Auf die nächsten 20 Jahre! – Das war BScene 2016

Die Jubiläumsausgabe des Basler Clubfestivals hatte es in sich: Comebacks von den Lovebugs, von Sheila She Loves You und, ja, von der Atlantisbühne. Daneben konnte ich aber auch Neues entdecken. So etwa zwei grossartige Stimmen. Ein Résumé.

Grossartige Sängerin: Sarah Reid im Jazzcampus Club.

(Bild: Eleni Kougionis)

Die Jubiläumsausgabe des Basler Clubfestivals hatte es in sich: Comebacks von den Lovebugs, von Sheila She Loves You und, ja, von der Atlantisbühne. Daneben konnte ich aber auch Neues entdecken. So etwa zwei grossartige Stimmen. Ein Résumé.

Gruusig wars am BScene-Festival. Richtig gruusig! Aber nur, was das Wetter angeht. Immerhin hatte die Nässe und Kälte auch ihr Gutes: Sie trieb die Festivalgänger in die Konzertlokale, dorthin also, wo die Musik spielt. Und das so zeitig, dass am ersten Abend, dem Freitag, die Reithalle der Kaserne bereits früh brätschvoll war. In anderen Jahren dauerte es immer, bis auch der grösste Saal des Basler Clubfestivals mit über 1000 Leuten gefüllt war. 

Ein Grund für diesen stolzen Publikumsaufmarsch ist sicher jene Band, die schon am allerersten BScene-Festival 1997 zu den bekanntesten Namen auf der Affiche gehörte: die Lovebugs. Zwei Jahre lang standen sie nicht mehr auf der Bühne, arbeiteten im Stillen an neuen Songs und Nebenprojekten – und sind nun sichtlich heiss auf das Comeback: Mit «Angelheart» holen sie das Publikum ab, schrauben anschliessend das Tempo höher, spielen am Ende auch drei unveröffentlichte, neue Songs. Ihr Stadionpop verfehlt seine Wirkung nicht, Besucherinnen, die halb so alt sind wie Adrian Sieber hüpfen ausgelassen zu den Discobeats von «The Highest Heights». Und der Frontmann selber zeigt neue Moves: Schattenboxen. Angelo Gallina kann stolz sein.

Die Basler Britpop-Tradition geht weiter

Wie das ist, wenn man 20 Jahre auf dem Buckel hat, dass wissen die Lovebugs bereits. Und für den Fall, dass sich BScene jetzt alt vorkommt, hat Adrian Sieber tröstende Worte: «Dieses Alter ist im Fall gar nicht so schlimm – man geht einfach etwas früher nach Hause.»

Wobei das auf die jungen Festivalgänger ja gar nicht zutrifft: War es 1997 noch undenkbar, dass die Musik am BScene bis um 4 Uhr spielt, so hat die Verlagerung in die Nacht nicht nur die Stadt und ihre Musik sondern auch auch dieses Festival verändert. Was als «Songtage der Region Basel» begann, wurde ausgebaut und vergrössert. Die stilistische Öffnung hat sicher dazu beigetragen, dass BScene weiterhin ein paar Tausend Menschen zum Streifzug durch die Lokale lockt. In diesem Jahr fällt zudem eine breitere Durchmischung des Publikums auf. Gut möglich, dass der Einbezug von älteren «Klassikern» wie den Lovebugs, Shilf oder Lombego Surfers dazu beitrug, dass längst nicht nur Jungspunde in den Clubs anzutreffen waren.

Gewandelt haben sich in den 20 Jahren auch die Konzertlokale. Im Atlantis hörte man am ersten BScene-Festival noch die britisch gefärbten Popbands, für die Basel schon seit den 80er-Jahren – Stichwort The Wondertoys – bekannt war. Dann passte das «-tis» sein Konzept dem Zeitgeist an und verabschiedete sich von Livemusik, zugunsten von Lounge und Partybetrieb. Wirtschaftlich nachvollziehbar, trotzdem bedauerlich.

Sheila She Loves You: Ich bin Fan geworden

Umso schöner, dass der Alligator unter den Basler Clubs zum BScene-Jubiläum mal wieder als Konzertbetrieb reaktiviert worden ist. Bei Sheila She Loves You ist die Stimmung fantastisch, ebenso übrigens auch der Sound. Als dieses Quintett vor zwei Jahren den Basler Pop-Preis gewann, standen noch Zweifel und Existenzfragen im Raum. Zum Glück sind diese beiseite gelegt worden. Es wäre ein Verlust. Denn nicht nur ist ihr melancholischer, atmosphärischer Pop hinreissend, sie bringen ihn auch clever arrangiert und bestens aufeinander abgestimmt auf die Bühne. Allein die Bassläufe: ein Genuss!

Bei Sheila She Loves You fühlt man sich an Talk Talk oder The Cure erinnert – zumindest, wenn man in meinem Alter ist. Auf jeden Fall führen sie die Basler Britpop-Tradition in bestechender Qualität weiter. Wunderbar! Und dass sie ganz zu Beginn mit dem Ambient-Track «Warszawa» noch en passant Bowie gewürdigt haben, ganz cool und konzentriert, ohne das Publikum darüber zu informieren, gibt gleich noch einen Bonuspunkt.

Eine überschäumende Sängerin

Fan geworden bin ich auch von einer zweiten Band, allerdings einer, von der ich bis zu diesem Wochenende noch nie gehört hatte: Nobody Reads. Ein Trio mit einer Sängerin, so überschäumend wie das Bier, das sie auf die Bühne des Jazzcampus Clubs trägt. Sarah Reid heisst sie, ist jung, kommt ursprünglich aus Kanada und fällt schon nur durch ihren Schlabberlook und ihre kurze Afrofrisur auf. Mit humorvollem Charme sorgt sie für Lacher im Publikum, mit ihrem grandiosen Gesang aber macht sie uns sprachlos. Wow, welche Offenbarung! Reid braucht sich nicht hinter Sängerinnen wie Skin (von Skunk Anansie) oder Macy Gray zu verstecken, ja, sie hat sogar die Phrasierungen von Billie Holiday sehr gut studiert.

Bereits im ersten Song zeigt sich die stilistische Bandbreite von Nobody Reads: Das Trio reitet im countryesken Shuffle heran und entlädt im Refrain ein lautes Rockgewitter. Nick Nobody, mit dem Reid die Band vor drei Jahren gegründet hat, spielt Gitarre, Florian Haas Schlagzeug. Vielseitige Instrumentalisten, die auf einen Bass verzichten. System White Stripes, könnte man sagen. Tatsächlich kombinieren auch Nobody Reads sanfte Töne mit rauen Ausbrüchen. Sie bleiben unberechenbar, mal wähnt man sich in einem Jazzclub, mal in einem Saloon – und mehr als einmal kann man auch sagen, dass dieses Trio den millionenteuren Campus in die teuerste Garage der Rockstadt verwandelt. Eklektisch und erfrischend.

Goldene Zeiten

Ebenfalls eine Entdeckung sind Goldbarne. Sie taufen bei ihrem Auftritt im Parterre ihr zweites Album «Wintergreen». Und sie beeindrucken auf allen Instrumenten: Dragan Pijetlovic spielt die akustische Gitarre, die Rhythmussektion bilden die sowohl atmosphärisch als auch überaus groovend aufspielenden Musikerinnen Marian Rivar (Kontrabass) und Valeria Zangger (Drums und Percussion). Hinzu kommt zeitweise ein Akkordeon, das effektreich eingesetzt wird (und man staune, mitunter wie eine Hammond Orgel klingt).

Am Leadmikrofon steht ein Man in Black, allerdings kein Johnny Cash, sondern ein Sänger mit hellerem Timbre und auffälligem Vibrato: Frank Wenzel. Wie die Band ist auch er ein Virtuose auf seinem Instrument. Eindringlich sein Gesang, sehnsuchtsvoll auch. «Herbstmusik» nennt er die Songs. Das passt. Und auch wenn Wenzel äusserlich ein bisschen an Rufus Wainwright erinnert, Agenten dieser Welt: Goldbarne würden sich noch besser im Vorprogramm von Antony & The Johnsons machen. 

Bei aller Schönheit fehlen ihnen allerdings noch ein paar catchy Refrains, um über Liebhaberkreise hinaus zu wirken. Ich bewundere ihre Musik, aber nehme keine Melodien mit nach Hause. Vielleicht auch aufgrund der Ablenkung: Bedauerlicherweise quatschen einige Leute während der sanften Songs in voller Lautstärke und stören damit die intime Atmosphäre. Respektlos. Auch den Musikern ist das Geplapper unangenehm, sie bitten um etwas mehr Ruhe. Und machen an diesem Abend die Erfahrung, dass ein Festival für Vertreter der leiseren Töne unerbittlich zum Härtetest wird: Können wir in uns versinken und das ganze Drumrum ausblenden? Sie können. 

Eine One-Man-Show am Schlagzeug

Dass Festivals für Musiker auch Stress bedeuten, kann man am Samstag nach Mitternacht im Hirscheneck erleben: Hier rennt der umtriebige Schlagzeuger Simon Wunderlin im Keller rum, um sein Drum Set fertig aufzubauen und den Laptop zu installieren. Der junge Mann könnte einen Roadie brauchen. «Simon in Wonderland» bringt seine EP mit Verspätung auf die Bühne. Einerseits steuert und bearbeitet er die Tracks auf seinem Compi, andererseits haut er auf die Pauke und unterfüttert seinen Techno mit Live-Grooves. All das gleichzeitig? Tatsächlich ist seine Liveperformance ein bisschen überambitioniert – und dramaturgisch noch nicht ganz ausgereift.

Das Konzept, Elektronik mit Live-Drums zu verknüpfen ist nichtsdestotrotz sehr interessant. Der Schweizer Weltstar Jojo Mayer macht seit den 1990ern vor, wie man damit abräumen kann. Vielleicht würde auch «Simon in Wonderland» gewinnen, wenn der Taktgeber live einen Musiker hinzunimmt, sodass er sich ganz auf seine hörenswerten Technogrooves und Fills konzentrieren kann. In der Kaschemme kann man ihn regelmässig so erleben, bei der von ihm initiierten Reihe BPM Generation, von der ich viel Gutes gehört habe. 

Auf Wunderlins harten Techno folgt in meinem Fall ein smootherer Abgang: warme Beats in der Garage. Hier improvisieren fünf Basler Elektronikproduzenten gemeinsam auf Beatmaschinen, Laptops und Effekt- sowie Perkussionsgeräten, ohne dabei die Partygänger vor den Kopf zu stossen: Es soll getanzt werden. So ist es zumindest zum Zeitpunkt, als ich noch vorbeischaue, bevor ich kapitulieren muss. BScene bleibt jung, mein Körper leider nicht.

Aber die schmerzenden Füsse und das Schlafmanko sind bereits vergessen – denn was bleibt, ist die Freude: BScene hat in diesem Jubiläumsjahr aus meiner Sicht alles richtig gemacht: Die Vergangenheit geehrt, die Gegenwart gespiegelt und die Zukunft angedeutet. Wie lautete doch Adrian Siebers Glückwunsch in der Kaserne? «Auf die nächsten 20 Jahre!» Dem schliesse ich mich an. 

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