung hatte. Andere Dienstleistungen waren billiger: «Sie verlangte 50 Rappen von jedem, wenn sie ihr Milchgeschäft auspacken müsse», wird ein Gast zitiert.
Reyes behauptete, von all dem nichts zu wissen. Erneut wurde ihm mit Bewilligungsentzug gedroht. Obschon bekannt war, dass er eine – wie man heute sagen würde – Kontaktbar betrieb und somit in den Hinterzimmern seinen Gewinn machte, kam er noch einmal davon. Aus den Akten geht also hervor, dass beim Rotlichtgewerbe an der Rheingasse offenbar ein Auge zugedrückt wurde.
Ein nur halbwegs gelungener Neustart
Das Schmuddel-Image blieb an Reyes hängen. Nach dem Krieg zügelte er an die «Rhystube» am Blumenrain. Das wurde ihm zähneknirschend gestattet, wobei das Polizeidepartement mit ähnlichen «unerwünschten Begleiterscheinungen» rechnete.
Später zog der Spanier in ruhigere Gefilde und wollte sich anscheinend der «seriösen» Gastronomie widmen. Er übernahm den «Baslerhof» in Bettingen, dann die «Alte Waage» in Binningen.
Zum Verhängnis wurde ihm seine Rotlichtvergangenheit, als er sich in den Fünfzigerjahren einbürgern lassen wollte. Gute Referenzen dagegen konnte er kaum vorweisen. Der Bettinger Gemeindepräsident sagte etwa, Reyes sei Analphabet und keineswegs assimiliert. Andere sagten, sein Denken und Handeln könne man «keineswegs als schweizerisch» bezeichnen. Zu gut erinnerten sich die Leute an seine Weinstuben: Von «Unsittlichkeiten» in der «Sonne» war etwa die Rede.
Das Einbürgerungsgesuch von ihm und seiner Frau wurde schliesslich abgelehnt. Wie es mit dem Spanier weiterging, ist nicht bekannt. In den Akten tauchte er später nicht wieder auf.
Die Geschichte von Carlos Reyes ist nur eine Kostprobe aus der Ausstellung «Magnet Basel – Migration im Dreiländereck». Unter anderem werden dort anhand von Fremdenpolizei-Dossiers verschiedene Einwanderer-Biografien gezeigt.
Der italienische Kapitän, der mit seiner Segeljacht im Rheinhafen statt in Venezuela landet, der deutsche Stummfilm-Star, welcher auf der Flucht vor den Nazis in der Schweiz kein Asyl bekommt, der umtriebige Magier Sabrenno oder der japanische Artist, der in Basel einsam stirbt, sind nur ein paar Beispiele.
Die Ausstellung zu insgesamt 32 Lebensläufen ist vom 28. April bis zum 1. Oktober 2017 zu sehen. Sie ist über fünf Standorte verteilt: Staatsarchiv Basel, Museum für Wohnkultur, Museum.BL Liestal, Dreiländermuseum Lörrach und Theater Basel.