Wochenendlich in der Wutachschlucht

Jetzt aber mal ganz langsam: Zwei Tage mit Ausschlafen, Slow Food und Ausblick auf die Pensionierung.

In der Wutachschlucht rauscht das Wasser nicht nur in der Wutach, es rinnt, rieselt, ... (Bild: Florian Raz)

Jetzt aber mal ganz langsam: Zwei Tage mit Ausschlafen, Slow Food und Ausblick auf die Pensionierung.

«Ach, der Schwarzwald», sagt der Kollege von der anderen Seite des Schreibtischs, «der ist mir irgendwie zu … schwarz.» Kann ich verstehen. Auf mich hat er auch stets so streng gewirkt, mit seinen dunklen Tannen. Darum erschien es mir immer als logisch, dass der Santiglaus im Schwarzwald lebt und die Feen im verspielteren Jura.

Aber der Schwarzwald kann auch ganz anders. Richtig herzlich ist er zum Beispiel im Gasthaus Schwanen in Schwaningen, wo sich zwei Generationen der Familie Wekerle um das Wohl der Gäste kümmern. Als Mitglied von Slow Food achten sie in der Küche auf regionale und saisonale Zutaten. Derzeit etwa Reh aus der eigenen Jagd.

Danach gibt es selbstgebrannte Obstler und eine nächt­liche Stille, wie sie urbane Ohren kaum für möglich halten. Sogar die Kirchglocke in Schwaningen darf am Sonntag erst ab elf Uhr wieder läuten. Völlig illusorisch, in dieser Ruhe bereits um zehn Uhr wach zu sein, um das Morgenessen mit selbstgemachter Konfitüre zu geniessen. Wunderbar darum, dass Frau Wekerle das ganze Frühstücksprogramm auch noch zur Mittagszeit in die Sonne des Innenhofes tragen lässt.

Vier Stunden wird gewandert

Ungestärkt sollten Wanderer schliesslich auf keinen Fall in die Wutachschlucht steigen, die gut zwanzig Minuten Autofahrt von Schwaningen entfernt ist. Gut, Hungrige können sich noch in der Schattenmühle verpflegen, die beim grössten Einstieg in die Schlucht steht. Aber wer mal drin ist im ­engen Tal, muss Essen und Trinken dabeihaben, wenn es denn der ganze Weg bis zur Wutachmühle sein soll.

Und so viel Ehrgeiz darf dann schon sein. Es lohnt sich. Rund vier Stunden dauert der Weg vorbei an seltenen Orchideen, moos­bewachsenen Bäumen und eindrücklichen Steilwänden. Die Schlucht ist wirklich wunderschön – und deswegen an Wochenenden auch ganz schön bewandert.

Auf die leichte Schulter darf man den Ausflug trotzdem nicht nehmen. Es wird schon seinen Grund haben, dass die gute Ach (Gutach) vor der Schlucht den Namen wechselt und zur Wutach wird. Auf jeden Fall sollten Wanderer gut beschuht sein; der Weg ist meist feucht und entsprechend glitschig.

«Des isch mei Hausarzt»

An der Wutachmühle können dann wieder die Füsse hochgelegt werden bei Wurst und Kuchen. Für den Rückweg zum Parkplatz an der Schattenmühle sorgt an ­Wochenenden ein Shuttlebus, dessen Fahrer gerne auch mal auf die etwas anderen Sehenswürdigkeiten der Region hinweist: «Des isch mei Hausarzt.»

Ansonsten wirkt die Gegend um die Wutachschlucht ein wenig wie die bessere Schweiz. Malerische Dörfer (noch nicht zersiedelt), Acker- und Weideland (saftig), kurvige Strassen (frisch geteert). Bei klarer Sicht sind sogar die Alpen zu sehen. Dazwischen Windräder zur Stromproduktion und auf fast jedem zweiten Dach Sonnenkollektoren, ohne dass dadurch der idyllische ­Gesamteindruck geschmälert würde.

Mit dem Auto führt der direkte Weg zur Schlucht in einer Stunde und zwanzig Minuten via Waldshut. Schöner ist es, mit Umwegen über die Hügel zu kurven. Und zum Beispiel in Titisee zu halten. Bei dem Namen schlägt der Kollege von vis-à-vis zwar wieder die Hände über dem Kopf zusammen.

Aber mit seiner vollen Touristen- und Rentner-Dröhnung hat der Kurort etwas schon fast Unwirkliches, das einen Zwischenhalt lohnt. Ausserdem dürfen sich bei der Altersstruktur hier auch knapp 37-Jährige noch mal richtig jung fühlen. Und das ist auch was.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12

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