Immer wenn bekannt wird, dass ein Geschäft wie aktuell der Buchladen Nasobem zumacht, sterben wir einen kleinen Tod. Und merken dann, wie inkonsequent unser Leben geworden ist.
«Der Laden sah von aussen so toll aus, ich wollte schon lange mal reinschauen …»
Als vergangene Woche das Ende der Buch- und Kaffeebar Nasobem bekannt wurde, erschütterte eine kleine aber heftige Welle des Bedauerns die lokalen Twitter- und Facebook-Acounts. Die Trauer über das Ende des Ladens war gross. Und sie ist auch ein wenig verlogen.
Das Problem im Fall des Nasobem war die Differenz zwischen Wahrnehmung und Umsatz. Es steckte viel Herzblut in diesem Geschäft an der Basler Frobenstrasse. Und es passte mit seinem urbanen Ansatz in das Selbstbild des ökologiebewussten, rot-grün wählenden Stadt-Szenis. Nur: Wenn dieser Szeni, wenn also wir, in der Stadt sind und rasch ein Buch brauchen, liegt ein Thalia näher. Und der Griff zur Computertastatur sowieso.
Unsere Mitschuld
Die Geschichte, sie wiederholt sich. Gross war auch die Trauer, als das Musikgeschäft Roxy am Rümelinsplatz vor vier Jahren den Laden dichtmachte – oder, noch früher, das Restaurant «Atlantis» am Klosterberg die Livekonzerte aufgab.
Wie immer tragen all jene, die laut lamentieren, Mitschuld am Untergang. Es reicht nicht, nostalgisch zu sein. Ein Betrieb muss ständig unterstützt werden. Und wer von uns hat in den letzten Jahren Bücher oder Musik ausschliesslich in charmanten, spezialisierten Läden gekauft? Eben.
Unsere Inkonsequenz beschränkt sich aber nicht nur auf unser Konsumverhalten. Das Ganze geht tiefer. Die SP Zürich sucht im Moment einen Praktikanten oder eine Praktikantin für die Geschäftsstelle und zahlt für eine 80-Prozent-Anstellung 1280 Franken. Wahrscheinlich darf der Praktikant dann bei der Mindestlohn-Kampagne mithelfen.
Wenn wir ungefiltert ehrlich wären, würden wir nicht nur das Ende des Nasobem bedauern. Sondern auch uns selber.
Auch schön schräg das Bild, das sich am 1. Mai bot: Junge Aktivisten wehrten sich lauthals gegen zu tiefe Löhne und Ausbeuter-Systeme – und trugen dabei billige Hipster-Jeans aus Bangladesch.
Apropos Bangladesch: Wer war nicht bestürzt darüber, wie dieses verlotterte Haus tausende von Billigarbeitern unter sich begraben hat? Bereits heute verdrängen wir diesen Unfall wieder. Wäre ja noch schöner, wenn uns bei jeder Anprobe im Zara oder H&M auch ein schlechtes Gewissen überzöge.
Wenn wir ungefiltert ehrlich wären, würden wir also nicht nur das Ende eines Geschäfts wie das Nasobem bedauern. Sondern auch uns selber. Denn sagen wir es offen: Wir sind Heuchler.
Unsere Doppelmoral
Wir wünschen uns ein bunt durchmischtes Stadt- und Landbild, beklagen den Imperialismus der Ketten, Discounter und Grossisten. Und schleichen uns dennoch bei diesen hinein und wühlen in den Rabattkisten.
Wir lassen uns beim Fachhändler beraten. Und googeln danach im Internet die Preise des Versandhandels.
Wir sind bestürzt über die Zustände bei einem chinesischen Apple-Zulieferer – und tun unsere Bestürzung via Facebook kund, iPhone sei Dank.
Ja, wir sind Heuchler. Wir sind geizig. Und wir leben nicht konsequent. Nicht weil ein konsequentes Leben nicht möglich wäre. Sondern weil es unbequem, anstrengend, nicht lustig und sauteuer wäre. Stattdessen rühmen wir uns, die Heuchelei wenigstens zu erkennen. Und sind in diesem Punkt, für einmal, ziemlich konsequent.