Sterneköche mit Bürozeiten

Kochen im Gourmethimmel ist ein Verschleissjob. Nicht wenige hochdotierte Küchenchefs wechseln deshalb irgendwann in die Spital- oder Altersheimgastronomie. So auch zwei Grössen der Basler Spitzenküche.

Sternenbeiz oder Altersheim-Restaurant: Chefkoch Jean-Claude Wicky reizt es, auch mit bescheideneren Zutaten kreativ zu kochen.

Jean-Claude Wicky hat sich mustergültig hochgekocht in der illustren Haute-Cuisine-Szene. 14 Jahre lang kochte der Elsässer im Basler Gourmet-Tempel Bruderholz (heute «Stucki»), zuletzt als Sous-Chef des legendären, 1998 verstorbenen Küchenkünstlers Hans Stucki. 2003 übernahm Wicky das aufstrebende Restaurant Cheval Blanc im frisch umgebauten Luxushotel Les Trois Rois.

Dann kam die Zäsur. 2006 war das. Und völlig überraschend.

Ausgezeichnet mit 17 Gault-Millau-Punkten und unmittelbar vor seinem ersten eigenen Michelin-Stern zog Wicky vom Basler Blumenrain, dem Standort des «Trois Rois», ins «Blumenrain» nach Therwil. Der Sternekoch wurde Küchenchef im gleichnamigen Altersheim.

Viele Köche steigen vom Gourmethimmel

Einen ähnlichen Weg scheint Manfred Roth eingeschlagen zu haben. Roth spielte viele Jahre lang eine Hauptrolle auf der obersten Wolke des Luxusgastronomie-Himmels. Er war Küchenchef des Hotels Victoria Jungfrau in Interlaken, er war auch Küchenchef des Hotels Mandarin Oriental Tokyo – ein Riesenbetrieb mit zwölf Restaurants, wovon gleich drei mit Michelin-Sternen ausgezeichnet sind. Preisgekrönt ist auch Roths Kochbuch «Küche der Emotionen».

Trotzdem steht sein Name heute im Organigramm des Universitätsspitals Basel. Seit 2011 leitet er dort den Hotellerie- und Gastronomie-Grossbetrieb.

Wicky und Roth sind keine Einzelfälle. «Es macht Schule, dass hochdotierte Köche in die Gemeinschaftsverpflegung wechseln», stellte die Fachzeitschrift «Hotelrevue» vor zwei Jahren fest, untermalt mit einer ganzen Reihe von Beispielen. Eine der Ursachen ist gemäss dieser Zeitschrift der verstärkte Wettbewerb unter den rechtlich verselbstständigten Kliniken und Heimen. Diese haben den «kulinarischen Mehrwert» als etwas Gewichtiges entdeckt, das man in die Waagschale werfen kann.

Der Trend liegt aber auch an den Köchen selber. An solchen, die nicht nur ihre Sossen, sondern auch ihr Pensum reduzieren wollen. So auch Jean-Claude Wicky: «Die Arbeit im ‹Les Trois Rois› brachte mich an meine Grenzen», erinnert er sich. Der ehrgeizige Hotelbesitzer und -erneuerer Thomas Straumann hatte ihn mit der Aufgabe betraut, das damals frisch eröffnete Restaurant Cheval Blanc zur absoluten Spitzenadresse aufsteigen zu lassen.

«Ich war froh, wenn ich es schaffte, am selben Tag nach Hause zu kommen, an dem ich zur Arbeit gefahren war.»

Jean-Claude Wicky

Für Wicky hiess das: 16-Stunden-Tage. Garantiert. «Ich war froh, wenn ich es schaffte, am selben Tag nach Hause zu kommen, an dem ich zur Arbeit gefahren war», sagt er. Dazu brachte ihn der Druck, Punkte und Sterne zu sammeln, um Freizeit und Schlaf.

Sein Wechsel in die Altersheimküche sei letztlich aber nicht ein Entscheid gegen die Spitzengastronomie gewesen: «Ich will ganz einfach mehr Zeit haben für meine Tochter», sagt der 52-Jährige in seinem fröhlich beschwingten Elsässer Dialekt.

Mittlerweile arbeitet Wicky nach einem Intermezzo als Chefkoch des erlauchten «Club de Bâle» an der Schifflände wieder in einem Alterszentrum, neu im Zentrum Bodenacker in Breitenbach. Zur Berühmtheit steigt man dort nicht auf, aber das scheint Wicky nicht zu stören. «Arbeitszeiten von 7.30 bis 17 Uhr sprechen für sich», sagt er.

Hohe Ansprüche, betont Wicky, könne er aber auch am neuen Ort befriedigen. Zu diesem gehört auch ein öffentliches Restaurant und ein Cateringbetrieb. Der grosse Unterschied: Im Restaurant s Zäni kostet das Menü nicht 180, sondern 40 bis 50 Franken. «Es muss ja nicht immer bretonischer Hummer sein, man kann auch mit einfacherem Fleisch kreativ kochen», sagt Wicky. Und auf das komme es letztlich an. «Meine Gäste hier merken, dass Liebe hinter der Arbeit in der Küche steckt, und zeigen sich sehr dankbar.»

Schürze gegen Schlips

Anders verlief die Laufbahn von Manfred Roth, die von der Kochlehre über die Luxusgastronomie zur Spitalküche führte. «Um mir möglichst viele Optionen offenzuhalten, habe ich in jungen Jahren eine Weiterbildung als Diätkoch absolviert, und jetzt kann ich das nutzen», sagt der Chef der Gastronomie und Hotellerie des Basler Universitätsspitals.

Manfred Roth, heute Chef Gastronomie und Hotellerie im Universitätsspital Basel.

In dieser Funktion ist Roth selbstverständlich mehr Manager denn Küchenhandwerker. In seinen Küchen arbeiten rund 100 Personen. Insgesamt sorgen gut 300 Beschäftigte in der Patientenverpflegung und den vier Restaurationsbetrieben dafür, dass die Patienten, Gäste und Mitarbeiter zu ihren Speisen kommen.

An Erfahrung mit Betrieben in dieser Grössenordnung fehlt es Roth gewiss nicht. Für das Hotel Mandarin Oriental Tokyo mit seinem Dutzend Spitzenrestaurants und gegen 140 Beschäftigten leitete er den gesamten Verpflegungssektor. Auf Roth hatte dies offensichtlich alles andere als eine abschreckende Wirkung. «Als ich in die Schweiz zurückkehrte, wollte ich keinen kleinen Betrieb übernehmen», sagt er. «Also kam mir das Angebot im Unispital gelegen.»

«Ein Nine-to-five-Job war nicht das, was mich reizte. Ich mag besondere Herausforderungen.»

Manfred Roth

In der Spitalküche wird mit anderen Kellen angerichtet als bei der Haute Cuisine. «Aber gutes Essen muss nicht teuer sein», gibt sich Roth überzeugt. «Letztlich stehen am Ende jeder Wertschöpfung Menschen mit bestimmten Erfahrungen», sagt er. Und fügt vieldeutig hinzu: «In einem Michelin-Restaurant fotografieren die Gäste ihr Essen und stellen die Fotos ins Netz, im Spital stehen andere Bedürfnisse im Vordergrund.»

Im Spital muss der Chef der Küchen nicht bis spät in die Nacht präsent sein. Anders als bei Wicky stand bei Roth aber nicht die Aussicht auf geregeltere Arbeitszeiten im Vordergrund: «Ein Nine-to-five-Job, den ich hier sowieso nicht habe, war nicht das, was mich reizte; ich mag besondere Herausforderungen», sagt er.

Und die hat er im Unispital. Gegenwärtig ist er dabei, das gesamte Verpflegungskonzept umzustellen. Ziel ist eine flexiblere und individuellere Bedienung der Gäste. «Die Patienten sollen dann ihr Essen bestellen können, wenn sie Hunger haben. Wie in einem Restaurant.»

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