Wyss‘ Archiv: Für einmal waren sie sich einig

Der Kontakt zwischen Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch war dornenvoll; Freunde wurden sie nie.

Begegnung am Hintereingang: Friedrich Dürrenmatt (l.) und Max Frisch (mit Pfeife) 1968 vor dem alten Basler Stadttheater. Im Türrahmen Theater-Inspizient Curt Model. (Bild: Kurt Wyss)

Der Kontakt zwischen Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch war dornenvoll; Freunde wurden sie nie.

Prager Frühling»: Was im Westen so bezeichnet wurde, war ein zartes Pflänzchen, das zu Beginn des Jahres 1968 in der damaligen Tschechoslowakei zu keimen begann und unter Führung der kommunistischen Partei einen «Sozialismus mit menschlichem Antlitz» zum Ziel hatte. Doch in der Nacht zum 21. August marschierten rund eine halbe Million Soldaten der im Warschauer Pakt verbündeten Armeen im aufmüpfigen «Bruderstaat» ein und besetzten das Land. Zwei Tage später war der vorwiegend gewaltlose Widerstand der Bevölkerung gebrochen, die «Konterrevolution», wie sie of­fi­ziell betitelt wurde, zu Ende. Die westlichen Staaten zeigten sich empört, liessen es jedoch bei verbalen Protestnoten bewenden.

Ein Sonntag im Theater

Moralische Unterstützung für die besetzte Tschechoslowakei leistete auch die Schweiz. In Basel, Bern, Zürich und andern Städten fanden Protestkundgebungen statt. Und Werner Düggelin, der damalige Intendant des Basler Stadttheaters, moderierte am 8. September eine stark beachtete Sonntags-Matinée, an der die Schriftsteller Peter Bichsel, Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch, Günter Grass und Kurt Marti­ ihre persönlichen Gedanken zur politischen Lage vortrugen. Auch ein Brief von Heinrich Böll wurde im berstend vollen Theatersaal vorgelesen (höre dazu via Google-Suche auch das Original-Statement «Friedrich Dürrenmatt und die Kommunisten» im SRF-Player).

Dürrenmatt und Frisch waren beide ätzend, dabei aber dünn­häutig und verletzlich.

Was waren das in den letzten Jahren des alten Stadttheaters für mitreissend kreative, spannungsvolle, impulsive und nicht selten auch chaotische Zeiten, als Werner Düggelin von der Spielzeit 1968/69 bis 1974 das Zepter führte! Da wurde aus künstlerischem Anspruch heraus produziert, aus Ehrgeiz gestritten und gelitten, Anstoss erregt, Widerspruch herausgefordert und bis zur Erschöpfung Theater gelebt, das über den Tag hinaus für Aufsehen und Bewunderung sorgte. Einmalig, unnachahmlich, aber auch ständig bedrängt von notorischen Miesmachern, Sparmuffeln und Kulturquenglern, denen Spontaneität und Experimentierfreude schon immer ein Gräuel waren.

Prägend und geprägt

Dürrenmatt wie Frisch waren prägende und geprägte Figuren einer ebenso begeisternden wie abstossenden Zeit. Beide unvergleichlich und irgendwie doch verwandt. Beide ätzend in ihrer Beurteilung des andern, beide aber dünnhäutig und verletzlich, wenn es um das eigene Empfinden ging. Oder, wie es Werner Düggelin in einem Interview im «Tages-Anzeiger» einmal treffend umschrieb: «Empfindlich waren sie beide, aber Dürrenmatt war eine kindliche Mimose und Frisch eine erwachsene …» Fritz als kindliche, Max als erwachsene Mimose? Schon wieder etwas gelernt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13

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