Papst Paul VI. war ein einsamer Hirte, unnahbar auch 1969 bei einer stressigen Besuchstour in Genf.
Als «Souverän der Ohnmacht» bezeichnete der wegen seiner kritischen Lehrmeinung in Ungnade gefallene ehemalige Priester und Kirchenrechtsprofessor Horst Herrmann den 1978 verstorbenen Papst Paul VI. in seinem im «Spiegel» veröffentlichten Nachruf. Ein «Souverän der Ohnmacht», der sich selber, so zitierte ihn Herrmann, schon 1969 als «untröstlich gewordenen Priester bezeichnete, der sich aus der geschichtlichen, sozialen und menschlichen Welt ausgeschlossen fühlt, in der er eine zentrale Rolle spielen sollte als Lehrer und Hirte und in der er statt dessen ein Fremdling, ein einsamer, ein überflüssiger und verlachter Mensch geworden ist».
Der Anspruch, allen alles sein zu wollen, ohne sich dabei selber verleugnen zu müssen, ist das Dilemma ganz besonders jener Männer, die sich – mehr oder minder bemüht – als Hüter einer christlichen Lehre zu verstehen haben, die aus dem stetigen gesellschaftlichen Wandel heraus ständig neu zu interpretieren wäre. Für Horst Herrmann, einer der schon viel zu vielen in diesem Denkprozess bereits «Abgewürgten», stellt sich damit die entscheidende Frage: «Wie nur kann ein Mensch vor sich selber bestehen, der von Amtes wegen in allem und jedem das letzte Wort haben muss?» Auch Paul VI. habe um diese ererbte Fracht gewusst. Erleichtert habe er sich davon nicht.
Das Tagesprogramm des Papstes umfasste 13 Auftritte und weitere Verpflichtungen.
Auch an jenem 10. Juni 1969 nicht, als Giovanni Battista Montini, wie der «Heilige Vater» mit bürgerlichem Namen hiess, nach Genf startete. Nicht weniger als 13 Reden, Auftritte und weitere Verpflichtungen umfasste das Programm des Papstes an einem einzigen Tag, der mit Grussworten an den Präsidenten der Schweizer Konföderation begann (im Bild), gefolgt von der Feier zum 50. Jahrestag der Internationalen Organisation der Arbeit (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, seit 1946 in Genf domiziliert und 1969 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Weitere Schwerpunkte waren der Besuch des Ökumenischen Kirchenzentrums und eine Messfeier im Park de la Grange. Abgeschlossen wurde der Besuchsmarathon unter anderem noch durch eine Begegnung mit Haile Selassie, dem Kaiser von Äthiopien.
Mit der Abschiedszeremonie auf dem Flughafen Genf war das Protokoll jedoch noch immer nicht erfüllt. Denn als der Papst endlich in Rom gelandet war, wartete eine letzte Verpflichtung auf den 72-Jährigen – die Grussadresse mit der Botschaft von der glücklichen Heimkehr an den Präsidenten des Italienischen Rates … Horst Herrmanns Gedanken zum Tod von Paul VI. sollten unbedingt zur Pflichtlektüre werden – nicht nur für Päpste.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.06.13