Nur wer zuhört, kann verstehen

Im Streit um die «Negro»-Gugge und #MenAreTrash übertönt das Wutgebrüll die Argumente. So ist keine Diskussion möglich. Ein deutliches Zeichen, dass wir uns dringend über Rassismus und Sexismus unterhalten müssen.

Mit einer Podiumsdiskussion versucht die TagesWoche, den Dialog jenseits von gegenseitigen Beschimpfungen – hier die miesen Sexisten, dort die frustrierten Emanzen – in Gang zu setzen.

In alten Zeiten kam es vor, dass die Überbringer unerfreulicher Botschaften getötet wurden. Heute leben wir in einer viel zivilisierteren Gesellschaft. Zumindest bringen wir in der Regel keine Menschen mehr um, nur weil sie mit Botschaften kommen, die uns nicht passen. Stattdessen versuchen wir oftmals, diese Leute mundtot zu machen.

Zu diesem Zweck verfügen wir über ein breites Arsenal: Beschimpfungen und Drohungen, Shitstorms und Ablenkungsmanöver. Das Ziel ist immer dasselbe: Wenn wir die Überbringerin fertigmachen, dann müssen wir uns nicht mit ihrer Botschaft beschäftigen.

https://tageswoche.ch/allgemein/fuer-rassismus-sind-immer-rassisten-verantwortlich/

Dieser Mechanismus war gerade wieder zu beobachten, nachdem einige Menschen sich über Name und Emblem der Gugge «Negro-Rhygass» empört hatten. Schnell hiess es, der Erste der Empörten, der zu den Medien rannte, sei ein Student, womöglich gar nicht aus Basel. Voilà, ein Feindbild: Von so einem müssen wir uns doch nicht sagen lassen, wir seien Rassisten.

Dass auch Leute, die keine Rassisten sind, rassistische Stereotype verbreiten können, war für viele schon zu viel der Differenzierung. Es kam zur Eskalation.

In Kommentarspalten und sozialen Medien tobte der Mob. Fasnächtler organisierten einen Solidaritätsmarsch für die Gugge. «Negro-Rhygass» selber nahm nicht am Umzug teil, dafür kamen ein paar Rechtsextreme. Der Solidaritätsmarsch provozierte wiederum eine Gegendemo, die «mit rassistischen Traditionen brechen» wollte. Die Positionen waren bezogen, das Terrain war abgesteckt, ein Austausch unmöglich.

Auch die lokalen Medien taten sich schwer mit der Kritik. So feierte der Ex-BaZ-Journalist Christian Keller auf seinem neuen Portal «Primenews» den Solidaritätsmarsch als «Aufstand gegen die Gesinnungspolizisten» und liess Komiker Almi über «Idioten» ablästern.

Immerhin: Sein Stellvertreter Oliver Sterchi entgegnete ihm umgehend, ein  Journalist sollte stets eine gewisse Distanz wahren und nicht «im Chor der Empörten mitsingen». Zudem kritisierte er die «Wagenburg-Mentalität» vieler Fasnächtler: «Statt sich auf eine Diskussion einzulassen, verschanzen sich die besorgten Bürger in den Schützengräben des bedrohten Abendlandes und schiessen von dort auf alles, was sie als Bedrohung ihrer Identität wahrnehmen.»

Wenn man Kritikerinnen und Kritiker attackiert, muss man sich nicht mit der Kritik beschäftigen.

Die «bz Basel» sah im Protest eine Attacke gegen die Fasnacht und zog zu deren Verteidigung geschlossen in die Wagenburg. Chefredaktor David Sieber befand in einem Kommentar, die Selbstgerechtigkeit der Rassismus-Kritiker schade der Sache. «Es entsteht kein reflektierter Diskurs über Alltags-Rassismus und eingefahrene Ansichten. Statt Erkenntnisgewinn sind verhärtete Fronten das Ergebnis.» Zudem fand Sieber, «Scheingefechte um Guggennamen und -logos» würden nur die Rassisten in ihren Ansichten bestärken.

Was soll das heissen: Wer ein rassistisches Logo kritisiert, fördert den Rassismus? Wer so verdreht argumentiert, drückt sich um eine inhaltliche Auseinandersetzung.

Klar: Wenn es um die Basler Fasnacht geht, verlieren auch kluge Menschen, die normalerweise einen Sinn für gesellschaftliche Probleme haben, den Kopf. Frau Fasnacht ist eine heilige Kuh und darum wird Kritik an einer Gugge schnell als Generalangriff auf die Fasnacht an sich verstanden. Ein Sakrileg. Und doch folgt die Auseinandersetzung um die «Negro»-Gugge einem Schema, das immer und immer wieder zu beobachten ist, wenn es um Rassismus geht – oder auch um Sexismus.

Im Schatten der «Negro»-Diskussion sorgte in den letzten Tagen auch der Twitter-Hashtag #MenAreTrash für Aufregung. Die Urheberinnen wollten damit gegen Gewalt an Frauen protestieren. Doch der Slogan «Men Are Trash» – «Männer sind Müll» – lud die angegriffene Seite geradezu ein, den Urheberinnen genüsslich bis aggressiv Menschenverachtung und Männerfeindlichkeit unter die Nase zu reiben.

https://tageswoche.ch/gesellschaft/menaretrash-maenner-wollen-einfach-nicht-ueber-gewalt-gegen-frauen-reden/

Das Resultat ist hüben wie drüben dasselbe. Wenn man Kritikerinnen und Kritiker attackiert, muss man sich nicht mit der Kritik beschäftigen. Dabei sind Alltagsrassismus und die alltägliche Gewalt gegen Frauen zwei Themen, in denen dringender Diskussions- und Handlungsbedarf besteht.

Ein erster Schritt wäre es, die Kritiker zu Wort kommen zu lassen. Bevor weisse Basler sich darüber beklagen, sie würden als Rassisten hingestellt, sollten wir Leute mit dunkler Haut fragen, was das Logo von «Negro-Rhygass» bei ihnen auslöst. Darum haben wir mit dem Basler Musiker Naim Mbundu gesprochen, der sich als einer der Ersten auf Instagram zu diesem Thema geäussert hat.

https://tageswoche.ch/form/interview/was-stoert-sie-am-emblem-von-negro-ryhgass-naim-mbundu/

Zudem haben wir eine Podiumsdiskussion organisiert. Dort wollen wir nicht darüber reden, ob die gesamte Basler Fasnacht rassistisch ist. Das ist sie nämlich nicht. Uns interessiert, warum es so schwierig ist, über heikle Themen vernünftig zu diskutieren. Und wir wollen versuchen, einen Dialog jenseits von gegenseitigen Beschimpfungen – hier die miesen Sexisten, dort die frustrierten Emanzen – in Gang zu setzen.

Einfach ist das nicht. Kaum hatten wir die geplante Podiumsdiskussion publik gemacht, hagelte es Kritik. Tenor: Die Veranstaltung sei einseitig besetzt und die TagesWoche sowieso voreingenommen. Gewiss: Wir stehen für eine klare Haltung gegen Sexismus und Rassismus. Und auch wir haben blinde Flecken. Vor allem aber ist es nicht unsere Aufgabe, Leuten eine Plattform zu bieten, die gegen Frauen und Ausländer hetzen. Unsere Grundsätze stehen seit der Gründung der TagesWoche fest, für alle öffentlich einsehbar: Wir stehen für eine «Gesellschaft, die vielfältig, tolerant und offen ist».

https://tageswoche.ch/politik/alles-sexisten-und-rassistinnen-warum-kennt-unsere-streitkultur-nur-noch-schwarz-und-weiss/

Zu unserem Podium haben wir zwei Frauen mit Migrationshintergrund sowie einen dunkelhäutigen Musiker eingeladen, dazu zwei Weisse: einen Rassismusexperten und einen Journalisten von «Telebasel».

Das ist ungewohnt. Selbst bei Diskussionen über Rassismus ist es üblich, dass lauter Weisse miteinander reden, wie im Sonntags-Talk von «Telebasel» zur «Negro»-Affäre. Bloss fällt das den einen gar nicht erst auf und andere kritisieren es nur leise. Geht es den Kritikern unserer Veranstaltung wirklich um die Ausgewogenheit? Oder ist die Besetzung des Podiums bloss ein Vorwand, um sich nicht auf eine Diskussion einlassen zu müssen?

Es sind nicht nur Rechte, die andere pauschal verurteilen. Das können auch Linke.

Wir hätten gerne den Obmann von «Negro-Rhygass» dabeigehabt. Doch der sagte ab, was verständlich ist. Unversehens und ein Stück weit selbst verschuldet steht seine Gugge in einem landesweiten Shitstorm, der einen kleinen Verein zu zerzausen droht. Ein Rassist ist dieser Mann – nach dem was er sagt und was Leute, die ihn kennen, über ihn sagen – wohl nicht, auch wenn das manche Linke behaupten.

Es sind nämlich nicht nur Rechte, die andere pauschal verurteilen, um sich nicht mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Das können auch Linke.

Wir bringen Leute, die Botschaften überbringen, die wir nicht hören wollen, nicht mehr um. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns zufrieden an unserer Zivilisiertheit ergötzen können. Tonfall und Niveau vieler aktueller Debatten stellen unserer Gesellschaft ein Armutszeugnis aus. Wir müssen immer noch und immer wieder lernen, einander zuzuhören und miteinander zu reden.

Einfach ist das nicht. Aber wir wollen es versuchen. Denn nur so können wir einander verstehen und miteinander auskommen. Wenn wir das nicht schaffen, sieht es für unsere Zivilisation finster aus.

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