Acht Stunden Frust: So könnte man den ersten Tag des sogenannten «Saubannerzug»-Prozesses am Strafgericht Basel zusammenfassen. Die Probleme beginnen schon bei der Wortwahl. Darf man das Delikt als «Saubannerzug» bezeichnen? Oder war es eine Demonstration von «jungen, engagierten Leuten», wie es einer der Verteidiger ausführte?
Nicht nur das Gelächter im Zuschauersaal bewies, wie absurd letztere Aussage war. Fakt ist: Während des halbstündigen Marsches am 24. Juni 2016 durch die Stadt schaffte es die unbekannte Gruppe, einen enormen Sachschaden zu hinterlassen – ein unmögliches Unterfangen, wäre es nicht geplant gewesen. Und wer nimmt Farbbeutel und -gläser sowie Spraydosen, mit an eine Demo, wenn er diese Utensilien nicht einsetzen will?
«Sämtliche Beteiligte haben sich schuldig gemacht»
In ihrem Plädoyer am Donnerstag zeichneten die drei Staatsanwälte das Bild einer Horde wildgewordener Linksextremer. «Es handelte sich nicht um eine unbewilligte politische Demonstration, die aus dem Ruder gelaufen ist. Es war ein Vandalenumzug, bei dem es darum ging, einen hohen Sachschaden zu verursachen», sagte Staatsanwalt Flavio Noto.
Es sei nur dem Zufall zu verdanken, dass es bei der «Zerstörungsrally», wie Noto es nannte, keine Schwerverletzten gegeben habe. Den Beschuldigten sei bewusst gewesen, was sie anrichten könnten, wenn sie faustgrosse Steine auf Polizisten werfen: «Sämtliche Beteiligte haben sich schuldig gemacht.» Auch jene, welche die Steinewerfer vor der Polizei abgeschirmt hätten.
Die Staatsanwaltschaft ist nicht in der Lage, einzelnen Personen bestimmte Straftaten anzulasten.
Die Taten sind passiert, da gibt es keinen Zweifel. Aber: Waren es die Angeklagten? Und was genau haben sie verbrochen? Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren – für alle Beteiligten.
Nach der allgemeinen Forderung wurden den einzelnen Angeklagten entweder Monate abgezogen – weil sie zum Zeitpunkt der Tat noch sehr jung waren oder eine lange Untersuchungshaft hinter sich haben – oder es wurden zusätzliche Monate verlangt, zum Beispiel weil sie sich äusserst unkooperativ zeigten oder die Wiederholungsgefahr enorm hoch sei.
Für diejenigen, die vorbestraft sind, forderte die Staatsanwaltschaft unbedingte oder teilbedingte Haftstrafen. Das heisst: Einige der Angeklagten müssten für mehrere Jahre ins Gefängnis, sollte das Gericht den Forderungen der Staatsanwaltschaft folgen.
Welche konkreten Beweise gibt es?
Das grosse Problem der Staatsanwaltschaft: Sie ist nicht in der Lage, den einzelnen Personen bestimmte Straftaten anzulasten. Zwar gibt es Bilder von Überwachungskameras, doch auf diesen können die vermummten Gestalten nicht identifiziert werden. Und die Rapporte, welche die Polizisten in der Nacht vom 24. Juni 2016 verfassten, wollen die Verteidiger nicht gelten lassen. Was bleibt dann noch?
13 der Angeklagten wurden noch in derselben Nacht verhaftet, teilweise waren sie noch schwarz gekleidet und vermummt, bei einigen stellte die Polizei Farbspritzer sicher oder Gummihandschuhe, bei einem sogar einen Pfefferspray. Bei den fünf weiteren Angeklagten, die nicht verhaftet worden waren, konnten entweder DNA-Spuren nachgewiesen werden oder es liess sich eine Beteiligung herleiten über Nachrichten, die am Tag des Vorfalls verschickt worden waren.
Mit diesen Indizien will die Staatsanwaltschaft beweisen, dass die Angeklagten auch Täter sind. Aber wer von ihnen die Scheiben der Vaudoise-Versicherung einschlug, wer die Helvetia-Fassade versprühte und wer Steine auf die anrückenden Polizisten warf, konnte sie in ihrem Plädoyer nicht belegen. Damit wird sie es mit ihren Forderungen schwer haben.
«Dass nicht jeder Schuldige verurteilt werden kann, ist der Preis für unseren freiheitlichen Staat»
Peter Albrecht war 24 Jahre lang Gerichtspräsident am Basler Gericht für Strafsachen und ist emeritierter Professor der Universität Basel. Er kennt die Tücken des Gesetzes, die von der Staatsanwaltschaft viel an Beweislast verlangen, um eine Verurteilung erwirken zu können.
Professor Albrecht, weshalb ist es in diesem Verfahren so schwierig, über die einzelnen Personen zu urteilen?
Es ist beinahe unmöglich, den einzelnen Angeklagten die Straftaten der Sachbeschädigung oder Körperverletzung nachzuweisen. Hier müssen Sie klare Beweise vorbringen, dass diese Person ein konkretes Delikt begangen hat – also eine Scheibe zerstört oder einen Gegenstand gegen einen Polizisten geworfen hat – oder man muss eine Mittäterschaft nachweisen können.
Ist das bei jeder Straftat der Fall?
Nein, beim Landfriedensbruch ist die Beweislast viel einfacher. Hier reicht es zu beweisen, dass Sie beim Landfriedensbruch anwesend waren und sich nicht rechtzeitig entfernten. Ein Schuldspruch ist viel einfacher, die Bestrafung ist aber auch milder als wenn noch eine Sachbeschädigung dazukommt. Derzeit sind allerdings Bestrebungen im Gange, den Strafrahmen zu verschärfen.
Also macht man sich sehr schnell des Landfriedensbruchs schuldig, beispielsweise bei einer Häuserbesetzung oder einer Demonstration?
Ja, der Tatbestand ist sehr schnell erfüllt. Und oftmals kann man damit die Beweisproblematik umgehen. Weil es oftmals schwer ist, jemanden wegen einer Sachbeschädigung anzuzeigen, weichen die Kläger auf den Landfriedensbruch aus. Das beobachtet man oftmals bei Demonstrationen, die aus dem Ruder laufen, oder Auseinandersetzungen nach Fussballspielen.
«Es stimmt einfach nicht, dass alle im gleichen Ausmass schuldig sind.»
Weshalb gibt es denn so selten Verurteilungen wegen Sachbeschädigungen?
Wenn eine ganze Gruppe von Leuten beteiligt ist, ist es enorm schwer zu sagen, wer was getan hat. Gerade, wenn die Leute vermummt sind. Deshalb hat die Justiz solche Probleme. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings von einer Mittäterschaft aus, das heisst, sie sagt, dass mehrere Leute zusammen eine Straftat begangen haben.
Und weshalb kann dann nicht die Gruppe als Ganzes verurteilt werden?
Weil es schlicht nicht stimmt, dass alle im gleichen Ausmass schuldig sind. Man darf nicht eine Sippenhaft einführen. In einem Schuldstrafrecht sind die Sanktionen so festzusetzen, dass die Schuld des Einzelnen angemessen zugeteilt wird. Ansonsten wäre das Verfahren ja hochgradig ungerecht.
Ungerecht ist es aber dennoch: Am Ende ist niemand für die Sachbeschädigung verantwortlich, die Opfer bleiben auf dem Schaden sitzen.
Im Strafrecht gibt es oft diese Situation, dass Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Es passiert nicht nur bei Demonstrationen, sondern auch bei Verkehrsunfällen oder Vermögensdelikten. Es gibt immer eine grosse Dunkelziffer, Fälle wie bei diesem «Umzug» werden einfach sehr stark in der Öffentlichkeit verhandelt.
Die Verteidiger kritisieren, dass ihre Mandanten teilweise monatelang in Untersuchungshaft waren, erst nach Haftbeschwerden wurden sie entlassen. Ist das Verhalten der Strafverfolgungsbehörden legitim?
Die lang andauernde Untersuchungshaft ist eine äusserst negative Entwicklung, die ich im Kanton Basel-Stadt beobachte. Und dies betrifft nicht nur Fälle, bei denen es um eine ausgeartete Demonstration geht, sondern ein generelles Phänomen. Die Entwicklung ist äusserst bedenklich, schliesslich haben wir eine Unschuldsvermutung und ein Freiheitsrecht. Vielleicht erhofft man sich, dass die lange Untersuchungshaft geständnisfördernd ist. Sie wird ganz sicherlich sehr bedenkenlos angewandt und zum Teil auch missbräuchlich.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass ein Grossteil der Beweise aus Polizeirapporten stamme. Die Polizisten seien jedoch keine Zeugen, wenn sie nicht vorgeladen werden und von der Verteidigung konfrontiert werden können. Ist das nicht eine etwas eigentümliche Argumentation?
Zeugenaussagen sind immer heikel, wenn die Personen direkt betroffen sind, und das sind in diesem Fall beinahe alle. Stellen Sie sich vor: Ein Polizist steht einer Menge Demonstranten gegenüber, wird bedroht und angegriffen und nimmt einzelne Personen fest. Wenn er danach seinen Rapport verfasst, wird er wohl nicht in einer besonders sachlichen Verfassung sein. Er ist emotional, wie es jeder Mensch in diesem Moment wäre. Das macht die Sachlage so schwierig.
«Ein Schuldspruch wegen Mittäterschaft bei Körperverletzung und Sachbeschädigung dürfte schwierig sein.»
Wie kann die Staatsanwaltschaft diesem Problem begegnen?
Indem sie möglichst viele Zeugen bringt, die unabhängig sind und ähnliche Aussagen tätigen. Das stärkt die Position der Staatsanwaltschaft. Und ob sie auch andere Beweismittel hat, wie Schäden oder Spuren.
Die Angeklagten schweigen zu den Vorwürfen. Macht sie das in Ihren Augen verdächtig?
Es ist in unserer Prozessordnung verankert, dass ein Angeklagter die Aussage verweigern kann. Im Einzelfall ist es an der jeweiligen Verteidigung zu überlegen, ob diese Strategie sinnvoll ist.
Glauben Sie, dass es zu einer Verurteilung in globo kommen wird?
Es ist ein enorm schwieriger Prozess, schon allein wegen der Menge Angeklagter. Allein die Verhandlungsführung erfordert enormes Durchsetzungsvermögen vonseiten des Gerichtspräsidenten. Und die Staatsanwaltschaft muss 18 Leuten konkrete Taten nachweisen können, ansonsten wird es schwierig. Ein Schuldspruch wegen Landfriedensbruch ist gut möglich. Einer wegen Mittäterschaft bei Körperverletzung und Sachbeschädigung dürfte schwierig sein.
Wäre es an der Zeit, das Gesetz so anzupassen, dass ein Mob, der so grossen Schaden anrichtet, einfacher verurteilt werden könnte?
Man könnte tatsächlich die Strafbestände bei Sachbeschädigungen und Körperverletzung so formulieren, dass eine Verurteilung einfacher möglich wäre. Dagegen würde ich mich allerdings dezidiert wehren.
Weshalb?
Weil ansonsten die Gefahr besteht, dass das Gesetz immer so grosszügig ausgelegt wird. Wenn Sie dann bei einer Demonstration mitlaufen und einzelne Individuen schmeissen mit Steinen, könnten Sie wegen schwerer Körperverletzung angeklagt werden. Dass nicht jeder Schuldige verurteilt werden kann, ist der Preis, den wir für unsere Demokratie und für unseren freiheitlichen Staat zahlen. Das mag allenfalls problematisch sein, aber das Gegenteil wäre viel schlimmer.