Wohin mit unserem Müll?

Weniger wäre mehr. Und wenn wir schon Abfall verursachen, sollten wir einen Plan haben, was damit zu tun ist. Das gilt insbesondere für Basel, das mit seinem Namen seit 40 Jahren für einen sauberere Welt steht. 

Klar ist, so kann es nicht weitergehen. Weniger klar ist, wie genau sonst?

Braucht es einen aktuellen Anlass, um über die Belastung zu schreiben, die von überbordenden Abfallmengen und insbesondere von Plastikmüll ausgeht? Wäre es so, stünden jede Woche entsprechende News zur Verfügung.

Etwa mit der Meldung vom 14. April. Dass man in Magen und Darm eines ausgemergelten jungen Pottwals, der an die spanische Küste gespült wurde, 29 Kilogramm Abfall gefunden hat. Plastiktüten, Teile von Fischernetzen, Seile und sogar den Kunststoffdeckel eines Kanisters.

Oder mit der Nachricht vom 17. April, die nicht auf die fernen Meere, sondern den nahen Genfersee aufmerksam macht: «Grenzwerte um das 70-fache überschritten». Dabei geht es auch/immer noch um Müll, der bereits in den 1950er-Jahren in den Lac Léman gelangt ist: Schaumstoffteile, Trinkhalme, Wattestäbchen, Stifte, Spielzeug.

Nicht, dass uns diese Zustände nicht schon seit Langem bekannt wären. Das brennende Thema ist, was dagegen zu tun sei. Bekannt sind die Losungsworte: Abfallvermeidung («Yes to Less») und bessere Abfallverwertung.

Eine zusätzliche Problematik besteht darin, dass es auf das individuelle Verhalten der Menschen ankommt, dieses aber nur dann Wirksamkeit entfaltet, wenn es Teil einer Massenbewegung ist. Insofern ist der oft leichtfertig verwendete Plural gerechtfertigt: Der Abfall ist «unser» Müll, auch wenn er nicht von allen gleichermassen verursacht wird.

Hoffnungen auf eine Wende zum Guten sind – theoretisch – berechtigt. Ein bekanntes Beispiel ist die gewaltige Verbesserung der Luftqualität in europäischen Grossstädten. Zustände wie beim Great Smog of London, der 1952/53 bis zu 12’000 Menschen das Leben kostete, gehören der Vergangenheit an. In Basel kann man auf die wunderbare Verbesserung des Rheinwassers verweisen.

Basel steht für eine sauberere Welt

Es fragt sich aber, wie denn ein Wandel zum Besseren zustande kommt. Von alleine? Durch individuelle Einsicht? Durch obrigkeitliche Verordnung – ob in einzelstaatlichen Aktionen oder mit internationalen Übereinkommen? Was bringen da die Medien zustande? Und welche Rolle spielen technische Innovationen und das liebe Geld, das kapitalistische Prinzip der Gewinnorientierung?

Auf internationaler Ebene sind bereits seit längerer Zeit Anstrengungen unternommen worden. Einmal, vor bald dreissig Jahren, verband sich eine globale UN-Aktion mit der Stadt Basel. Im März 1989 wurde das Basler Übereinkommen zur Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung geschlossen. Ihm sind inzwischen 186 Staaten beigetreten. Nicht dabei sind die USA, die rund 80 Prozent ihres Elektronikschrotts exportieren.

Der kostengünstige Abfallexport in Länder der Dritten Welt erschwert es, Losungen zu Abfallvermeidung ernst zu nehmen.

Das Abkommen setzt auf staatliches Handeln. Die Unterzeichnerstaaten müssen dafür sorgen, dass die Erzeuger mit ­ihren Abfällen verantwortungsvoll umgehen. Der Schutz der Gesundheit und Umwelt soll gewährleistet sein – auch wenn der Müll exportiert wird.

Die Basler Konvention ist ein mit einem eigenen Logo markierter Meilenstein auf einem langen Weg, der auch zum 1997 gegründeten und in Seattle domizilierten Verein «Basel Action Network» (BAN) geführt hat. Dieser ist mit einer Zweigstelle auf den Philippinen weltweit als Wächter und Förderer dieses Übereinkommens tätig.

Der kostengünstige Abfallexport in Länder der Dritten Welt erschwert es, Losungen zu Abfallvermeidung und besserer Abfallverwertung ernst zu nehmen. Lange Zeit war China eine ideale Destination für westlichen Müllexport. Das hat seit dem 1. März 2018 ein Ende. Jetzt müssen und können vermehrt Häfen in Vietnam, Thailand und Malaysia angesteuert werden, auch zum Beispiel von deutschen Schiffen.

Unfreiwilliger Müllschlucker: An der spanischen Küste ist kürzlich ein Pottwal mit 29 Kilo Abfall im Bauch verendet.

In jüngster Zeit ist in Deutschland mit kräftigen Impulsen (und darum wahrnehmbar auch auf der anderen Seite des Rheins) erneut auf die Müllproblematik hingewiesen worden. Die «Zeit» hat am 19. April daraus ihr Titelthema gemacht und «3sat» hat eine Dokumentation dazu ausgestrahlt.

Es sind Appelle vor allem an Konsumenten und Konsumentinnen, vielleicht auch an mündige Bürger und Bürgerinnen, eine öko-freundliche Politik zu unterstützen. Im genannten Film wird darauf hingewiesen, dass die hochmobilen Stadtmenschen mit dem Kauf von kleinen Einzelportionen, mit «Take-away» und modischem «Coffee to go» besonders viel Müll verursachen.

Gewisse Warenanbieter tragen ebenfalls einiges dazu bei, wenn sie das zum Kauf angebotene Gut mit viel Verpackung grösser erscheinen lassen, als es ist. Im besagten «Zeit»-Artikel wird man auf das Paradox aufmerksam gemacht, dass ausgerechnet für die am kürzesten benutzten Produkte die langlebigsten Materialien verwendet werden.

Es wird mehr verbrannt als rezykliert, beschönigend nennt man das «energetisches Wiederverwenden».

Die «3sat»-Produktion trägt den Titel «Müll-Meister Deutschland». Doch die Schweiz übertrifft mit rund 730 Kilo Abfall pro Kopf und Jahr Deutschland mit seinen «bloss» rund 600 Kilo um einiges. Die Abfallweltmeisterin Schweiz kann aber eine hohe Recyclingquote vorweisen, vor allem bei Glas und Papier. Bei anderen Stoffen sieht es schlechter aus, zum Beispiel bei Plastik.

Und da kommt noch das Problem hinzu, dass Plastik nicht gleich Plastik ist. Verschiedene Kunststofftypen kommen bei verschiedenen Verpackungen zur Anwendung. Sie werden auch in schichtweisen Kombinationen eingesetzt und müssen beim Rezyklieren aufwendig wieder getrennt werden.

Traurig, aber nicht überraschend ist, dass der verbreitete Glaube an die sogenannte Kreislaufwirtschaft zu zusätzlicher Umweltbelastung führt. Zudem wird noch immer mehr verbrannt als rezykliert, beschönigend nennt man das «energetisches Wiederverwenden».

Ein Land ohne Plastik

Das Plastikproblem sollte idealerweise im Zusammengehen von vier Akteuren angegangen werden: Produzenten und Konsumenten stehen im Vordergrund; Wissenschaftler sind ernsthaft bemüht, umweltverträgliche Materialien zu entwickeln,  und der Staat könnte mit Lenkungsabgaben und Verboten viel bewirken.

Ein einzelnes Land, so kann man einwenden, vermag da wenig auszurichten. Es kann aber geradezu eine Legitimation räumlich konstituierter Nationalgesellschaften sein, dass sie in ihren Territorien für «gute Einrichtungen» sorgen. Sowohl in der Müllfrage wie in zahlreichen anderen Bereichen, und dies schlicht für sich selber, aber auch als Vorreiter für andere.

So verkündete Grossbritannien dieser Tage, verschiedene Einweg-Utensilien zu verbieten. Vorausgegangen waren die Betriebe des Königshauses sowie Veranstalter von Musikfestivals. Auch positive Massnahmen können ansteckend sein.

Ruanda hat 2008, wohl vor allem zum Schutz des eigenen Landes, einen Plastikbann eingeführt mit strikten Vorschriften und rigiden Bussen bis hin zu Gefängnisstrafen. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass dies in einem Land, das auch in anderer Hinsicht einen autoritären Regierungsstil ertragen muss, eher funktioniert als in ausgeprägt liberalen Gesellschaften, in denen das Individuum im Guten wie im Schlechten mehr Spielraum hat. Die Massnahmen beschränken sich aber nicht auf Repression, sie enthalten auch Sensibilisierungskampagnen und Produzenten werden bei der Umrüstung unterstützt.

Ernüchterndes, Tröstliches und eine Warnung

Am Ende des Tages landen wir in der Region Basel, wo es ebenfalls Pionierbemühungen gibt und die im vorigen Jahrhundert entwickelte Parole «global denken – lokal handeln» da und dort beherzigt wird. Allschwil hat 2017 nach einer Versuchsphase definitiv die separate Kunststoffsammlung eingeführt. Die Gemeinde ist deswegen in der Öffentlichkeit wegen zu geringem Nutzen aber auch bezichtigt worden, «blinder Sammelwut» zu verfallen.

Die vorletzte Ausgabe der TagesWoche ist der Frage nachgegangen, auf welche Resonanz Basler Kleinunternehmen stossen, die ihre Waren mit möglichst wenig Verpackung verkaufen. Ernüchterndes und Aussichtsreiches kam da zusammen: einerseits die Feststellung, dass die Diskrepanz zwischen anfänglicher Begeisterung und dauerhaftem Kundenverhalten recht gross ist; andererseits aber auch die tröstliche Meinung, dass Bewusstseinsbildung eben Zeit brauche.

Auch der kleine Weltraumschrott ist gross genug, dass der bei einem Aufprall die Sprengkraft einer Handgranate hätte.

Zu Ostern, weil da der Absturz einer chinesischen Raumstation bevorstand, wurde gemeldet, dass besondere Anstrengungen zur Befreiung des Weltraumschrotts gestartet würden. Diese Verschmutzung funktioniert nach der gleichen Mentalität wie auf Erden: als wilde Entsorgung im «Niemandsland». Damit ausrangierte Satelliten in der Erdatmosphäre verglühen, müsste man sie auf eine niedrigere Umlaufbahn bringen, was Treibstoff braucht, unter Umständen auch einen zusätzlichen Motor – und die Kasse belastet.

Die meisten Trümmer im Orbit sind vorläufig nicht besonders gefährlich, aber sie können mit aktiven Satelliten kollidieren, und dies kann zu schädlichen Konsequenzen für die irdischen Volkswirtschaften (etwa in der Kommunikation) führen. Hunderttausende von Bruchstücken sind zu klein, um von der Erde aus wahrgenommen zu werden, zugleich aber so gross, dass sie beim Aufprall die Sprengkraft einer Handgranate hätten.

Das ist eine Warnung auch für das, was auf der Erde zum Beispiel mit dem Mikroplastik geschieht. Damit wir am Schluss nicht alle das Schicksal des wegen Auszehrung verendeten Pottwals erleiden.

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