Wer weniger zahlt, befiehlt

Die Universtitäten überlassen Firmen Entdeckungen, auch wenn diese nur einen Teil der Forschungskosten zahlen.

Forscher kritisieren, Roche verhindere gezielt unabhängige Studien. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Universtitäten überlassen Firmen Entdeckungen, auch wenn diese nur einen Teil der Forschungskosten zahlen.

Christoph Tschumi, Verwaltungsdirektor der Uni Basel, bleibt ­gelassen: Es sei völlig üblich, dass ­Firmen, die Forschungsprojekte der Universität mitfinanzieren, bei Er­findungen und Entdeckungen privilegiert werden. Das gilt auch für Minderheitspartner. Wie zum Beispiel für Roche: Noch bis Ende Juni ruft die Pharmafirma Forschende der Universitäten Basel, Bern und Zürich dazu auf, sich um einen Zustupf aus der Konzernkasse zu bewerben.

Im Rahmen des «Extending the Inno­vation Network»-Programms sind nur anwendungsorientierte Gesuche ­gefragt, also keine Grundlagenforschung. Diese müssen Roche strategisch interessieren: Themen wie Krebs, Entzündungs- und Virenerkrankungen, Blutkreislauf, zentrales Nervensystem und Bioinformatik stehen auf der Kriterienliste. Mehr als 250 000 Franken pro Jahr darf ein ­co-finanziertes Vor­haben insgesamt allerdings nicht kosten. Roche übernimmt davon maximal die Hälfte. Mit den Universitäten ­Harvard, San Francisco und San Diego hat der Konzern bereits Programme zu denselben Bedingungen laufen. Für seine finanzielle Minderheits­beteiligung erkauft sich der Pharmakonzern das Recht, die Ergebnisse als Erster auf den Tisch zu bekommen, noch bevor die Universitäten frei da­rüber verfügen dürfen.

Roche bekommt alles zuerst

Falls darunter etwas nach kommerziellem Erfolg riecht, darf Roche darauf das Patent anmelden – gegen eine Abfindung an die Uni. Aus den Projekten resultierende Fachartikel – in der akademischen Welt die Währung für wissenschaftlichen Erfolg – kann der Minderheitsfinancier gegenlesen, bevor sie an eine Zeitschrift gehen. Ihre Publikation darf er bis neunzig Tage hinaus­zögern, wenn darin etwas steht, das der Konzern patentieren will, bevor die Öffentlichkeit davon erfährt.

Roches Privilegien sind auf der Website der Unitectra aufgelistet. Unitectra handelt seit zehn Jahren für die Unis Bern und Zürich Verträge aus mit der Wirtschaft, seit 2011 auch für Basel. «Wenn Roche an der kommer­ziellen Nutzung von Ergebnissen aus einem Projekt interessiert ist, dann werden wir mit Roche über eine kostenpflichtige Lizenz verhandeln», erklärt Herbert Reutimann, der langjährige Geschäftsführer der Unitectra AG, auf Anfrage. Viel wichtiger als der ­finanzielle Beitrag von Roche an allfällige Forschungsprojekte sei bei diesem Programm der Zugang zu Infrastruktur und Know-how von Roche.

Diese universitären Forschungsprojekte, von welchen sich Roche interessante Forschungsergebnisse erhofft, stehen ganz am Anfang des langen und schwierigen Wegs zu einem neuen Medikament. Am anderen Ende liegen die grossangelegten Tests von Wirkstoffen in Spitälern an Menschen. Doch ausgerechnet Roche stand unlängst heftig in der Kritik, weil die Firma angeblich kommerzielle Interessen über unabhängige wissenschaftliche Erkenntnisse stellte. In der April-Ausgabe des Fachmagazins «PLoS Medicine» dokumentierten mehrere Forscher, wie ­Roche sie während Jahren hinhielt, weil sie Einsicht verlangten in die Rohdaten von Studien zum Grippemittel Tamiflu.

Tamiflu bei Grippe wie Aspirin?

Peter Doshi von der Johns-Hopkins-Universität und Kollegen versuchen seit 2009 nachzuvollziehen, was seit wann an gesichertem Wissen über Tamiflu tatsächlich vorliegt, jenseits des Marketinglärms. Das Mittel bescherte Roche Milliardenumsätze.

Bis heute hat ihnen der Konzern zwar rund 3200 Seiten Material übergeben, hält aber – im Urteil der PLoS-Autoren – mit fadenscheinigen Argumenten weiterhin wichtige Daten zurück. Genervt stellten sie in ihrem Artikel als Zwischenresultat fest, dass vermutlich bereits 1999 die Rohdaten besagten, dass Tamiflu gegen Grippe nicht wirksamer ist als Aspirin oder Panadol. Sie fordern darum, dass künftig auch Rohdaten von Medikamentenstudien offengelegt werden. Dies soll in der Branche absolut üblich werden.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12

Nächster Artikel