Daniel Haag widmet schon sein ganzes Berufsleben einem Tier, das polarisiert wie kaum ein zweites: der Stadttaube. Als der Biologe in den 90er-Jahren Basel von der damaligen Taubenplage befreite, fand seine Methode trotzdem nicht nur Beifall.
Der Professor Doktor mit dem voluminösen, grauen Haar sitzt ruhig hinter seinem Schreibtisch im ersten Stock des anatomischen Instituts an der Pestalozzistrasse. Eine plastinierte Taube liegt auf einem weissen A4-Blatt vor ihm. Die Beschriftungen zeigen den kurzen Darmtrakt, den Magen. Daniel Haag deutet auf den breiten, mit Körnern gefüllten Kropf: «Hier drin wird auch die Milch produziert, eine Art Quark.» Er lächelt. «Es gibt eine Eiscreme-Sorte, die heisst Pidgeon Milk».
Dem Mann mit der verträumten Wirkung, die durch dringt, wenn er leichtfüssig den gurrenden Tauben horchend die Feldbergstrasse entlangspaziert, gäbe man den alternden Lyriker, den südfranzösischen Weinbauern vielleicht – aber nicht einen der wichtigsten Taubenforscher der Welt. So würde seine Tätigkeit jedoch eh nur von Laien bezeichnet. Haag ist Naturwissenschaftler und Biologe, Schwerpunkt «Problemtiere».
«Unsere Forschungsgruppe befasst sich mit Tieren, die im menschlichen Lebensraum Probleme machen.» Auf dem Land sind das Wildschweine, in der Stadt Tauben. Wie Smalltalk-tauglich ist dieser Beruf an einer Cocktail-Party? Haag lacht: «Natürlich ist es viel attraktiver, Wale zu erforschen, als ein Tier, das überall ist und allen auf die Nerven geht. Aber je länger ich mit Tauben arbeite, desto mehr entdecke ich, was für geniale und hochintelligente Lebewesen das sind.»
Der Aufstieg zum Taubenpapst
Und Haag arbeitet schon lange mit Tauben, sein ganzes Berufsleben lang. 1952 in Arbon (TG) geboren, absolvierte er in Basel ein Zoologie-Studium. Als es 1979 ums Doktorieren ging, wollte er zuerst «etwas über Käfer» machen. Keine Taubenfaszination von klein auf? «Überhaupt nicht», sagt Haag. «Wo ich aufgewachsen bin, gab es gar keine Tauben.» Umso mehr flatterten in der Stadt Basel umher. «Damals waren es rund 25’000 Tauben. Der Marktplatz sah brutal aus. Auf der Nahrungssuche pickten die Vögel der Stadtgärtnerei sogar die Setzlinge weg.»
An die Stelle der Käfer trat eine ökologische Analyse des Phänomens Stadttaube. Seither ist Haag zum Taubenvater aufgestiegen. Aber hie und da, wenn der Wissenschaftler in ihm dem träumenden Beobachter weicht, lassen Haags Taubengeschichten nichts von der Mystik eines Panthers missen, eines Gorillas – nur halt im Dschungel der Stadt.
Nach jahrelanger Forschung weiss Haag, was die Masse denkt: «Die Reaktionen gegenüber der Taube sind faszinierend. Ein Teil der Menschen findet sie niedlich, füttert und hätschelt sie – der andere Teil hasst und quält sie.» Für Letzteres hat Haag wenig Verständnis. So spricht er immer wieder von «niederen Beweggründen».
Ein polarisierender Vogel
«Der Taubenhass ist zum Massenphänomen geworden», sagt Haag. «Seltene Tiere werden geschätzt und gelten als unantastbar – Massentiere hingegen verlieren oft an Wertschätzung, insbesondere wenn sie in grosser Zahl die Städte erobern und in diesen vor allem durch Kotverschmutzung auffallen.» Für Haag zeugt das auch von «Dichtestress»: Je enger das Zusammenleben, desto geringer die Akzeptanz.
Haag selbst kennt das Kreuzfeuer von Taubenfreunden und -hassern. 1984, als Basel noch immer unter einer Art Taubenplage litt und auf dem Marktplatz mit Drahtgitterfallen Jagd auf die Vögel gemacht wurde, übernahm der junge Haag die Leitung der «Basler Taubenaktion». Eine Lösung für das städtische Taubenproblem musste her. Bald erkannte man, dass Töten nichts bringt. «Die Nahrungsgrundlage ist das Problem. Weder das Ausnehmen der Nester noch Massenabschuss hilft. Einzig der Nahrungsentzug kann eine Population verringern», sagt Haag, und noch heute zeigt sein Modell Erfolg.
Was sich in der Schweiz als humane Lösung erwies, stiess in Deutschland bei extremen Tierschützern aber auf pures Unverständnis. Öffentlich und privat wurde Haag angefeindet. Es hiess, mit der Aufforderung, die Fütterung einzustellen, betreibe er «Pogromhetze».
Mittlerweile lacht Haag über jene Zeit, auch wenn die Kritik nach über 30 Jahren noch anhält. «Damals fragte ich mich oft, ob ich mir das wirklich antun muss oder nicht das Forschungsgebiet wechseln soll. Manchmal frage ich mich das noch heute.» Haag sagt, es gebe einen Punkt, an dem einen die Gesellschaft nicht mehr aus einer Rolle lässt. Den hat er erreicht. «Heute will ich gar nicht mehr aus dieser Rolle.»