«Stucki»-Köchin Tanja Grandits spricht im Interview über den wunderbaren Geschmack zerlaufener Butter, über Leute, die sich zu Smoothies zwingen, und über ihr Leben als Spitzenköchin.
Das Baselbiet zelebriert das Geniessen – zum vierten Mal findet vom 15. bis 25. September die Genusswoche mit Degustationen und Märkten statt. Mit dabei ist auch Spitzenköchin Tanja Grandits. Sie kocht – bereits am 14. September – in den Merian-Gärten ein Menü ohne tierische Zutaten.
Tanja Grandits, für den Anlass «Experimentelle Gastronomie» kochen Sie ein rein pflanzliches Menü. Finden Sie die vegane Küche interessant?
Nein (lacht).
Sie sind ehrlich.
Wir bieten im «Stucki» auf Voranmeldung vegane Menüs an, und ich kreiere auch immer wieder per Zufall pflanzliche Menüs, beispielsweise ein Gemüse-Curry mit Kokosmilch. Es kann zur Abwechslung auch herausfordernd sein, sich auf pflanzliche Zutaten zu beschränken. Aber grundsätzlich entspricht die vegane Küche nicht dem Geschmack, den ich suche.
Wieso nicht?
Es gibt so gute tierische Zutaten, zum Beispiel Butter. Wenn man sie braun werden lässt und übers Gemüse tröpfelt, gibt das so einen wunderbaren Geschmack. Darauf möchte ich nicht verzichten.
Die Leute fahren aber auf vegane Küche ab.
Ja, es herrscht ein richtiger Überhype. Das Essen wird dabei fast zur Religion, das ist unnatürlich!
Inwiefern?
Die Menschen merken gar nicht mehr, worauf sie Lust haben, sondern essen nach Plan. Sie sagen sich: «Jetzt muss ich diesen grünen Smoothie trinken, aber Butter oder Weissmehl darf ich mir nicht erlauben.» Das macht mir Sorgen, vor allem wegen der Kinder.
Ist es nicht gut, wenn Kinder sich gesund ernähren wollen?
Ich bin keine Ärztin, aber wenn bereits Zehnjährige sagen, dass sie nicht zu viele Kohlenhydrate essen dürfen, ist das verrückt. So lernen sie nie, was sie gerne mögen und wie man Essen geniesst.
Wie geniesst man denn?
Indem man isst, worauf man Lust hat. Nicht jeder Mensch braucht dasselbe. Aber der Körper sagt einem schon, was er braucht.
«Mäh, Lämmeli, mäh.» Tanja Grandits kocht im Stucki auch Fleisch. Berglamm mit Veilchenlack, Wacholder-Gnocchi und Cassis-Artischocken. (Bild: Michael Wissing BFF)
Wenn man Lust hat auf Fleisch, braucht der Körper dessen Nährstoffe?
Genau. Aber essen ist auch essenziell für das Gemüt und das Gehirn. Wenn man geniesst, kommt man zur Ruhe und fühlt sich zufrieden. Ich habe sogar gehört, dass Geniessen die beste Prävention gegen Alzheimer sei. Der Körper und die Sinne sind dann offen und empfänglich für Eindrücke von aussen.
Aber Geniessen ist doch fast schon Pflicht! Die Baselbieter Genusswoche heisst Genusswoche, Basel Tourismus preist den Genuss, Kochsendungen boomen und Spitzenköchinnen wie Sie gehören zu den Promis.
Ja, Essen ist das neue Luxusobjekt. Die Leute wissen alles und haben alles. Früher konnte ich in meinen Kochkursen den Leuten noch Profikniffs und Geräte zeigen, die sie nicht kannten. Heute wissen sie sogar, was ein Pacojet ist.
«Die Leute kochen gar nicht mehr, sondern nehmen vor dem Fernseher Junkfood zu sich. Möbelgeschäfte verkaufen mittlerweile viel weniger Esstische, da die Leute nur noch auf dem Sofa essen.»
Ähm, was ist ein Pacojet?
Ein Mixer für Glace. Heutzutage haben die Leute so einen zu Hause, Wahnsinn. Und trotzdem verliert das Essen an Wert.
Inwiefern?
Indem die Leute gar nicht mehr kochen, sondern nur noch Junkfood vor dem Fernseher zu sich nehmen. Möbelgeschäfte verkaufen mittlerweile viel weniger Esstische, da die Leute nur noch auf dem Sofa essen.
Das ist jetzt aber ein Widerspruch – man hat Kochgeräte zu Hause, isst aber Fertigpizza auf der Couch?
Nein, das läuft parallel. Ich beobachte drei verschiedene Extreme. Da sind erstens, wie gesagt, die religiösen Diätler. Zweitens gibt es Leute, meistens Männer, die am Wochenende Zehngänger kochen, und drittens Menschen, die gar nicht mehr kochen.
Ist es eine Frage des Geldes, ob man zur Junkfood- oder zur Luxusfraktion gehört?
Diese Frage treibt mich auch um. Nicht alle können bei mir im Sterne-Restaurant essen, deshalb sind mir auch meine Kochbücher wichtig, dort mache ich meine Rezepte allen Leuten zugänglich. Denn Fakt ist: Auch mit wenigen Mitteln kann man tolle Sachen machen. Ein gut schmeckendes Rüebli ist ein Luxusprodukt, das fast nichts kostet!
Zuerst wollte Tanja Grandits Chemikerin werden, dann machte sie mit 23 Jahren eine Kochlehre. (Bild: Donata Ettlin)
Aber wenn man beim Essen fernsieht, schmeckt man das Rüebli gar nicht.
Genau. Oder wenn man immer alles nur durch die Handykamera betrachtet.
Sprechen Sie jetzt von «Foodporn»?
Ja, auch bei mir im «Stucki» sehe ich das. Kaum sind die Teller auf den Tischen, werden sie fotografiert und die Bilder auf Facebook oder Instagram geteilt.
«Die Sinne verkümmern, wenn man immer sofort das Handy hervornimmt.»
Das ist doch gute Werbung für Sie.
Klar, das Interesse an meinem Essen freut mich. Aber wie wäre es denn, wenn man das Handy beiseite legt und die Farben und Formen auf dem Teller in Ruhe betrachtet? Und dann am Menü riecht, eine Pause macht, den ersten Bissen nimmt und wahrnimmt, wie er schmeckt? Das klingt abgedroschen, aber die Sinne verkümmern, wenn man immer sofort das Handy hervornimmt.
Installation mit Nährwert: Hummer-Fenchel-Blüten-Tempura mit Avocado-Sencha-Creme. (Bild: Michael Wissing)
Wie essen denn Sie?
Ich bin ein schlechtes Vorbild. Wir essen im «Stucki» zwar zweimal täglich warm. Es ist mir wichtig, dass mein Team ein schönes Fleisch oder einen Fisch und viel Gemüse kriegt. Ein Koch sollte gut essen.
Dann sind Sie doch ein gutes Vorbild.
Nein, unter der Woche esse ich im Stehen an meinem Arbeitsplatz, für mich allein. Das ist meine halbe Stunde des Tages, in der ich in Ruhe nachdenken kann und mit niemandem schwatzen muss.
Sind Sie gestresst?
Nein, ich bin ein sehr ausgeglichener Mensch, schon seit ich ein Kind war. Und ich bin glücklich – mein Beruf ist meine Leidenschaft, das ist für mich gar nicht wirklich arbeiten.
Wirklich? Der Druck in der Sterne-Küche ist enorm, es kommt immer wieder vor, dass Chefköche sich das Leben nehmen, weil sie so grosse Angst haben, Sterne oder Punkte zu verlieren.
Ich glaube, ich bin einfach ein starker Mensch. Angst habe ich eigentlich nie.
Sie haben 2 Michelin-Sterne und 18 GaultMillau-Punkte, Peter Knogl vom «Cheval Blanc» hat 3 Michelin-Sterne und 19 GaultMillau-Punkte, das Maximum. Weckt das den Gewinnerinstinkt in Ihnen?
Nein, Peter ist Peter und ich bin ich. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine Frau bin, aber Konkurrenzkampf liegt mir fern. Ich brauche keine 19 Punkte.
Aber es würde Sie schon reuen, wenn Sie einen Punkt oder Stern verlieren würden, oder?
Ja, klar. Die Auszeichnung freut mich, auch für mein Team. Sie sind stolz, im Stucki zu arbeiten. Kürzlich war ich am Foodsymposium «Mad» in Kopenhagen. Es ist ein gutes Gefühl, an eine solche Veranstaltung zu gehen und zu wissen, dass man zu den Besten gehört.
Und Sie haben ehrlich keine Angst, das zu verlieren?
Nein, wir sind ein so gut eingespieltes Team, meine Sous-Chefs und mein Pâtissier sind beide schon über acht Jahre dabei.
Wie machen Sie das? In vielen Küchen ist der Umgangston rauer als auf der Baustelle, und die Angestellten wechseln ständig.
Ich möchte, dass meine Leute in meiner Küche glücklich sind, sodass sie entspannt und konzentriert arbeiten können. Deshalb setze ich die Hierarchie nicht auf Biegen und Brechen durch. Mich dünkt aber, in anderen Betrieben wird es auch besser. Die Köche kriegen heute mehr Anerkennung als früher, das hilft.
«Ich sage ganz klar, was ich will. Aber dafür muss ich niemanden anschreien und beschimpfen.»
Respektieren Ihre Angestellten Sie, wenn Sie so nett sind?
Ich bin keine Schlaftablette, sondern der Chef. Ich sage ganz klar, was ich will. Aber dafür muss ich niemanden anschreien und beschimpfen, das ist der Unterschied.
Und wenn Sie die Nerven verlieren?
Ein Chef muss Haltung bewahren, ich verliere die Nerven nicht. Kürzlich habe ich mal mit dem Fuss aufgestampft, da ich etwas zubereiten wollte und zu wenig Platz in der Küche hatte. Aber weiter gehe ich nicht.
Tanja Grandits möchte, dass ihre Leute in der Küche glücklich sind. (Bild: Donata Ettlin)
Im Jahr 2014 wurden Sie «Koch des Jahres», als erste Frau in der Schweiz. Damals sagte Urs Heller, der GaultMillau-Chefredaktor, viele Frauen hätten Ihr Talent, aber keine Ihre Power. Stimmt das?
Was stimmt ist, dass ich so eine Art Powerknopf habe. Die Energie geht mir nie aus, ich habe immer Ideen und brauche wenig Schlaf. Aber ich denke nicht darüber nach, ob ich jetzt als Frau besonders viel erreicht habe, und musste nie ellbögeln.
Viele Frauen fürchten, dass sie zu wenig Zeit für ihre Kinder haben, wenn sie Karriere machen.
Ich habe meine zehnjährige Tochter Emma immer um mich. Nach der Schule kommt sie in die Küche, am Nachmittag habe ich frei, am Sonntag und am Montag den ganzen Tag. Und das ist dann Nettozeit: Ich muss nicht waschen oder putzen, dafür habe ich Angestellte.
Sind Sie dann in Gedanken nicht bei Ihrem nächsten Menü oder Kochbuch?
Sicher nicht. Wenn ich mit meiner Tochter bin, bin ich mit ihr. Ich denke sowieso nie an die Zukunft, länger als eine Woche kann ich nicht vorausplanen. Wenn Leute mich fragen, was ich an Silvester koche, greife ich mir an den Kopf. Ich weiss doch noch nicht, wie ich mich dann fühle und welche Zutaten ich haben werde.
Ihr Menü in den Merian-Gärten soll experimentell werden, wie es im Programm heisst. Was kochen Sie dort?
Das habe ich mich heute Morgen auch gefragt.
Sie wissen es noch nicht?
Nein, aber wenn es dann soweit ist, werde ich es wissen.
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15. bis 25. September, Baselbieter Genusswoche (siehe Programm).
14. und 15. September, 19 bis 23 Uhr, grosses Gewächshaus Merian-Gärten: Steinbeissers Experimentelle Gastronomie mit Tanja Grandits, 275 Franken. Reservieren: info@steinbeisser.org