Spaziergang auf dem Wasserweg

Längst nicht jeder, den es in die Strömung treibt, muss mit dem Strom schwimmen: 1983 fotografierte Kurt Wyss den Ökonomen Silvio Borner beim Rheinschwumm.

(Bild: Kurt Wyss)

Längst nicht jeder, den es in die Strömung treibt, muss mit dem Strom schwimmen: 1983 fotografierte Kurt Wyss den Ökonomen Silvio Borner beim Rheinschwumm.

Die Geschichte hinter diesem Archivbild ist schnell erzählt: Um eine neuartige, wassertaugliche Kamera zu testen, brauchte Kurt Wyss nicht lange nach einem passenden Ort zu suchen. Praktisch vor seiner Haustüre floss der sommerlich aufgeheizte Rhein. Mit der Pfalz und dem Basler Münster war der postkartentaugliche Hintergrund gegeben und als passionierter Schwimmer fand sich mit dem Wirtschaftswissenschaftler Silvio Borner ein «Stuntman» der Spitzenklasse. Falls die Kamera hielt, was Wyss sich von ihr versprach, waren Top-Aufnahmen mit Seltenheitswert garantiert. Es kam wie gewünscht.

Bleiben wir in Gedanken noch ein paar Augenblicke am oder vielmehr im Wasser. Das freie Baden im fliessenden Gewässer hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Faszination gewonnen. Sicher ist diese Entwicklung neben der Aufwertung der Uferzonen nicht zuletzt auch dem Umstand zu verdanken, dass die Wasserqualität dank intensiven Bemühungen so weit gesteigert werden konnte, dass der Körperkontakt mit dem nassen Element im Normalfall dieses Jahr unbedenklich scheint.

Borner schwamm auch gegen den Strom

So fand dieses Jahr in Basel am 13. August wieder das Rheinschwimmen statt, an dem sich nach Angaben der Veranstalter rund 3000 Personen aller Altersstufen beteiligten. Sie alle stürzten sich am frühen Abend in den für die Schifffahrt gesperrten Rhein und liessen sich Kopf an Kopf rund 1,8 Kilometer «bachab» treiben, um am Ziel mit einer Urkunde und einer Erinnerungsmedaille beglückt zu werden.

Was treibt Menschen dazu, sich im Strom von Gleichgesinnten treiben zu lassen?

Daraus ergibt sich ein Gedanke, welcher den mehr oder minder geouteten Individualisten beim Anblick der träge treibenden Schwimmsäcke und ihrer hinterher crawlenden Besitzer fast zwingend (oder gar zwanghaft?) überfällt: Was um alles in der Welt treibt Menschen beiderlei Geschlechts, jeden Alters und jeder gesellschaftlichen Stellung dazu, regelmässig im Strom von Gleichgesinnten zu schwadern und sich, einfach so, treiben zu lassen? Noch dazu von schwierig einzuschätzenden Strömungen, die allenfalls (und auch dann nur kurz) bei Hochwasser ernsthaft hinterfragt werden?

Der streitbare, inzwischen emeritierte Wirtschaftsprofessor Silvio Borner wird darauf eine Antwort wissen. Zumindest virtuell hat er sich bekanntlich nie gescheut, gegen den Strom zu schwimmen. Die auch für uns Laien praktikable Lehre müsste dann wohl heissen: Wer gegen den Strom schwimmen möchte, tut das am besten dort, wo es die Strömung zulässt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 23.08.13

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