Über das Internet teilen Menschen Autos und Wohnungen. Jetzt sind ihre Küchen an der Reihe. Ein Frontalangriff auf die Gastronomie.
Die Sharing Economy ist in aller Munde. Teilen ist cooler als Besitzen, heisst das Mantra. Am Anfang der Entwicklung stand das Carsharing. Dann folgte der Zimmervermittler Airbnb und die Taxi-App Uber.
Inzwischen gibt es einen neuen Trend: die geteilte Küche. Wer beim Städtetrip nicht in ein touristisches Restaurant gehen will, bucht beispielsweise auf EatWith.com ein Dinner beim lokalen Hobbykoch seiner Wahl. Das Start-up erlaubt dem Nutzer, seine Kochfertigkeiten für ein Zubrot mit anderen zu teilen. Der Gast bekommt dafür ein feines Mahl kredenzt. «Eat like a Local», lautet das Motto.
Wobei lokal oft relativ ist: Die Homepage von EatWith sieht aus wie eine multikulturelle Speisekarte: Im Pariser Stadtteil Belleville steht ein dreigängiges, veganes, asiatisches Menü zur Auswahl, in Zürich bietet eine junge Dame usbekische Gerichte an und in Berlin offeriert ein Globetrotter orientalische Küche.
Nicht preiswerter als Restaurants
Neben der Beschreibung des Gerichts gibt es auch Informationen über den Koch – schliesslich will man ja wissen, bei wem man zu Hause einkehrt. Das Dinner kann im Voraus reserviert werden, die Preise variieren zwischen 20 und 50 Euro. EatWith behält 15 Prozent des Preises als Provision ein.
Verglichen mit Restaurants ist das Essen nicht gerade günstig. Aber dafür werden die kulinarischen Genüsse mit Erzählungen des Kochs garniert. Der Gast kann online eine Bewertung abgeben.
Gegründet wurde EatWith 2012 von den israelischen Geschäftsleuten Guy Michlin und Shemer Schwarz. Die Idee kam Guy Michlin im Sommerurlaub auf Kreta: Statt in einer der überfüllten Tavernen zu essen, bekam er die Gelegenheit, bei Einheimischen zu speisen. Michlin war so begeistert, dass er daraus ein Geschäftsmodell entwickelte. Auf einer Papierserviette notierte er: «Bringing People Together One Meal At A Time».
Mit seinem Freund Schwarz gründete er ein Portal für Social Dining, das Touristen und Locals verbinden soll. Was dann folgte, ist die Geschichte eines eindrucksvollen Aufstiegs. Das Unternehmen hat heute Büros in Tel Aviv, Barcelona und New York. 500 Köche in 160 Städten aus über 30 Ländern bieten ihre Dienste auf EatWith.com an. Es ist eine globale Kochgemeinschaft.
Jeder Bewerber wird intensiv geprüft
Das Start-up unterzieht seine Bewerber einer strengen Auswahlprozedur: Bewerbungsgespräch, Skype-Tour und, wenn möglich, ein Probeessen. «Wir schauen auf alles: Wie authentisch der Ort ist, wie gut das Essen ist, wie sauber die Räume und wie leidenschaftlich der Gastgeber ist», teilt Pressesprecherin Naama Shefi auf Anfrage mit. Nur drei bis vier Prozent der Bewerber werden zugelassen. So will das Unternehmen eine gewisse Qualitätskontrolle sicherstellen. EatWith haftet mit einem Garantierahmen von einer Million Dollar für seine Köche.
Das Start-up beschäftigt 18 Mitarbeiter und hat seinen Hauptsitz nach San Francisco verlegt. Dort, wo die Vordenker der Digitalökonomie schon an neuen Konzepten feilen. Im September erhielt EatWith vom Investor Greylock Partners eine Kapitalspritze in Höhe von acht Millionen Dollar. Angaben zu Umsatz und Gewinn will das Unternehmen aber nicht machen.
Konsumenten sind auch Produzenten
Neben EatWith gibt es eine Reihe weiterer Kochplattformen im Netz, zum Beispiel das amerikanische Start-up Feastly (zu Deutsch: Festschmaus). Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei EatWith: Auf der Website wählt man ein gewünschtes Menü aus und bucht online. Von glutenfreien Gerichten bis hin zu indonesischer Küche ist für jeden Geschmack etwas dabei. Allerdings ist die Preisspanne etwas grösser als bei EatWith – es geht bis 200 Dollar.
Feastly ist bislang nur in vier Städten in den USA vertreten, kann aber auf namhafte Wagniskapitalgeber verweisen – etwa Tim Draper, der schon früh in Skype investierte. Auch das zeigt: Die Koch-Plattformen avancieren zu wichtigen Spielern in der Sharing Economy. «Die Konsumenten werden zu Produzenten und umgekehrt», sagte Feastly-Gründer Noah Karesh dem Magazin «Collaborative Consumption».
Der Ökonom Jeremy Rifkin nennt diese Leute «Prosumenten» – man ist Koch und Kunde gleichzeitig. So wie man bei Uber zum Taxifahrer und bei AirbnB zum Hotelier wird, wird man bei EatWith zum Küchenchef.
Essen in der Banjo-Fabrik
Dinner Lab verfolgt einen anderen Ansatz: Das Start-up organisiert Festessen an einzigartigen Orten, etwa auf einem Helikopter-Landeplatz oder in einer Banjo-Fabrik. Das Menü wird zum Teil von Sterneköchen zubereitet und kann online reserviert werden. Dinner Lab bedient das Oberklasse-Segment. Die Preise für das exklusive Dinner-Event reichen bis zu 300 Dollar.
Dinner Lab wurde 2012 in New Orleans gegründet. Inzwischen ist das Start-up in allen US-Grossstädten präsent. 50 Mitarbeiter arbeiten für das Unternehmen. Mit der Expansion ist der Umsatz exponentiell gestiegen. Wurden 2012 noch 100’000 Dollar erwirtschaftet, stieg der Umsatz 2013 auf 1,8 Millionen Dollar. Für das aktuelle Jahr werden 15 Millionen Dollar erwartet. Bis dahin hofft das Unternehmen profitabel zu sein. Dinner Lab will weiter expandieren und hat erst vor kurzem 2,1 Millionen Dollar frisches Kapital bekommen.
Flexibel zum Erfolg
Das Erfolgsrezept lautet: Daten. Über 15’000 Feinschmecker haben schon bei Dinner Lab gespeist. Mit einer ausgeklügelten Software analysiert das Start-up die Feedback-Bögen und Kommentare im Netz und weiss so, was seine Kunden wollen. Dinner Lab plant bald ein stationäres Restaurant zu eröffnen, in dem die Crowd im Netz das Menü bestimmt.
«Ich brauche keinen Restaurant-Kritiker von der ‹New York Times›, der mir erzählt, was gut oder schlecht ist», sagte CEO Brian Bordainick selbstbewusst. «Wir haben keine Angst, einen Chef nach ein paar Monaten zu entlassen oder ein Menü komplett über den Haufen zu werfen.»
Vielleicht ist es diese Flexibilität und auch Frivolität, die Start-ups wie Dinner Lab oder EatWith erfolgreich machen. Sie attackieren die Gastronomie frontal. Es ist eine Parallele zur Hotellerie oder zum Taxigewerbe: Auch dort tobt ein Kampf zwischen etablierten Unternehmen und neuen Wettbewerbern. Dinner Lab und EatWith sehen sich als «Airbnb der Gastronomie».
Wenn Touristen bei Privaten übernachten und essen, schrumpfen die Gewinne der Reiseanbieter. Es droht ein Verdrängungswettbewerb.
Airbnb ist mittlerweile mehr wert als die Hotelkette Hilton. Der Zimmervermittler zahlt keine Steuern – was vielen Hoteliers ein Dorn im Auge ist. Bei EatWith muss der Gastgeber die Steuern an den Fiskus abführen – nach dem jeweiligen Landesrecht. «Jeder Gastgeber ist allein verantwortlich für rechtliche Fragen und Steuern», heisst es bei EatWith.
Ob er das im Einzelfall tut, steht auf einem anderen Tablett. Das Unternehmen ist so fein raus und kann seine Verantwortung auf die Köche abwälzen. Deren rechtlicher Status ist ungeklärt und dürfte noch am ehesten mit einem Franchisenehmer zu vergleichen sein. Haftbar kann man die Zentrale für etwaiges Fehlverhalten der Gastgeber wohl nicht machen.
Zusammen mit Airbnb könnten Share-Meal-Plattformen wie EatWith die Reisebranche durcheinander wirbeln. Wenn immer mehr Touristen bei Privaten übernachten und bei Locals essen, schrumpfen die Gewinne der Reiseanbieter. Die etablierten Reiseveranstalter und Gastronomen haben bisher noch kein Mittel gegen den gemeinschaftlichen Konsum gefunden. Es droht ein Verdrängungswettbewerb.
Reisebranche unter Druck
Der Ökonomieprofessor Mark J. Perry von der University of Michigan-Flint sagt im Gespräch mit der TagesWoche: «Die Newcomer werden die Reisebranche zerstören und existierende Geschäftsmodelle von Restaurants und Hotels bedrohen». Die Sharing Economy wird noch manchem Restaurantbetreiber bitter schmecken.